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Musikszene Kolumbien
Mit Rap, Swing und Cumbia gegen die Gewalt

Kolumbien ist im Aufbruch. In der Hoffnung auf Frieden zwischen Regierung und Rebellen formulieren Künstler und Musiker die Sehnsucht nach einem Land, das jenseits von Drogenhandel und blinder Gewalt lebt. Sie wollen auf musikalischem Weg das Gesicht Kolumbiens in der Welt verändern.

Von Camilla Hildebrandt | 02.12.2016
    Der Künstler Jeihhco steht in einem Raum mit Graffiti vor zwei Schallplattenspielern
    Mehr als Cumbia-Crossover: die kolumbianische Band Monsieur Periné (Max Oppel)
    In Medellin plädieren verschiedene Rappergruppen für eine Revolution ohne Tote, die Band Monsieur Periné - Gewinner des Latin Grammy Award 2015 - sucht in der Symbiose von Swing, Pop und Jazz ein Pendant zum neuen kolumbianischen Lebensgefühl, und an der Karibikküste klingen die traditionellen Rhythmen Cumbia und Vallenato.
    Auf Wiedersehen!
    In mir bleibst du lebendig, aber so weit weg
    Du wirst mich nicht weinen sehen,
    heute gehe ich raus, um zu feiern.
    Am "Tag der Toten" werde ich singen!
    - Monsieur Periné -
    Kolumbien hat genug. Aus allen Poren des Landes scheint es zu schreien: wir können nicht mehr! Fast jede Familie muss einen Toten betrauern. Aufarbeitungsversuche werden im ganzen Land geleistet. Dem lang ausgearbeiteten Friedensvertrag zwischen der Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens, der Farc, wurde zwar durch die Volksbefragung am 2. Oktober 2016 eine Absage erteilt, aber bereits Mitte November stellte das Komitee eine neue Fassung vor. Sie ist nun verabschiedet. Die Farc soll in eine politische Partei umgewandelt werden und ist bereit Opfer zu entschädigen.
    Auf einmal gibt es Hoffnung
    Die Bevölkerung braucht nichts dringender, als ein friedliches Zusammenleben. Und das haben Künstler und Musiker seit Jahren ausgedrückt. Catalina, Sängerin der Band Monsieur Periné:
    "Ich bin jetzt etwas positiver eingestellt, was unsere Realität angeht. Vorher sah ich alles sehr negativ, dachte, dass der Krieg wirklich nie zu Ende geht, fühlte mich entwurzelt. Überall Aggression, Entführung von Tausenden Menschen, die Straßen sind voll von Flüchtlingen, die Unis viel zu teuer, die Korruption wird immer größer – das war für mich Normalität. Aber jetzt auf einmal gibt es Hoffnung."
    Ich will die Zeit für einen kurzen Moment anhalten
    und sagen, dass ich nicht mehr kann.
    Ich will atmen, können
    und in der Seele Frieden verspüren.
    Atme!
    - Bomba Estéreo –
    Medellín, Hauptstadt des Departamento Antioquia, ist mit mehr als 2,4 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Kolumbiens nach Bogotá. Krieg der Drogenkartelle, skrupellose Drogenbarone wie Pablo Escobar, Blutbäder - das hat man bis vor kurzem mit Medellín verbunden. Eins der gefährlichsten Viertel der Stadt war die Comuna 13. Jeiccho ist hier aufgewachsen, hat die schlimmste Zeit selbst erlebt. Heute ist er der Chef der Casa Kolacho, ein Kulturzentrum des Hip Hop und des Graffiti. Und er ist Mitgründer des Festivals 'Revolución sin muertos'/'Revolution ohne Tote'.
    "2002 erlebte die Comuna 13 eine der schwierigsten Auseinandersetzungen überhaupt. Die Paramilitärs rückten zusammen mit Militärtruppen des Staates an, um das Viertel von den Guerilla-Gruppen zu "säubern". Es gab verschiedene Operationen. Eine war die Operation Mariscal, am 21. Mai 2002. Die war sehr wichtig für uns, denn damals beschloss das Viertel auf die Straßen zu gehen: kein Krieg mehr, keine Gewalt!"
    Zwar existierten schon zahlreiche Rapper-Gruppen, aber ein erstes gemeinsames Festival organisierten sie erst nach der blutigen Operation Mariscal. Mit der Losung: 'En la 13 la violencia no nos vence'/'In der Comuna 13 wird uns die Gewalt nicht besiegen'.
