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Muslime statt Festlandschinesen
Halal in Taiwan

Nachdem China die Zahl chinesischer Touristen in Taiwan zurückgefahren hat, um Druck auszuüben, setzt das kleine demokratische Land jetzt auf eine neue Touristen-Zielgruppe. Mit speziell entwickelten Angeboten wirbt es um muslimische Reisende. Der Plan scheint aufzugehen.

Von Jürgen Hanefeld | 18.08.2018
    Die nächtlich erleuchtete Große Moschee in Taipeh am Abend
    Islam in Taiwan: Die Große Moschee in Taipeh (EPA)
    "'Alhamdullilah', sagt Amir. Ich stamme aus Pakistan. Natürlich bin ich Muslim!"
    Amir betreibt in der taiwanischen Hauptstadt ein Restaurant. Das Schild an der Tür verrät: Hier wird "Halal" gekocht, also nach den strengen Vorgaben des Islam - kein Schwein, kein Alkohol. Ein Muslim unter Chinesen. Kann das florieren?
    "Die meisten meiner Gäste kommen aus Indonesien, Malaysia, Saudi Arabien, Dubai. All diese Leute kommen als Touristen oder Geschäftsleute nach Taiwan. Aber sie sind Muslime. Sie wollen "Halal" essen."
    Auch Einheimische verlaufen sich in das Lokal: Chinesen, die einfach mal Indisch essen wollen, auch wenn sie gar nicht wissen, was "Halal" bedeutet. Und taiwanische Muslime. Davon gibt es nicht viele, aber es gibt sie. Diese junge Inderin findet den Unterschied gar nicht so groß:
    "Wir haben Kollegen, die sind Chinesen, und wir finden, wir haben einige Gemeinsamkeiten. Kultur, Familienzusammenhalt, das haben Chinesen und Inder gemein."
    Taiwan wirbt um muslimische Touristen
    Ein kleines Beispiel für die neue Politik der Völkerverständigung auf der diplomatisch ausgegrenzten Insel. Nicht ganz ohne Hintergedanken. Seit dem Regierungswechsel in Taipeh überzieht die Volksrepublik China das kleine, demokratische Taiwan mit immer rüderen Boykottmaßnahmen. Unter anderem hat Peking seine Touristenscharen zurückbeordert. Joanne Chang, prominente Beraterin der Präsidentin Tsai Ing-wen:
    "Da China durch die Drosselung des Tourismus Druck auf Taiwan auszuüben versucht, mussten wir uns etwas Neues einfallen lassen. Mit der sogenannten 'New Southbound Policy', unterstützen wir 18 Länder Asiens bei Investitionen, bei gegenseitigen Besuchen und im Tourismus,"
    Mit Erfolg. Die 800.000 Festlandchinesen pro Jahr, die nun fehlen, wurden bereits zu zwei Dritteln durch Südasiaten wettgemacht. Von denen wiederum sind knapp die Hälfte Muslime. Sie haben Geld, aber auch Ansprüche. Rijal, der aus Indonesien stammt und als Software- Ingenieur in Taiwan arbeitet, hat für seine Glaubensbrüder ein nützliches Tool entwickelt:
    "Muslime, die nach Taiwan kommen - egal ob auf der Suche nach Arbeit oder als Touristen - haben immer zwei Fragen: Wo ist die nächste Moschee, und wo kann ich "halal" essen. Für beide Fragen haben wir eine App entwickelt und auch eine Website."
    Sein Arbeitgeber ist eine taiwanische Software-Firma, die nichts dagegen hat, wenn sich ihr indonesischer Mitarbeiter in seiner Freizeit mit solchen Themen beschäftigt. Das Unternehmen hat seinen muslimischen Angestellten sogar einen Raum überlassen, wo sie zu den vom Koran vorgeschriebenen Zeiten beten dürfen. Rijal fühlt sich respektiert, aber nicht nur das:
    "Ich denke, ich habe unter den Taiwanern schon viele Freunde gefunden, am Arbeitsplatz, aber auch schon an der Universität. Ich versuche, mit allen zu sprechen." - "Auf Englisch?" - "Ja, auf Englisch."
    Die chinesischen Dialekte bleiben den meisten Ausländern - ob Muslim oder nicht - ein Buch mit sieben Siegeln.
    "Das ist schon ein Problem mit der Intonierung. Wir geben uns ja große Mühe, aber ich habe drei Monate gebraucht, um auch nur ein bisschen zu verstehen."
    Gebetsräume, Moscheen, Restaurants
    Taiwan hat auch seine eigene, alteingesessene muslimische Gemeinde. Schon seit dem 17. Jahrhundert kamen auch Chinesen vom Festland, die dem Islam folgten. Doch unter den 23 Millionen Insulanern leben heute nur 50.000 taiwanische Muslime. Für die gab es ursprünglich fünf Moscheen. Nun sind es bereits neun, und nicht nur in der Hauptstadt, sagt Jeff Tsai, der Sprecher der Chinesischen Muslimvereinigung.
    "Allein im Business-Bereich verzeichnen wir bei den Einreisen von Muslimen Zuwächse von 10 Prozent pro Jahr. Deswegen richten wir auch mehr Moscheen und Gebetsräume ein, zum Beispiel an den Flughäfen. Die letzte Zählung ausländischer Muslime in Taiwan ergab 255.788, also mehr als das Fünffache der einheimischen Muslime."
    Die Mühe lohnt sich
    Kein Wunder, dass auch immer mehr Halal-Restaurants aus dem Boden geschossen sind. Zur Zeit sind es etwa 150 mit steigender Tendenz. Die "Große Moschee" in Taipeh kommt kaum noch nach mit der Zertifizierung der Lokale, die bescheinigt, dass Schlachtung und Zubereitung nach den Regeln des Koran vollzogen wird. Doch die Mühe lohnt sich, versichert Jeff Tsai.
    "Durch die Politik der Regierung ist auch in der taiwanischen Bevölkerung das Interesse am Islam gewachsen. Früher haben wir relativ isoliert gelebt, jetzt gibt es einen regen Austausch."
    Natürlich gibt es auch kulturelle Unterschiede zwischen Muslimen aus Taiwan und solchen aus Südostasien. Und manche Taiwaner haben Bedenken, wenn sie von Flüchtlingsströmen erfahren oder von islamisch motivierten Gewalttaten etwa im Nahen Osten und in Europa. Aber diese Probleme gibt es hier nicht, sagt Rijal:
    "Ich kam nach Taiwan um zu lernen und zu arbeiten. Nach ein paar Jahren werde ich in mein Heimatdorf in Indonesien zurückkehren, um den jungen Leuten dort etwas abzugeben von dem, was ich hier gelernt habe."