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Muslime und Nicht-Muslime in Deutschland
Reizwort Assimilation

Der Migrationsforscher Ruud Koopmans meint: Muslime, die in Deutschland leben, sollen sich der Mehrheitsgesellschaft anpassen. "Deutsche Flüchtlingshelfer sollten deutlich machen, dass bei Begrüßungen des anderen Geschlechtes der Handschlag üblich ist", sagte er im Deutschlandfunk. Ist es das gleiche, wenn Rechtspopulisten "Assimilation" fordern?

Ruud Koopmans im Gespräch mit Christiane Florin | 16.03.2017
    Ruud Koopmans, Migrationsforscher an der HU Berlin, hier in der ARD-Talksendung "Anne Will" am 8.5.2016.
    Ruud Koopmans, Migrationsforscher an der HU Berlin, hier in der ARD-Talksendung "Anne Will" am 8.5.2016. (picture-alliance / dpa / Karlheinz Schindler )
    Christiane Florin: Herr Koopmans, halten Sie es für übertrieben, wenn - wie in dem vorherigen Beitrag über den Kulturknigge für Nicht-Muslime geschildert - auf Rituale und Gepflogenheiten muslimischer Migranten hier in Deutschland Rücksicht genommen wird?
    Ruud Koopmans: Es kam mir ein bisschen komisch vor, als ich das gehört habe. Es wäre natürlich völlig richtig am Platz, einen solchen Knigge, eine solche Kulturanleitung zu bieten, wenn wir jetzt reden über Leute aus Deutschland, die auf Geschäftsreisen gehen. Aber ich sehe ehrlich gesagt nicht die Notwendigkeit, warum jetzt die Bevölkerung hier in Deutschland in dieser Hinsicht auf neu zugewanderte Muslime zugehen sollte. Mir scheint ein Knigge in die andere Richtung eher angebracht zu sein.
    Florin: Hilft es nicht, wenn beide sich einen Schritt aufeinander zu bewegen und man nicht aus allem eine Prinzipienfrage macht? Zum Beispiel bei der Begrüßung?
    Koopmans: Naja, ich denke, man kann nicht früh genug damit anfangen, deutlich zu machen - für beide Seiten-, dass wenn man in Deutschland erfolgreich integrieren will, dass die Umgangssprache hier Deutsch ist. Und da hilft es überhaupt nicht, auch wenn es sehr guten Willens ist, wenn jetzt deutsche Flüchtlingshelfer die Flüchtlinge auf Arabisch begrüßen, sie sollten sie so schnell wie möglich auf Deutsch begrüßen und auch deutlich machen, dass in Deutschland und in Europa bei Begrüßungen und auch bei Begrüßungen des anderen Geschlechtes der Handschlag üblich ist, dass damit keine sexuelle Annäherung oder Respektlosigkeit gemeint ist. Das scheint mir viel wichtiger, als dass wir jetzt die Deutschen darin unterrichten, dass Muslime es vielleicht missverstehen können, wenn man den Handschlag anbietet. Das hat wenig mit Toleranz oder mit gut gemeint oder nicht zu tun, das hat alles mit einer realistischen Betrachtungsweise der Integration zu tun.
    "Ohne soziale Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft wird es schwieriger, einen Job zu finden"
    Florin: Sie haben im vergangenen Jahr eine Studie über Muslime auf dem Arbeitsmarkt veröffentlicht. Dafür wurden 7.000 Muslime in sechs Ländern in Europa befragt und Ihr Fazit lautet - sehr vereinfacht: Die Integration gelingt am besten, wenn sich Muslime der Mehrheitsgesellschaft anpassen. Was heißt anpassen?