    Operationen zugunsten der Bildung
    "Wir haben ein Manifest erarbeitet: keine militärischen Operationen mehr, sondern Operationen zugunsten der Bildung, der Kultur, der Kunst, der Bevölkerung, für mehr Gesundheitsprojekte und mehr Arbeit. Diesen Vorschlag haben wir der Regierung überreicht. Und dann, vier Monate später, am 16. Oktober 2002, kam die legendäre Operation Orion, das End-Desaster, mit 1000 Leuten von der Fuerza Pública, 800 Paramilitärs, zwei Helikoptern Blackhawk. Es wurde wie wahnsinnig in die Gegend geschossen. Das Resultat: rund 80 Tote, über 600 Festgenommene. Und die, welche im Viertel das Sagen hatten, wurden beschuldigt mit der Guerilla zusammenzuarbeiten."
    Krieg, Seelen, die sich im Krieg befinden,
    um zwischen den Zeiten hin und herzufliegen
    als ewige Schatten.
    - C15 -
    Das Festival 'Revolution sin muertos' in Medellin plädiert jedes Jahr für eine Revolution ohne Tote, für ein friedliches Zusammenleben. Es ist ein politisches Statement. Die Rap-Songs der Bands wie C15, Diana Avella oder Kafka berichten vom Alltag auf den Straßen, von den Auseinandersetzungen, dem Glauben daran, dass es besser wird, den intra-familiären Konflikten, dem nach wie vor sehr starken Machismo. Mit 14 habe er seinen ersten Rap-Song geschrieben, erzählt Jeiccho. Darin ging es um einen Killer.
    Gewalt führt zu Gegengewalt
    "Während er einen Auftrag ausführte, war seine Freundin beim Frauenarzt. Aber die Sache ging schief, der Killer kam um.
    Zur gleichen Zeit erfuhr seine Freundin, dass sie schwanger ist.
    Das erzählt von einer ganzen Generation, die sich in dieser Stadt in den 90ern verloren hat. 80.000 junge Leute wurden ermordet. Die haben viele Waisenkinder hinterlassen. Sie sind heute Erwachsene, ohne Ausbildung, ohne Chancen, aufgewachsen in einem sehr harten Umfeld. Heute sind sie ca. 24 und bestimmen die Stadt. Gewalt führt zu Gegengewalt. So ist das. Und wir müssen das beenden. In diesem Kontext bin ich aufgewachsen und habe angefangen zu rappen."
    Träumen ist ein Recht, das uns hilft zu vergessen.
    Mit Idealen einen Weg bereiten, Bildung macht dich frei.
    Bildung - auf dass der Mensch sich selbst definiert,
    Ausbildung - für eine soziale Politik,
    für ein respektvolles Leben,
    für den Prozess der kommunalen Organisation.
    Der Basis eine Bildung geben,
    um der Söldner-Politik ein Ende zu setzen.
    - C15 -
    Heute ist die Comuna 13 zwar ein armes aber freundliches Viertel. Bunte Graffiti-Malereien an Wänden, auf Wellblechdächern oder an den Mauern zerstörter Häuser verleihen den verwinkelten Straßenzügen ein besonderes Flair. Eine Mischung aus Freude, Visionen für die Zukunft und grausamen Erinnerungen. Die Menschen schauen interessiert den Touristen hinterher, die regelmäßig hierherkommen. Denn die Casa Kolacho in Medellin ist nicht nur ein Hip Hop-Zentrum, bildet Kinder und Erwachsene in Musik und Graffiti aus, organisiert Konzerte, sondern sie veranstaltet auch regelmäßig Graffiti-Touren.
    Medellin zur weltweit innovativsten City ernannt
    "Das ist ein Erinnerungs-Rundgang, ein politischer, historischer Gang durch die Comuna 13 mit Mitgliedern der Casa Kolacho. Die Bilder erzählen die Geschichte des Viertels auf ihre Art."
    Die Graffifi-Tours sind auch eine der Einnahmequelle, um das Haus zu finanzieren. Zudem kommt Unterstützung von der Stadt. Medellín wurde übrigens 2014 vom Wall Street Journal zur 'weltweit innovativsten City' ernannt.
    "Der aktuelle Bürgermeister Sergio Fajardo setzt auf soziale Beteiligung. Vorher hassten wir den Staat. Jetzt gibt es den 'presupuesto participativo'. Das heisst: 6 % des Geldes, das die Stadt besitzt, geht an die Kommunen. Wir entscheiden zum Beispiel jedes Jahr über 3000 Dollar. Das hat uns sehr geholfen. Vor allem auch in der Organisation und Führung unseres Viertels."
