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Muslimische Jugendinitiative JUMA
Kopftuch, Antisemitismus, Erdogan - das nervt!

Jung, muslimisch, aktiv - kurz JUMA. Unter diesem Namen haben sich deutsche Muslime zusammengeschlossen. Sie wollen zeigen: Wir engagieren uns für dieses Land und wollen nicht immer auf dieselben Problemthemen reduziert werden. Wie offen ist die Gruppe?

Von Thomas Klatt | 16.01.2019
    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nimmt am 10.06.2017 in Berlin am Iftaressen der Initiative Juma teil.
    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Iftaressen der Initiative JUMA 2017. (Maurizio Gambarini/ dpa)
    "Was JUMA an sich ausmacht ist, dass JUMA das erste Mal ein unabhängiger Zusammenschluss von jungen Musliminnen und Muslimen ist, die sich als Deutsche definieren, in Deutschland verwurzelt sind, sich für Deutschland engagieren wollen, sich für ihre Rechte engagieren und einsetzen wollen, und die sichtbar werden. Und das ist in der Form ziemlich einzigartig und neu."
    Sagt Nasiha Ahyoud, die die Arbeit von JUMA in Berlin koordiniert. In sogenannten JUMA-days, Gesprächen mit Politikern, Werbe-Touren durch Deutschland oder Video- und Podcast-Projekten, wollen junge Muslime ihre Arbeit bekannter machen. Der Name des Vereins ist ein Wortspiel: Deutsch ausgesprochen bedeutet JUMA jung, muslimisch und aktiv. Arabisch gelesen bezieht sich "Dschuma" auf den "jom al dschumuah", den Tag der Versammlung der Gläubigen, also den Freitag. Dabei sind die JUMA-Jugendlichen keine eifrigen Moscheegänger.
    "Breite Palette von verschiedenen Strömungen"
    "Wir haben bei JUMA eine breite Palette von verschiedenen Strömungen, Richtungen, Ansichten, die aber nie so in die Runde getragen werden. In Moscheen treffen wir uns eigentlich generell nicht, einfach um da die Neutralität zu wahren", sagt der 26 Jahre alte Dominic Leraille, der vor wenigen Jahren zum Islam konvertiert ist.
    "Gleichzeitig finde ich das Gefühl von Heimat in der Umma, in der islamischen Gemeinschaft wieder. Heimat ist für mich kein Ort. Heimat ist für mich das Gefühl, ganz und gar ich sein zu können",
    sagt er weiter in einem Kampagnen-Video über das Heimatgefühl junger deutscher Muslime. JUMA will weder konservativ noch liberal, weder sunnitisch noch nur schiitisch sein. Alle sind jung und muslimisch in der weltweiten Umma, also der Gemeinschaft der Muslime. Für den Islamexperten bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Friedmann Eißler, eine interessante Selbstaussage.
    "Meist hört man solche Argumente aus sehr konservativen Milieus, die dann eben sagen, es gibt nicht unterschiedliche Islame, es gibt nicht den deutschen und nicht den liberalen und nicht den konservativen, sondern es gibt den Islam. Damit ist dann in der Regel eine Stoßrichtung verbunden, die sagt: Kritisiert nicht den Islam, der hat eben seine Form und das ist der Islam, der sich in der Tradition über 1400 Jahre ausgebildet hat und der ist zu akzeptieren."
    Konservativer Ansatz?
    Das sieht die Buchautorin Sineb El Masrar ähnlich, die für ihre Bücher "Muslim Girls" und jetzt "Muslim Men" viele Gespräche und Interviews mit Muslimen geführt hat. Einige waren früher bei JUMA aktiv und wollen heute nicht mehr öffentlich im Radio darüber sprechen. Der eigene Lebens-Bezug allein auf die Umma als Gemeinschaft der Muslime ist für Sineb El Masrar eine unverständliche Engführung.
    Sie meint: "Bei Muslimen kommt manchmal eben nur ein teilweise sehr konservatives bis archaisches Islamverständnis hinzu, was die Sozialisation der jungen Menschen dann erschwert, was ihre eigene Sexualität angeht, ihre Selbständigkeit, ihre Individualität auch zu leben. Also nicht immer in einem Konstrukt der Umma, also der islamischen Gemeinschaft, zu existieren, sondern eben einfach auch als Mann oder Frau selbst."
