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Musiker Van Morrison
"Mich hat man über die Jahre viel zu oft analysiert"

Van Morrison ist eine mürrische Musiklegende. Er spricht nicht über Politik und Privates - eigentlich auch nicht gerne über seine Musik. Mit dem Dlf hat er trotzdem über sein 37. Studioalbum "Roll With The Punches" und sein Verhältnis zum Blues gesprochen.

Von Marcel Anders | 03.09.2017
    Der irische Musiker Van Morrison bei einem Konzert in Wien im Juni 2015.
    Van Morrison hasst Interviews. Aber wenn er mal erzählt, spart er nicht am Austeilen. (dpa / picture alliance / EPA / Georg Hochmuth)
    "'Roll With The Punches' ist einfach ein Song auf dem Album - also nichts, was man einer freudschen Analyse unterziehen sollte. Und das Foto fürs Cover habe ich gewählt, weil ich es mochte - und man da halt etwas braucht. Am besten etwas Interessantes, mit dem sich die Leute identifizieren können", sagt Van Morrison.
    Im Falle seines 37. Studio-Albums ist das Billy Two Rivers. Ein kanadischer Wrestler aus den 50ern und 60ern, mit dem Morrison viel gemeinsam hat: Auch der 72-Jährige Ire ist klein, kompakt und angriffslustig. Ein Giftzwerg, der seinen Gesprächspartner auf Distanz hält und ihm nonchalant in die Parade fährt:
    "Haben wir darüber nicht schon gesprochen? Ich habe das Gefühl, dass ich ständig dasselbe Interview gebe. Im Ernst: Ich bekomme immer dieselben Fragen – und gebe insofern dieselben Antworten. Es ist ziemlich mechanisch. Nächste Frage!"
    "Roll With The Punches" handelt von Liebe zum Blues
    Die Ironie: Bevor man Sir Ivan treffen darf, lässt er über seinen Assistenten alle Interview-Themen abnehmen, gibt vor, nicht über Politik oder Privates reden zu wollen, und ist doch nicht glücklich, wenn man ihn gezielt auf die Musik und seine Beziehung zum Blues anspricht.
    Dabei hat er mit "Roll With The Punches" ein wunderbares Spätwerk aufgenommen, das sich genau darum dreht - um seine Liebe zu diesem Genre. Die basiert auf der umfangreichen Plattensammlung seines Vaters, die Van Morrison zum wandelnden Blues-Lexikon gemacht hat. Was er - wie eigentlich alles - nicht gern erörtert.
    "Man fühlt den Blues, aber seziert ihn nicht"
    "Ich analysiere meine Beziehung zum Blues nicht - ich habe sie einfach. Seit frühester Kindheit. Und was den Blues auszeichnet: Man fühlt ihn und spielt ihn, aber man seziert ihn nicht. Es geht nur um die Performance, um die Darbietung. Das gilt auch für diese Songs, bei denen es egal ist, ob ich sie geschrieben habe oder nicht. Ich inszeniere sie wie kleine Theaterstücke. Denn beim Blues gibt es immer eine Story, die man wiedergibt - aber nicht zu sehr analysieren darf, weil das alles zerstören würde. Auch mich hat man über die Jahre viel zu oft analysiert."
    60 Jahre extrem spannende Karriere
    Was der schlecht gelaunte Mann in der braunen Lederjacke unterschlägt: Seine 60-Jährige Karriere erregt allein deshalb Interesse, weil sie extrem spannend ist. Ein kreatives, aber auch kommerzielles Auf und Ab - mit Ausflügen in Esoterik, Elektronik und Folklorismus, Welthits wie "Gloria" oder "Browne Eyed Girl" und mehreren hundert Coverversionen von berühmten Kollegen. Außerdem Jahre, in denen Morrison akribische Studien in Sachen Jazz und Blues betrieben hat.
    "Ich habe Little Walter gesehen, mit ihm gespielt und mit ihm abgehangen. Genau wie mit Lightnin' Hopkins, den ich in Berkeley kennengelernt habe, und Bo Diddley, Mose Allison oder Count Basie. Den habe ich sechs oder sieben Mal erlebt. Ich war ein Student, der so viel wie möglich lernen wollte. Und diese Jungs waren sehr nett zu mir. Sie hatten keine Egos - nicht wie die meisten Rockstars."
    Spätes Denkmal für verstorbene Blues-Ikonen
    Den Ikonen des Blues, die längst verstorben sind, setzt er mit "Roll With The Punches" ein spätes Denkmal. Die 15 Stücke, die er mit seiner Band und Gästen wie Chris Farlowe oder Jeff Beck aufgenommen hat, enthalten fünf Eigenkompositionen und zehn Covers. Darunter Stücke von T. Bone Walker, Count Basie, Sam Cooke, Lightnin' Hopkins und Bo Diddley, die er - nach alter Schule - live im Studio eingespielt und sich fürchterlich geärgert hat:
    "Durch das Equipment ist das wahnsinnig kompliziert geworden. Und auch die Techniker sind anders. Als ich anfing, waren sie viel älter als ich und haben auf eine bestimmte Art und Weise aufgenommen: Erst hat man die Songs geprobt und dann in einem Durchlauf festgehalten. So etwas wie Overdubs gab es nicht. Wenn man es verbockt hat, musste man noch einmal von vorn anfangen. Es war ein ganz anderer Prozess - eben live und viel schneller. Leider haben junge Techniker keine Ahnung davon, weil sie nicht damit aufgewachsen sind. Dabei ist das live viel interessanter. Man braucht nicht so viel Zeit."
    Musikmagazine seien voll mit Pseudo-Blues-Typen
    Van Morrison giftet wie eine Cobra – am liebsten gegen Manager, Konzertveranstalter und Plattenfirmen. Die hätten ihn seine gesamte Karriere belogen und betrogen, wären wenig effizient und würden ihn in erster Linie blockieren. Denn ginge es nach ihm, würde er locker zwei Alben pro Jahr veröffentlichen - und noch das Material, das in seinem Archiv schlummert. Dafür, da hat er keine Zweifel, gibt es bestimmt ein dankbares Publikum. Schließlich ist er Van Morrison - und steht für echten Blues:
    "Eine Menge Leute sagen, sie spielen Blues. Aber im Grunde ist das eher Pseudo-Blues. Die Musikmagazine sind voll von solchen Typen. Dabei ist das Meiste doch eher Blues-Rock oder Rock-Blues - also nicht das echte Ding. Von daher schätze ich mich glücklich, dass ich noch diejenigen getroffen habe, die genau dafür standen. Da hatte ich großes Glück."