    Ich bin als Frau geboren worden
    in einer Welt voller Machos
    voller Schläge und Misshandlungen
    Untreue und Verantwortungslosigkeit
    Kriege und multinationaler Konzerne
    Ich bin als Frau geboren worden
    in einer Welt der Männer
    wo ich ruhig sein soll
    kochen lernen und Kinder großziehen muss
    Aber der Rap ist mein Argument
    Ich habe etwas zu sagen
    Los geht´s!
    Die Frau repräsentiert das Leben,
    die Auseinandersetzung, die Liebe und die Kraft.
    - Diana Avella –
    "Die Künstler in Kolumbien nehmen die Aufgabe, das Gesicht Kolumbiens in der Welt zu verändern, sehr ernst"
    sagt Catalina García, Sängerin der Band Monsieur Periné aus Bogotá.
    "Nicht weil unsere Musik unbedingt von der Politik erzählen muss, sondern weil sehr wenige Leute wissen, wie es wirklich bei uns ist, abgesehen von den Jahrzehnten der Gewalt, des Drogendealens, der sozialen Krise. Wir Musiker und auch die Sportler haben uns sehr bemüht zu zeigen, dass unsere Realität zwar heftig ist, aber dass wir dabei sind sie zu ändern!"
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Monsieur Periné sind mittlerweile ein Highlight der jungen Musikszene Kolumbiens. (Masala / http://www.mperine.com)
    Monsieur Periné hat 2012 mit ihrem Debutalbum 'Hecho a Mano'/'handgemacht' einen Senkrechtstart hingelegt, obwohl sie nicht dem aktuellen Musiktrend folgt. Und der heißt vor allem: Cumbia, Cumbia-Crossover. Kurz nach der Gründung wurden die sieben Musiker zum 'Artist of the Week' gekürt bei MTV Iggy. 2015 haben sie den Latin Grammy Award gewonnen. Ihre Musik nennen sie 'Suin a la Colombiana': Son, Bolero, Tango, ein wenig Cumbia, Swing, orientiert am Jazzmanouche von Django Reinhardt. Den haben sie übrigens im Internet entdeckt.
    Wunderbare Tanzmusik. Aber beim genauen Hinhören geht es um mehr. 'La Muerte'/'der Tod', erzählt von einer Frau, die sich nach dem Tod sehnt.
    Welcher Schmerz, der mir den Bauch zerreißt
    Ich will dich nicht mehr leiden sehen
    Auf dass mich der Tod mit sich nimmt
    Ich will nicht ohne dich leben.
    "Viele denken, dass es hier um eine verlorene Liebe geht, aber nein. Ich habe mich von dem Stück einer sehr bekannten Tanz-und Theater-Schule in Cartagena inspirieren lassen. Es ging um das persönliche Drama, das die Menschen erleiden, die wegen der Gewalt in Kolumbien auswandern mussten, sich entwurzelt fühlen, ihre Familien zurückließen. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich habe darüber nachgedacht, wie sich das anfühlen muss, wenn z.B. eine Mutter ihr Kind verliert."
    Umgang mit dem Tod
    Dass das Lied musikalisch sehr leicht daherkommt, sei Absicht, sagt Catalina. Diese Art des Umgangs mit dem Tod hat sie von den Mexikanern gelernt.
    "Die indigenen Völker in Lateinamerika betrachten den Tod nicht als ein Drama, wie es uns die Katholische Kirche lehrt, sondern es ist eine Entwicklung des Geistes, ein Durchreiseort. Und das muss man feiern, man muss gestärkt diese Reise antreten. Und der ‚día de los muertos‘/der ‚Tag der Toten‘ in Mexiko ist ein riesengroßes Fest in bunten Farben."
    In der kolumbianischen Musikszene sei in den letzten fünf Jahren ein großer Umschwung zu spüren, erzählt Catalina García. Während vorher Musiker so gut wie keine Unterstützung bekamen, gibt es jetzt immer mehr Möglichkeiten, d.h. Auftritte, Tourneen ins Ausland, Stipendien etc.
    Große Nachfrage nach Kultur
    "Die Konflikte in Kolumbien haben unter anderem dazu geführt, dass es eine große Nachfrage nach Kultur gibt. Die Kunst gibt dem Erholungs-Prozess ein positives Gesicht. In Kolumbien gibt es heutzutage eine große Zahl an Musikfestivals, die durch den Staat ganz oder zumindest mitfinanziert werden. In Bogotá haben wir z.B. 'Rock al parque', eins der größten und wichtigsten Festivals in ganz Lateinamerika, und es ist gratis!"