    Dass man sich keiner Moscheegemeinde ausdrücklich verbunden fühlt, könne man als Ausdruck liberaler Pluralität werten, mutmaßt Islamexperte Eißler:
    "Das eine ist positiv zu sagen: Keine Moschee heißt, wir binden uns nicht an eine bestimmte ethnische Gruppe. Wir sind nicht einfach türkisch DITIB, wir sind nicht einfach die arabische Moschee von nebenan, sondern wir wollen in großer Offenheit alle erreichen. Wenn man es kritisch im Kontext der Vernetzung der muslimbruderschaftsnahen Gruppen anschauen möchte, dann könnte man auch zu dem Schluss kommen: Das ist ein typisches Muster, sich an der Umma zu orientieren, sich also an der weltweiten Gemeinde der Muslime sich zu orientieren."
    Genervt von der Islamdebatte
    Davon aber wollen die JUMA-Jugendlichen im Interview nichts wissen. Sie klingen gereizt, wenn man sie nach der aktuellen Islamdebatte fragt, egal ob Kopftuch, Antisemitismusproblem oder Erdogan. Beim Thema Özil aber gibt es dann doch eine konkrete Antwort. Yunus-Emre Güllü, 20 Jahre alt:
    "Okay, sein Krisenmanagement war jetzt auch nicht 1a, aber nichtsdestotrotz finde ich es schade, dass man eine relativ schlechte Performance in drei Gruppenspielen auf den Schultern eines Spielers, der sich große Verdienste gemacht hat in der Nationalmannschaft, abgeladen hat. Weil es einfacher ist, einen schüchternen, schweigenden Spieler zum Sündenbock zu machen. Es ist schade, weil Özil ein Vorbild ist für Menschen mit Migrationsgeschichte."
    Dominic Leraille ergänzt:
    "Selbst wenn es am Anfang vielleicht noch um die deutsche Verfassung, um die Identifikation gegangen ist, haben sich rassistische Diskussionen angeknüpft. Dann ging es am Ende um die ,Vertürkung' der deutschen Nationalmannschaft."
    Die im Interview versammelten JUMA-Mitglieder verstehen nicht, wieso Journalisten immer wieder ähnliche kritische Fragen stellen. Dadurch fühlen sie sich auf die immer gleichen negativen Themen festgelegt.
    "Es ist immens wichtig, Vorbilder zu haben"
    Zu den JUMA-Gründungsfiguren gehört die palästinensisch-stämmige Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, die sich durchaus auch theologisch äußert. Ein Interview zu JUMA will sie nicht geben. Schließlich sei sie nicht mehr dabei und jetzt Staatssekretärin, betont sie in einem persönlichen Gespräch, für das sie sich eine halbe Stunde Zeit nimmt. Aber sie stehe nach wie vor hinter dem Verein, sagt sie. Chebli ist nicht unumstritten. Sie geriet mit der Aussage in die Kritik, dass die Scharia das Verhältnis zu Gott regle und an diesem Punkt kein Problem für die Demokratie darstelle. Für JUMA-Koordinatorin Nasiha Ahyoud ist die Debatte um die Glaubwürdigkeit von JUMA-Gründerin Chebli absurd.
    "Sawsan Chebli hatte die Idee, dass man einen Raum schafft für junge Muslime, um sich zu engagieren. Sie ist eine der wenigen sichtbaren Musliminnen in der Öffentlichkeit. Es ist immens wichtig Vorbilder zu haben, die einem zeigen: Das könnte ich auch schaffen. Es ist nicht so, dass wir uns jeden Tag sehen oder E-Mails schreiben und total eng sind. Aber wir sind verbunden. Das ist eher so, dass das sehr anstrengend ist, dass jemand wie Sawsan Chebli sich in sämtlichen Facetten erklären muss, dass sie keine Islamistin ist."
    "Was gut tun würde, wäre eine Form von Anerkennungskultur"
    Statt Muslime ständig anzufragen sollte man vielmehr deren Leistungen würdigen, sagt Ahyoud.
    "Was gut tun würde, wäre zum Beispiel eine Form von Anerkennungskultur auch für die Eltern der jungen Musliminnen und Muslime, die mit Migrationshintergrund hier sind, für eine ganze Generation von Eltern, die nach Deutschland gekommen sind, die für Deutschland gearbeitet haben, die extrem erschwerte Bedingungen hatten, dass es dafür Anerkennung gibt. Wir haben hier junge Muslime sitzen, die alle studieren."
