Donnerstag, 25. April 2024

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Musikvermittlung beim Klavier-Festival Ruhr
Spielerisch und nachhaltig

"Der Lehrplan verbietet keinem Grundschullehrer sich mit Ligeti zu beschäftigen, aber faktisch wird das natürlich kaum gemacht", sagt Tobias Bleek vom Klavier-Festival Ruhr. Die Education-Projekte des Festivals machen aber genau das: Sie bringen Kinder mit komplexer Musik zusammen. Und das im sozialen Brennpunkt.

Von Sylvia Systermans | 14.08.2018
    Schüler und Schülerinnen beim Ligeti-Projekt des Klavier-Festival Ruhr 2014.
    Schüler und Schülerinnen beim Ligeti-Projekt des Klavier-Festival Ruhr 2014. (Ursula Kaufmann / Stiftung Klavier-Festival Ruhr)
    "Das ist sicherlich eines der prominentesten Leuchtturmprojekte. Da gibt es in der Bundesrepublik vielleicht noch zwei oder drei vergleichbare, aber das ist schon was Besonderes.", sagt Johannes Bilstein. Er hat die Wirksamkeit der zehnjährigen Education-Arbeit des Klavier-Festival Ruhr ausgewertet.
    Die Grundschule Sandstraße in Duisburg-Marxloh war der erste Kooperationspartner für die ambitionierten Education-Projekte des Klavierfestival Ruhr. Tobias Bleek, der Leiter der Education-Abteilung war damals auf der Suche nach einer Schule, die offen für diese Projekte sind und an denen solche Projekt nötig sind. "Und dann gab es diese erste Begegnung mit Klaus Hagge.", erinnert sich Tobias Bleek. "Es zeigte sich sehr schnell, dass wir eigentlich die gleichen Interessen haben, sowohl er als auch wir wollten langfristig arbeiten und sowohl er als auch wir hatten das Interesse, Schule und das, was wir als Kulturinstitution außerschulisch einbringen können zusammen zu denken. Wie kann man Synergien zwischen beiden Bereichen schaffen."
    Schwierige Bedingungen an der Schule
    Die Grundschule Sandstraße liegt nur ein paar hundert Meter entfernt von der Hauptstraße von Duisburg Marxloh: Schaufenster mit üppig drapierten Brautmoden, Spielhallen, Discounter. Menschen tragen Einkaufstaschen, schieben Kinderwagen, warten an Haltestellen. Alltag in einer Großstadt. Ein Alltag, der allerdings mit handfesten Krisen und Problemen einhergeht. Drogen, Kriminalität, Verwahrlosung sind Stichworte, unter denen das Viertel im Duisburger Norden in Verruf geraten ist. Wie der Schulalltag für Lehrer an Marxloher Grundschulen aussieht und wie sie versuchen ihn zu bewältigen, beschreibt Klaus Hagge, Schulleiter der Grundschule Sandstraße.
    "Wir haben eine Schule mit 90, 95 Prozent Kindern mit Migrationshintergrund. Ein Drittel unserer Kinder ungefähr sind sogenannte Seiteneinsteiger, das sind Kinder, die irgendwann im Laufe des Jahres zu uns kommen vor allem aus Südosteuropa, die kein Wort Deutsch können, die keine schulischen Vorerfahrung haben teilweise zehn Jahre alt sind. Sie können es sich nicht vorstellen was das bedeutet. Das muss ich wirklich so deutlich sagen, weil wir gehen immer davon aus: Ich kann jemanden ansprechen und kann auf Dinge zurückgreifen, die verlässlich sind. Und viele Menschen, die hier zu uns kommen, haben nicht diese für uns selbstverständliche Grunderfahrung, wie: man geht regelmäßig zur Schule. Das ist eine Situation. Eine andere Situation ist, dass diese Familien in der Regel in prekären Verhältnissen leben. Das Grundausstattung von Leben und schulischem Leben nicht da sind. Diese Kinder haben aber etwas anderes. Sie haben unendlich viele Talente, weil sie meistens schon in vielen Ländern gelebt haben und ganz viel mitgekriegt haben. Sie haben zum Beispiel mitbekommen, wie man überlebt. Und sie haben mitbekommen wie in Familien auch musikalisch agiert wird. Das ist ganz anders als wie wir es kennen. Heute war das teilweise zu sehen. Wenn die Kinder eine Trommel in die Hand bekommen, trommeln sie etwas, wo wir uns fragen: Woher kannst du das? Das wahrzunehmen und sie nicht immer nur danach einzuschätzen, du kannst kein Deutsch, du weißt nicht wie man einen Stift hält - sondern zu sagen, es gibt ganz viel Potenzial bei dir: Mit dem zu arbeiten, dazu brauchen wir viel Zeit."
    Die Grundschüler setzten sich mit der Musik von Bela Bartok, von Igor Strawinsky oder György Ligeti auseinander. Und immer wieder staunten die Organisatoren über die Aufgeschlossenheit und Musikalität der Kinder.
    Deaströse Situation des Musikunterrichts an Schulen
    Tobias Bleek: "Man muss natürlich auch nochmal dazu sagen, die Situation des Musikunterrichts an Schulen ist sehr desaströs. So ist es ja schon lange bekannt, dass ein Großteil des Musikunterrichts an Grundschulen entweder ausfällt oder fachfremd gegeben wird. Und jetzt ist das natürlich nochmal virulenter geworden durch diesen ganzen Lehrermangel. Und das ist auch etwas was mich wirklich erschreckt, wenn ich hier nach Marxloh komme. Das eine ist, dass ich sozusagen als interessierter Bürger in der Zeitung lese, dass 2000 Lehrer fehlen und dann mache ich mir vielleicht meine Gedanken und dann komme ich hier in die Schule und sehe, was das konkret bedeutet, wenn diese Lehrer nicht da sind. Es ist ein bisschen natürlich eine schwierige Situation, weil wir wollen und können natürlich überhaupt keine Lücken füllen."
    Die Musikvermittlungsabteilung des Klavierfestal Ruhr kooperiert aber nicht nur mit Grundschulen. Die Little Piano School führt Kindergartenkinder von Gladbeck bis Bottrop spielerisch ans Klavier heran und die interaktive Website "Explore the score" erklärt Klavierwerke von Ligeti, Boulez und Strawinsky. Die Musikszene gibt Einblicke in diese verschiedenen langjährigen Projekte des Klavier-Festival Ruhr.