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Musikwissenschaftliche Genderforschung
Im Fadenkreuz der Rechtspopulisten

Seit vielen Jahren widmet sich die Musikhochschule in Hannover der Genderforschung - und genau das scheint für einige Rechtspopulisten ein Reizthema zu sein. Zumindest gab es Störungen beim diesjährigen Kongress. Doch das Thema ist nach wie vor sehr wichtig - meint Dagmar Penzlin in ihrem Kommentar.

Von Dagmar Penzlin | 25.10.2016
    Blick auf die modernen Gebäude der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover
    Beherbergt das Forschungsinstitut Musik und Gender: die Musikhochschule Hannover (© Nico Herzog)
    "Förderung der ‚Gender-Forschung’ beenden" – das ist einer der Kernpunkte im Parteiprogramm der Alternative für Deutschland, kurz der AfD. Hätte diese rechtspopulistische Partei das Sagen, gäbe es wohl auch keine musikwissenschaftliche Gender-Forschung mehr. Warum setzt die AfD diesen Punkt so prominent auf ihren Partei-Flyer? Ich glaube, weil Gender-Forschung dazu beiträgt, dass Frauen und Männer ein genaueres Verständnis von historischen Zusammenhängen erhalten und damit auch ihre eigene Identität anders reflektieren müssen – fern von eng abgezirkelten Rollenmodellen, die die AfD fordert. Eine Musikgeschichtsschreibung, die das Leben und Wirken von Komponistinnen, Musikerinnen und Forscherinnen selbstverständlich umfasst, liefert zudem Vorbilder, stärkt den Mut zum eigenen Weg. Ebenso verändert sich der Blick auf männliche Künstler und ihre Werke, blickt man durch die Gender-Brille. Und das ist ein Gewinn.
    Doch was der Begriff Gender wirklich bedeutet, das interessiert viele gar nicht. Umso leichter kann man ihn missbrauchen als Signalwort für etwas vermeintlich Elitäres, für etwas, das weg muss: so etwa Standard-Annahmen und historische Erzählungen zu hinterfragen und zu präzisieren, neue Wege zu gehen – kurz: Forschungsfreiheit. Da mag die AfD das "Humboldtsche Bildungsideal” beschwören und schreiben - Zitat: "Die Freiheit von Forschung und Lehre sind unabdingbare Grundvoraussetzungen für wissenschaftlichen Fortschritt." Zitat-Ende. Forschungsfreiheit ist bedroht, wenn ein Forschungszweig gekappt werden soll.
    Ohne genau zu wissen, wer beim Kongress in Hannover gezielt gestört hat durch Zwischenrufe und unerlaubtes Fotografieren; es könnte auch sein, dass sich zwei völlig Fachfremde animiert gefühlt haben durch die aufflammende Gender-Feindlichkeit - die Schilderungen von Hannovers Musikhochschulpräsidentin Susanne Rode-Breymann alarmieren. Auch berichtet sie von neuen, im Grunde frauenfeindlichen Zwischentönen und Fragen beim Stellen von Forschungsanträgen. Oder dass tendenziell Gender-Professuren nicht mehr neu besetzt würden wie etwa in Köln an der Musikhochschule. Verteilungskämpfe auch in der Musikwissenschaft hin oder her – es braucht jetzt neben Achtsamkeit vor allem den Mut, selbstlos die Freiheit von Forschung zu verteidigen. Und dazu gehört auch, Störern entgegen zu treten und sich in Stammtischgerede einzuschalten. Schweigen ist so gefährlich wie lange nicht mehr.