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Musiktheater
Vom ewig Kindlichen

Aus dem Kinderbuchklassiker "Peter Pan" wurde jetzt an der Oper Stuttgart ein Musiktheaterstück, das glänzende Unterhaltung bietet. Die eigentlichen Stars waren aber, neben den Solisten, die Kinderchoristen, die brillant sangen und spielten.

Von Jörn Florian Fuchs | 20.12.2013
    Zwei lila Betten stehen in einem gelben Zimmer. Links steht ein Mädchen und schaut auf zu einem, Jungen, der durch die Luft fliegt.
    Wendy staunt und Peter fliegt: Impression aus der Oper in Stuttgart. (Bernd Weissbrod/dpa)
    Rasch geht alles wild durcheinander. Drei rothaarige Kids sollen schlafen, wollen aber Party machen. Sie toben herum, spielen mit Stofftieren, traktieren einen Teddy und bringen die ebenfalls leicht überdrehte Mutti (prägnanter Mezzo: Helene Schneiderman) zur Verzweiflung. Als sich alles irgendwann endlich beruhigt, gibt es für die fürsorgliche Mama ein weiteres Problem. Durchs riesige Fenster schaut ein seltsamer Typ herein, der von einer kleinen Elfe begleitet wird. Er will ins Zimmer, was ihm kurze Zeit später auch gelingt. Zuvor verliert er allerdings seinen Schatten, dieser bleibt auf dem heftig wallenden Vorhang kleben. Wenn jetzt noch die Stichworte "Nimmerland" und "Captain Hook" fallen, weiß jeder, worum es hier geht. Komponist Richard Ayres und seine Librettistin Lavinia Greenlaw haben sich James Matthew Barries Kinderbuchklassiker angenommen und aus dem Stoff ein Musiktheater gemacht, das, abgesehen von ein paar Längen im letzten Drittel, glänzende Unterhaltung bietet.
    Dabei ist die Stuttgarter Uraufführungsproduktion, die zu den Kooperationspartnern Komische Oper Berlin und Welsh National Opera weiterwandern wird, in vielerlei Hinsicht "very british". Das fängt an bei der Musik. Richard Ayres bemüht sich in jedem Takt um eine packende, bühnenwirksame Klangsprache, die gern Schrilles mit Knisterklängen, einfühlsame melodische Kapseln mit rabiaten ironischen Brüchen verbindet. Ayres kennt seine Pappenheimer - sie hören vor allem auf die Namen Benjamin Britten, Dmitri Schostakowitsch, Mark-Anthony Turnage oder vielleicht auch Gerald Barry. Doch gehen die stilistischen Imitationen nicht all zu weit, Ayres findet meist zu einer äußerst gewitzten, subjektiven Tonsprache. Es gibt zwar viele wild oszillierende Gesangslinien, aber auch ausführliches orchestrales Gestrüpp. Wunderbar sind die überkandidelten Ballettmusiken für den (un)heimlichen Hauptdarsteller des Ganzen. Dieser ist ein voluminöser Hund (Mark Munkittrick), der sein Fell gern tanzend ausschüttelt, Wespen aus dem Souffleurkasten fängt und herzergreifende Vokalisen singt.
    Peter Pan wird vom jungen Countertenor Iestyn Morris verkörpert. Morris hat die schwierigste Rolle von allen, nicht nur weil er die meisten Abenteuer bestehen und gegen Captain Hook kämpfen muss, sondern weil er vorwiegend durch den Raum fliegt und manch toller, hoher Ton seiner Kehle entströmt, während er zum Beispiel gerade einen Kopfstand macht. Den grimmig-grummligen Captain Hook singt Espen Fegran, zugleich ist er auch Oberhaupt der drei Racker - eine nette, gleichsam dialektische Idee!
    Regisseur Frank Hilbrich gibt dem Affen massiv Zucker und bietet Spektakel pur. Immer wieder wird die Stuttgarter Staatsoper zum interstellaren Raum, eine Discokugel sorgt für Sternengeflimmer auf und jenseits der Bühne. Alle Figuren sind mit kräftigem, genauem Pinsel gezeichnet. Außerhalb der Kerngeschichte gibt es noch einige fast schon Brecht’sche Einschübe, so stehen die Eltern einmal vor ihrem perspektivisch verzerrten Miniaturhaus und diskutieren. Dass Captain Hook und sein Gefolge von einem riesigen Krokodil gefressen werden, welches nach getaner Arbeit ein ungesundes Blechgrummeln von sich gibt, mag all zu junge und empfindsame Seelen arg schockieren. In der Nähe des Rezensenten leerten sich ein paar Plätze im Laufe des Abends, weil die kleinen Platzinhaber dann doch lieber auf Mutters Schoß wollten.
    Roland Kluttig am Pult des Stuttgarter Staatsorchesters machte seine Sache exzellent, doch die eigentlichen Stars waren, neben den Solisten, die Kinderchoristen, die brillant sangen und spielten. Besonders viel Applaus gab es für die Elfe Tinker Bell und ihren umtriebigen "Animator", den Puppenspieler Horacio Peralta.