    Ich bin ich eine Abenteurerin
    ein Sonnenaufgang in Einsamkeit
    eine Gitarre, die den Wind umarmt
    eine Gebirgskette nahe am Meer
    Durch meine Adern fließt Feuer
    meine Augen funkeln in der Dunkelheit
    und meine hungrige Stimme hat keine Angst davor
    für immer für meine Freiheit zu singen.
    - Monsieur Periné -
    Kommt man von der Hauptstad Bogotá – auf 2600 Meter Höhe und mit einem recht kühlen Wetter - an die Karibikküste, ist der Sound ein ganz anderer. Hier herrscht der Vallenato. Jeder kann mitsingen. Wenn auf öffentlichen Plätzen wie in Cartagena plötzlich ein paar Musiker auftreten und einen Vallenato anstimmen, singen alle mit. Die, die es nicht tun, sind Ausländer oder nicht aus der Region.
    Wenn sich beim Vallenato Gefühle in Falten legen
    Gabriel García Márquez schrieb als junger Mann in Cartagena für die Zeitung 'El Universal'. Im Mai 1948 erwähnte er zum ersten Mal den Vallenato. Er schrieb:
    No sé qué tiene el acordeón de comunicativo,
    que cuando
    oímos se nos arruga el sentimiento
    Ich weiss nicht, was dieses Akkordeon
    an Kommunikativem hat,
    aber wenn wir es hören,
    legen sich uns die Gefühle in Falten.
    Juan Rincón Vanegas, ein mehrfach mit Preisen ausgezeichneter Journalist und Pressechef des 'Festival de la Leyenda Vallenata', des 'Festivals des Vallenato' erzählt:
    "Als Márquez den Nobelpreis bekam für 'Hundert Jahre Einsamkeit', sagte er, das Buch sei ein Vallenato bestehend aus 350 Seiten. Da wurde uns klar, wie wichtig für Márquez der Vallenato war."
    Der Vallenato als Synonym für Frieden
    Die Essenz des Vallenato sei die Liebe, ganz klar, meint Juan Rincón Vanegas, die Geschichten und Probleme der Landbevölkerung. Aber der Vallenato sei auch schon immer ein Synonym für den Frieden gewesen.
    "Valledupar hat immer Ende April sein Festival veranstaltet, welches ein Lob auf den Frieden und die Freude darbringen will. Und so war der Vallenato immer ein Referent dafür, dass in Kolumbien Frieden herrschen muss."
    Seit 50 Jahren – Ende April 2017 findet das große Jubiläum statt - wird in Valledupar nur dem Sound des Vallenato gelauscht. Fünf Tage lang steht die Stadt im Norden des Landes mit ihren rund 350.000 Einwohnern Kopf. Alles, was irgendwie untervermietet werden kann, wird als Zimmer für Gäste umfunktioniert. Ein legendäres Fest zu dem jährlich rund 50 000 Musikbegeisterte die Stadt einnehmen. Komponist Rosendo Romero Ospino ist seit Jahren dabei. Er hat Stücke für die ganz Großen komponiert.
    "Wir lebten in Panik"
    " Vallenato steht für Frieden. Während des sehr blutigen Konfliktes, dank Gott kamen wir hier raus, gab es eine lange Zeit der Stille unter den Komponisten. Es gab niemanden, der es gewagt hätte die Realität in seinen Liedern darzustellen, denn das bedeutete Todesstrafe. Das war in der Zeit der 90er bis 2005. Wir lebten in Panik, wegen der Massaker, die es immer wieder gab. Ein paar junge Sänger trauten sich etwas zu singen. Aber das wurde nicht aufgenommen. Ich habe diese Sensibilität nicht, um darüber zu schreiben. Ich schreibe über das Leben."
    Doch Romero erinnert sich auch:
    "Ich habe ‚Colombia en Paz‘/‘Kolumbien in Frieden‘ komponiert. Mal sehen, ob ich das wieder aufnehme."
    In dem Song textet er:
    Kolumbien hat zwei Meere, flaches Land, Gebirgsketten
    und einen großen Reichtum.
    Sehr viel Kultur und Geschichte.
    Wird es so sein, dass Kolumbien auch wieder Frieden findet?
    Von dem Komponisten stammt auch das Stück 'Noche sin luceros'/'Nacht ohne Sterne', das Carlos Vives, einer der aktuell bekanntesten Vallenato-Sänger, interpretiert hat.
    Ich will so sterben, wie auch die Wintermonate sterben
    unter der Stille einer Sommernacht
    Ich will sterben, so wie auch mein Volk stirbt
    ernsthaft, ohne mich zu beklagen
    Ich möchte eine Grabstädte ohne Sterne
    und auferstehen für einen Mond, der durch die Kneipen zieht.
    - Rosendo Romero Ospino -