    Und die sich vor klaren politischen und theologischen Aussagen drücken, meint zumindest Islamexperte Friedmann Eißler. Auch wenn die JUMA-Initiative an sich erst einmal zu begrüßen sei.
    "Eine Einschätzung einer solchen Projektgruppe ist nicht einfach, weil es eine wichtige Initiative ist, um sich selbst darzustellen und aktiv zu werden. Das ist es, was wir brauchen in der Gesellschaft. Auch aus religiöser Motivation. Auf der anderen Seite ist in diesem Bereich eine Nähe zu sehr konservativen auch vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppierungen festzustellen. Es wird auf der Facebook-Seite beispielsweise auch Milli Göruş gerne ins Spiel gebracht. Es sind sehr konservative Referenten auf Veranstaltungen von JUMA gewesen. Zum Beispeil vor Jahren hat wohl auch Abdul Adhim Kamouss mitgewirkt bei einer Veranstaltung von JUMA. Er war damals sicher noch sehr deutlich im salafistischen Spektrum."
    Doch auch diese Vorwürfe weist JUMA in einer schriftlichen Stellungnahme von sich. Der damals radikale Prediger Kamouss sei vor gut sieben Jahren nicht von JUMA, sondern vom Berliner Innensenat zu einer Veranstaltung des damals entstehenden JUMA-Projekts als Gast eingeladen worden. Das JUMA-Projekt sei mit dem Anspruch entwickelt worden, ein Dialog-Forum zu sein. Deshalb wurde nicht nur Kamouss, sondern beispielsweise auch der Islamkritiker Hamed Abdel-Samad eingeladen. Sineb El Masrar kritisiert aber, dass gerade junge deutsche Muslime die eigene Religion in den Mittelpunkt stellen, anstatt sie mit weltlichem Abstand kritisch zu hinterfragen:
    Offen für schwierige Themen?
    "An der Lebensrealität von jungen Muslimen wird meines Erachtens und auch nach dem, was ich von anderen, die mit JUMA zu tun hatten, mitbekomdass haben, vorbeigelebt oder -debattiert. Homosexualität, das ist ja auch etwas, was viele junge Menschen umtreibt, dass es da überhaupt keinen Raum gibt, darüber zu sprechen. Diese Unbekümmertheit, die ja die Jugend auch ausmacht, das gibt es eigentlich in keiner muslimischen Jugendorganisation. Und da unterscheidet sich JUMA tatsächlich auch nicht von der MJD, Muslimische Jugend Deutschland, oder sei es bei Milli Göruş und so weiter."
    Doch auch hier widerspricht JUMA auf Nachfrage schriftlich. Zitat: "JUMA bietet einen geschützten Raum, um über Themen zu sprechen, die junge Muslim*innen in der Gesellschaft bewegen. Sollte daher innerhalb unserer Teilnehmer*innen jemand auf uns mit dem Anliegen zukommen, im Rahmen von JUMA über Homosexualität zu sprechen, werden wir dies selbstverständlich ermöglichen." Islamexperte Friedmann Eißler bezweifelt jedoch, dass bei der Diskussions-Plattform JUMA alle Argumente auf den Tisch kommen:
    "Und wenn man dann die Diskurse anschaut, wie dieses Argument immer wieder eingesetzt wird, "wir werden diskriminiert, wir bekommen nicht die Religionsfreiheit wie die Kirchen", wo eben ein Stück weit auch abgelenkt wird von zentralen Problemen: Wie gehen wir mit dem Religionswechsel in unseren Gemeinschaften um? Wie gehen wir mit dem Frauenbild und den Frauenrechten in unseren Gemeinschaften um? Wie gehen wir mit Scharia-Normen um im Erbrecht, in anderen Fragen, die im Grunde diskriminierend sind? Hier scheint mir diese Selbstviktimisierungsstrategie, sich selber als Opfer darzustellen, in gewisser Weise eine Ablenkungs-Strategie zu sein."
    Das aber sei falsch! Man sehe sich nicht als Opfer, sagt JUMA-Koordinatorin Nasiha Ahyoud:
    "Es sind genau diese Themen, wir werden konfrontiert mit Kopftuch, Antisemitismus, mit der Erdogan-Debatte. Ja, warum? Was ein großer Teil vielleicht auch übersieht, ist, dass es eine neue Generation gibt an jungen Menschen, die an Diversität und Vielfalt auf eine Weise gewöhnt sind, wie das vielleicht die älteren Generationen nicht so gewohnt waren."