    Koopmans: Anpassen heißt nicht, dass man seine Identität aufgibt und das heißt auch nicht, dass man sein Privatleben unbedingt anpasst. Aber es heißt, dass man die Kultur, die Normen und Werte der Gesellschaft, in die man eingewandert ist, kennt, sofern das die öffentliche Sphäre betrifft. Das fängt mit der Sprache an, denn ohne gute Sprachkenntnisse wird man auch auf dem Arbeitsmarkt zum Beispiel oder im Bildungssystem Nachteile haben. Es heißt auch, dass man soziale Kontakte zu der Mehrheitsgesellschaft knüpft, weil auch das eine Voraussetzung zum Integrationserfolg ist. Ohne soziale Kontakte wird es schwieriger einen Job zu finden, wird es schwieriger, Informationen darüber zu finden, wie der Arbeitsmarkt in Deutschland funktioniert. Dann hat man keine Leute, die man mal fragen kann: Wie schreibt man eigentlich in Deutschland ein Bewerbungsschreiben? Wie verhält man sich eigentlich in Deutschland beim Bewerbungsgespräch? Was sind eigentlich die guten Schulen für meine Kinder, worauf muss ich achten bei der Schulwahl? All das sind Fragen, die nicht andere syrische Flüchtlinge einem beantworten können, weil die die gleichen Wissensdefizite haben.
    Florin: Aber Muslime sind sehr unterschiedlich, der Islam wird unterschiedlich interpretiert. Wo bleibt die Differenzierung in Ihrer Analyse, wenn Sie einfach auf "die" Muslime schauen?
    Koopmans: Ich muss ehrlich sagen. Wo bleibt die Differenzierung in der Analyse von Herrn Knigge (gemeint ist der Kulturknigge von Peter Heine)? Wenn wir jetzt über Verallgemeinerungen sprechen: "Muslime sind nicht pünktlich, Muslime vermeiden den Blickkontakt..." Das soll alles gut gemeint sein, aber ich finde es extrem stereotypisch.
    Florin: Aber ich habe ja nach Ihrer Studie gefragt.
    Koopmans: Ich sage nicht, dass alle Muslime gleich sind. Ich sage nur, dass insofern, als Muslime nicht diesen Schritt auf die Mehrheitsgesellschaft zugehen, sie sich selbst benachteiligen. Das gilt nicht für alle Muslime. Das hängt stark mit der Religiosität zusammen. Es gibt Muslime, die ihre Religion auf eine offene, tolerante Art und Weise leben; es gibt andere, die die Religion auf orthodoxe, fundamentalistische Art und Weise leben. Und es gibt übrigens auch Leute mit muslimischem Migrationshintergrund, die ungläubig sind. Klar, es gibt große Unterschied innerhalb der muslimischen Gruppe, aber die Unterschiede hängen auch zusammen mit Religion, nicht mit Islam an und für sich, aber schon mit der Art und Weise, wie Religion gelebt wird.
    "Menschen, die orthodox religiös sind, tun sich schwerer damit, eine fremde Sprache zu lernen"
    Florin: Das heißt, Menschen, die sehr religiös sind, tun sich schwerer damit, eine fremde Sprache zu lernen?
    Koopmans: Menschen, die sehr orthodox religiös sind, die tun sich in der Tat schwerer damit eine Sprache zu lernen und wohl auch aus einem ganz einfachen Grund: Orthodox gelebte Religionen - das gilt jetzt nicht nur für den Islam, das würde genau so gelten, wenn wir mit einer großen Gruppe von orthodox jüdischen oder orthodox christlichen Einwanderern zu tun hätten - aber wenn die Religion damit einher geht, dass strenge Regeln gelebt werden, die auf Geschlechtertrennung außerhalb der Familie bestehen, die den Kontakt mit Andersgläubigen beschränken, dann hat das zur Folge, dass Leute mit einer orthodoxen Glaubensauffassung wenig Kontakte haben zu Menschen außerhalb der eigenen Glaubensgruppe. Das hat natürlich Effekte auf die Sprachkenntnisse, denn wenn man in seinem Alltag keinen Kontakt hat mit Deutschsprachigen und nur unter sich bleibt, dann sind die Möglichkeiten die Sprache zu lernen, zu üben und zu pflegen natürlich deutlich beschränkt.
    Florin: Wenn sich eine junge Frau mit dem Namen Ayse bewirbt, dann hat sie schlechtere Bewerbungschancen als ihre Altersgenossin Sophie, auch wenn beide gleich qualifiziert sind. Und noch schlechter sind die Chancen, wenn sie auf dem Bewerbungsfoto ein Kopftuch trägt, dazu gibt es auch empirische Studien.
    Koopmans: Das stimmt.
    Florin: Wie soll Integration funktionieren angesichts von offenkundigen Diskriminierungen?
