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Muslimas in Fernost

Frauen erfahren in südostasiatischen Ländern heute durch Gesetze mehr Schutz als früher. Doch Diskriminierung und Unterdrückung herrschen noch immer vielerorts vor.

Von Daniela Siebert | 11.05.2012
    Vor allem patriarchalische Strukturen und ökonomische Faktoren belasten die Musliminnen. In Pakistan werden sie gedrängt, das Haus möglichst selten zu verlassen. Die Begründung: Die Ehre der Familie muss geschützt werden

    Indien, Pakistan, Bangladesch, Thailand, Malaysia, Indonesien – Länder in denen zahlreiche Muslime leben. Indonesien mit seinen 230 Millionen Einwohnern – 90 Prozent davon Muslime – ist sogar das größte muslimische Land der Welt. Während hierzulande viele denken, die meisten Muslime lebten in Saudi-Arabien oder dem Mittelmeerraum, sind sie tatsächlich in Fernost anzutreffen. Beide Regionen würden in letzter Zeit durch theologische Brückenschläge immer enger verbunden, erklärt Susanne Schröter, Anthropologie-Professorin an der Goethe-Universität in Frankfurt. Das betreffe auch die Frauen:

    "Grundsätzlich gilt Südostasien ja als eine Region, in der Frauen sehr viel mehr Rechte haben als beispielsweise im Nahen und Mittleren Osten, allgemein ist man der Meinung – und das ist eine Geschichte, die erzählen auch südostasiatische Muslime – dass der Islam dort sehr viel liberaler ist. Südostasien ist allerdings seit Ende der 70er-, 80er-Jahre sehr stark im Fokus von Revitalisierungsbewegungen, die insbesondere durch junge Akademiker getragen worden ist, die aus arabischen Universitäten kamen."

    Das seien Muslime, die nach ihrem Studium in Saudi-Arabien oder Ägypten, die dortigen strengeren Auffassungen mit zurück in ihre asiatischen Heimatländer gebracht hätten.

    "Die ihre Gesellschaft plötzlich mit ganz anderen Augen gesehen haben und gesagt haben: Das, was ihr da praktiziert, ist ja gar kein wirklicher Islam. Die haben sozusagen den Wahabismus mitgebracht – nicht nur den Wahabismus, das ist ja auch so ein Schlagwort, aber doch sehr viel regelgetreuere Lesart des Korans und auch eine ganz andere Interpretation der Sunna. Und die haben sehr erfolgreich versucht, ihre Gesellschaften umzukrempeln."

    In Indonesien etwa verfolgen zwei muslimische Frauenorganisationen völlig konträre Ansätze – eine Organisation möchte den Koran wörtlich nehmen, die andere zeitgemäß interpretieren. Rachel Rinaldo, Soziologieprofessorin aus den USA, hat sich mit beiden Gruppen befasst: Fatayat-NU – die liberalere Organisation, mit drei Millionen Mitgliedern – sei bereits 1950 gegründet worden und habe eher feministische Ziele:

    "Mehr Rechte und Möglichkeiten für Frauen, Gleichberechtigung der Geschlechter – das sind zentrale Forderungen von Fatayat. Sie wollen einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft erreichen und haben auch Gesetzesänderungen unterstützt, die Frauenrechte stärken etwa beim Kampf gegen Menschenhandel oder häusliche Gewalt."

    Eine völlig andere Agenda verfolgt dagegen die Frauengruppe der "Prosperous Justice Party", einer noch jungen Partei, die sich an den ägyptischen Muslimbrüdern orientiert und bei den letzten Wahlen in Indonesien auf acht Prozent kam.

    "Sie wollen nicht unbedingt einen islamischen Staat, aber schon dass der Islam die Wertebasis für die Gesetzgebung und die Politik sein soll. Sie sind nicht komplett gegen Frauenrechte, aber von Feminismus halten sie nichts. Der sei westlich, nicht islamisch sagen sie. Ihre Vorstellung geht eher dahin, dass die Geschlechter sich ergänzen sollen und die Frauen dabei ins Haus, in den privaten Bereich gehören."

    Solche eher ideologischen Auseinandersetzungen treten allerdings im Alltag hinter ganz anderen Sorgen zurück: Denn das zentrale Problem für alle Musliminnen in Indonesien sei die Armut bilanziert Soziologin Rinaldo.

    Vor allem ökonomische Faktoren und traditionelle Regeln belasten die Musliminnen. So werden sie beispielsweise in Pakistan gedrängt, das Haus nur möglichst wenig zu verlassen, berichtet die Soziologin Nida Kirmani aus Lahore. Die übliche Begründung sei: Dadurch solle die Ehre der Familie geschützt werden. Die Religion hält Kirmani hierbei nicht für den entscheidenden Faktor:

    "Von außen sieht es oft so aus, als wäre der Islam das Problem und als würden hier irgendwelche islamischen Interpretationen missbraucht. Das stimmt in Pakistan aber nur teilweise. Hier gibt es vor allem eine tief verwurzelte, patriarchale Kultur. Die wird manchmal mit der Religion rechtfertigt, aber oft reicht dafür auch einfach nur die Tradition. Dieses Denken zu ändern, ist das größte Problem."

    Doch es gebe auch Fortschritte, so Kirmani. Etwa ein neues Gesetz, das die Attacken von Männern auf Frauen mit ätzender Säure strenger ahndet, hinter denen oft Eifersucht, Rache oder die Rettung der Familienehre als Motive stehen. Oder ein anderes neues Gesetz, das den Frauen die Auszahlung ihrer Erbanteile sichert, die ihnen bislang oft vorenthalten werden.

    Bemerkenswert sei zudem, dass in Pakistan seit einiger Zeit im Interesse der Frauen mit den Menschenrechten argumentiert werde. Das beobachtet auch die Anthropologie-Professorin Susanne Schröter.

    "Die Frauenrechtlerinnen haben sehr lange probiert, auch mit einer religiösen Argumentation eigene Rechte zu verlangen – also beispielsweise mit Re-Interpretation des Koran – sind vollkommen gescheitert und berufen sich heute auf die Allgemeine Menschenrechtserklärung und auf CEDAW, das heißt die UN-Konvention gegen die Diskriminierung von Frauen. Das bringt sie ein bisschen aus der Schusslinie auch der religiösen Akteure, die ihnen ja sonst vorwerfen könnten, dass sie nicht islamisch argumentieren und dass sie möglicherweise Häretikerinnen sind."

    In Pakistans Nachbarland Indien hat sich für die Musliminnen in den letzten Jahren die Situation durch ein Gesetz bedeutend verbessert, das häusliche Gewalt ahndet, berichtet Rafia Zaman, Gender-Forscherin aus Neu-Delhi. Vor allem, wenn Frauen von ihren Männern nach einer Trennung einfach aus dem Haus geworfen wurden, hätten sie früher mitsamt ihren Kindern auf der Straße gestanden und keinerlei Unterhalt oder Hilfe bekommen. Nun können die Frauen im gemeinsamen Haus bleiben. Physische Gewalt bis hin zu Vergewaltigungen sind aber weiterhin ein Problem so Rafia Zaman:

    "Das Gesetz gilt zwar auch dafür. Vergewaltigungen werden in Indien aber kaum angezeigt, Vergewaltigung in der Ehe schon gar nicht. Die Frauen fangen erst an, sich zu beschweren, wenn sie aus dem Haus geworfen werden."