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Musikerin Yasmine Hamdan
Hoffnung auf einen neuen Libanon

Die libanesische Sängerin und Aktivistin Yasmine Hamdan setzt bei der Parlamentswahl in ihrer Heimat auf die junge Generation. Das derzeitige System der Quoten für die vielen Religionsgruppen im Land hält sie für eine "Illusion von Demokratie". Unabhängige Politiker könnten eine neue Dynamik bringen.

Von Björn Blaschke | 05.05.2018
    Sängerin Yasmine Hamdan
    Die libanesische Sängerin Yasmine Hamdan bei einem Auftritt 2014 (picture alliance / dpa / Foto: Balazs Mohai)
    Sängerin, Songwriter, Schauspielerin - das ist Yasmine Hamdan. Sie gründete in den 90er-Jahren eine der ersten Undergroundbands im Nahen Osten, spielte in einem Film des US-Regisseurs Jim Jarmusch mit und in einem Tatort. Aber Yasmine Hamdan ist mehr: Sie ist politische Aktivistin, Querdenkerin, Freigeist. Was auch in ihren Liedern anklingt, so in "Balad" – Arabisch: "Land". Gemeinst ist der Libanon.
    "Ich habe Angst um mein Land" - singt Yasmine Hamdan. "Gerüchte beherrschen uns. Überall Mauern von Kriegen und Spaltung. Alle müde und mutlos. Ich habe aufgegeben, ich muss kämpfen, jeden Tag. Die Kosten des Lebens machen mich wütend. Ich bin der Bürger, der verraten ist."
    Ein Lied, das Yasmine Hamdan bereits vor einem Jahr veröffentlicht hat – auf der CD "Jamilat". Ein Lied, das im Zuge der Parlamentswahl im Libanon höchst aktuell ist, weil es vielen Libanesen aus der Seele spricht. Hamdan beschreibt in einem ARD-Interview die Gesellschaft ihres Geburtslandes als verkrustet:
    "Es sind die Leute an der Macht, die im Bürgerkrieg gegeneinander gekämpft haben. 15 Jahre lang. Und sie haben danach das Land untereinander aufgeteilt. Ja, es gibt Leute, die einen Wandel wollen, die sich dafür stark machen. Aber die wahre Macht liegt in den Händen von Akteuren eines Systems, das korrupt ist."
    "Alles ist in Quoten geregelt. Für mich ist das absurd"
    Der Libanon ist Heimat für 18 anerkannte Religionsgruppen: Verschiedene christliche und islamische Gemeinschaften, Drusen und Alawiten. Und all diese Gruppen haben gleichzeitig ihre politischen Parteien.
    "Das Abkommen, das 1990 zum Ende des Bürgerkriegs führte, hat alles unter den Religionsgruppen aufgeteilt, alle Institutionen. Auch die politischen Posten. Alles ist in Quoten geregelt, für jede Religionsgruppe. Der Präsident muss maronitischer Christ sein. Der Regierungschef muss Sunnit sein. Und der Parlamentspräsident Schiit. Und für mich ist das absurd.
    Denn, so Hamdan, jeder Führer fördert seine Klientel: Schiitische Führer sind für Schiiten da, Sunniten für Sunniten, Christen für Christen - um dann bei einer Wahl die Stimmen "ihrer Leute" einzufordern.
    "Wenn ich aus einem armen Milieu stamme, brauche ich meinen Patron, der aus dieser oder jener Familie stammt, der Christ ist oder die Schiiten repräsentiert. Und ich brauche diesen Patron, um meinen Kindern eine gute Schulausbildung bieten zu können, die ja etwas kostet. Es ist ein System, das tief verwurzelt und ungemein verästelt ist. Das ist das Problem. Das System durchdringt alles, ist überall. Und das macht es so kompliziert, es aufzulösen."
    Poster von Kandidaten für die Parlamentswahl im Libanon hängen am Eingang zu einem Tunnel in Beirut
    Poster von Kandidaten für die Wahlen im Libanon: Das neue Wahlgesetz könnte es diesmal auch unabhängigen Kandidaten ermöglichen, ins Parlament zu kommen (AFP PHOTO / Joseph Eid)
    "Ich hoffe auf die neue Generation"
    Immerhin: Im vergangenen Jahr wurde im Libanon ein neues Wahlgesetz verabschiedet. Das könnte unabhängigen Kandidaten ermöglichen, ins Parlament zu kommen. Unabhängig, weil sie sich politisch nicht über ihre Konfession definieren, sondern über ihre Zugehörigkeit zum Libanon. Bei insgesamt fast tausend Kandidaten bewerben sich 66 Unabhängige um ein Mandat. Das sind nicht viele. Aber die 66 Kandidaten stimmen Yasmine Hamdan, selbst Jahrgang 1976, vorsichtig optimistisch:
    "Ich hoffe auf die neue Generation, die sich ihrer Stärke bewusst ist, ihrer Kraft, ihrer Präsenz. Die auch weltoffen ist. Und die deshalb weiß, wie die Dinge funktionieren könnten. Oder warum sie nicht funktionieren, wie bei uns im Libanon. Ich vertraue darauf, dass sich die Jungen organisieren, dass es dynamischer wird, eine neue politische Kraft entsteht, die die alte konterkariert."
    Die Parlamentswahl jetzt ist die erste seit neun Jahren. Das bedeutet, dass es viele Erstwähler gibt. Jüngere Leute, die sich möglicherweise dem alten System nicht mehr so verbunden fühlen.
    "Ich glaube nicht, dass es eine Zauberlösung gibt - dass ein Wunder schlagartig alles verändert. Es kann nur einen langsamen Wandel geben, dadurch, dass die Leute wählen, sich organisieren, und kämpfen. Wir leben in einer Illusion von Demokratie. Ja, es gibt viel Freiheit im Libanon, zum Beispiel in den Medien, auch wenn es Tabus gibt, die man nicht anspricht. Aber das meiste ist frei. Und das schafft Dynamik, Freiheiten, die wirklich da sind."
    "Die Macht liegt in den Händen Einzelner"
    Im Libanon gab es immer viele Nicht-Wähler. Leute, die meinten, ihre Stimmen zählten ohnehin nicht, weil das Quoten-System alles festlegte. Mit dem neuen Wahlsystem könnte das anders werden. Aber wird das die Wahlbeteiligung erhöhen?
    "Man muss sehen, wie viele Leute am Ende ihre Stimmen abgeben. Es wird viel über die Wahl geredet - und das ist gut. Auch die Auslandslibanesen dürfen wählen. In der Hinsicht bin ich zufrieden. Aber ich glaube, es wäre sehr idealistisch anzunehmen, dass sich im großen Stil etwas ändern wird. Denn die Macht liegt immer noch in den Händen Einzelner; und für sie ist wichtig, dass sie die auch behalten. Und sie manipulieren dafür auch. Für mich ist das ein Mafia-System. Doch: Es wäre bestimmt interessant zu sehen, wie unabhängige Kandidaten das System infiltrieren - und die Politik vielleicht eher in eine konstruktive Richtung lenken."
    Yasmine Hamdan, Sängerin, Aktivistin und Freigeist. Sie will einen neuen Libanon, eine geeinte Gesellschaft.