    Koopmans: Ich halte sehr wenig davon, die Sachen gegeneinander auszuspielen. Es ist nicht Entweder-oder. Es ist beides Ursache von Integrationsproblemen, auch Diskriminierung, auch Diskriminierung auf der Basis von Religion spielt eine Rolle für die Integration, eine negative Rolle für die Integration. Aber das heißt nicht, dass damit die Befunde, die zeigen, dass kulturelle Anpassung auch wichtig ist für die Integration, damit vom Tisch wären. Es ist beides wahr.
    "Bis Ende der 1990er-Jahre kamen die Wörter Islam oder Muslime in Debatten kaum vor"
    Florin: Der Europäische Gerichtshof hat gerade entschieden, dass der Arbeitgeber religiöse Symbole verbieten darf. In den konkreten Fällen, über die da entschieden wurde, ging es um Frauen mit einem Kopftuch. War diese Entscheidung richtig?
    Koopmans: Ich halte persönlich die Entscheidung nicht für richtig, weil ich finde, es gibt gute Gründe, um das Tragen von religiösen Symbolen, darunter auch das Kopftuch, in bestimmten Berufen einzuschränken, wenn es nämlich geht um öffentliche Positionen, wo ein bestimmtes Ausmaß an Neutralität wichtig ist. Also von Richtern oder Richterinnen mit Kopftuch oder Polizistinnen mit Kopftuch und auch von Lehrerinnen mit Kopftuch halte ich persönlich nichts. Aber ich finde in der Privatssphäre, also im nicht öffentlichen Sektor und darum ging es in diesem Urteil, sehe ich nicht ein, warum das Tragen eines Kopftuchs für jemanden, der eine Büroarbeit macht oder in einem Hotel an der Rezeption arbeitet, warum da eine religiöse Neutralität notwendig sei.
    Florin: Vor 60 Jahren sprachen wir Medien hier in Deutschland zum Beispiel von "Gastarbeitern". Jetzt reden fast alle von Muslimen und das Herkunftsland ist gar nicht so wichtig. Und auch Sie heben stark auf die Religion ab in Ihrer Studie. Warum ist der Glaube so wichtig geworden?
    Koopmans: Sie haben recht, dass es diese Verschiebungen gegeben hat. Ich habe selbst auch viele Studien gemacht über öffentliche Debatten in Medien über Integration. Und da ist tatsächlich auffällig, dass bis Ende der 90er Jahre die Wörter Islam oder Muslime in diesen Debatten kaum vorkamen, über Muslime oder Islam wurde kaum geredet, es ging tatsächlich über ethnische Gruppen wie Türken oder um Zuwanderung insgesamt oder Asylbewerber, aber nicht um den Islam. Das hat sich in den letzten 15 bis 20 Jahren geändert und dafür gibt es natürlich einen auf der Hand liegenden Grund, nämlich den Anstieg des weltweiten Djihadismus. Innerhalb der islamischen Welt selbst ist die Religion mobilisiert worden, die Selbst-Identifikation als Muslime hat sehr stark zugenommen. Das sind zwei Prozesse, die sich sehr verstärken, dadurch wird auch in der Fremdwahrnehmung die Religion stärker wahrgenommen.
    Florin: Letzte Frage: Sie benutzen das Wort "Assimilation". Rechtspopulisten, hier in Deutschland zum Beispiel die AfD, benutzen das Wort auch. Meinen Sie dasselbe?
    Koopmans: Vielleicht meinen wir nicht dasselbe. Ich meine mit Assimilation, dass man die Kultur des Einwanderungsland kennt, respektiert und dass man sich darin wie ein Fisch im Wasser bewegen kann. Das heißt, dass man die Gepflogenheiten und die Sprache kennt, perfekt kennt und dass man auch Kontakte pflegt zur Mehrheitsgesellschaft. Das ist für mich Assimilation. Was Assimilation für mich nicht bedeutet ist, dass wenn man das alle schaffen kann, dass man dann seine eigene Identität und Kultur aufgeben muss. Also solange man über Assimilation redet als Anpassung an die Mehrheitskultur, finde ich das okay, wenn es bedeuten soll, Aufgabe der eigenen Identität und Kultur, dann bin ich nicht damit einverstanden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.