Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Muslimische Seelsorge
"Hat dich der Gott geschickt?"

Am Krankenbett zuhören, Gefangene besuchen - das macht die Familie, dafür braucht man keine Organisation. So hieß es lange in der muslimischen Community. Offenbar ein Irrtum, denn der Bedarf an Zuwendung ist groß. Und auch der Staat ist an ausgebildeten Seelsorgern interessiert, denn einfach den Imam um die Ecke fragen - das funktioniert nicht.

Von Burkhard Schäfers | 28.06.2017
    Ein muslimischer Seelsorger unterhält sich mit einem Insassen der JVA Heilbronn.
    Ein muslimischer Seelsorger unterhält sich mit einem Insassen der JVA Heilbronn. (picture-alliance / dpa / Daniel Naupold)
    "Man hört Sachen, man erlebt Sachen, das ist wirklich manchmal schwer tragbar. Wahnsinn, also wo ich mir selber denke: dass ein Mensch da noch aufrecht gehen kann bei so viel Leid übers ganze Leben verteilt. Respekt, also ziehe ich manchmal wirklich den Hut davor."
    Esra Konur ist unterwegs im Augsburger Klinikum. Eine großgewachsene Frau mit langen, dunklen Haaren und aufmerksamem Blick. Ihr Mittwochvormittag gehört den Kranken, Alten, Sterbenden. Als muslimische Seelsorgerin stellt sie sich zu ihnen ans Bett - hört zu, fragt nach, hält aus.
    "Einer hat mich sehr, sehr betroffen gemacht. Das war ein 32-jähriger Vater, der hatte Lymphdrüsenkrebs. Sehr sympathischer Mensch. Bei meinem ersten Besuch, das war immer so eine Planerei bei ihm: Mein Kind ist zwei Jahre alt, was wird aus dem Kind. Meine Frau ist jung, wie wird das finanziell weitergehen. Es ging bei ihm immer nur um andere. Und bei meinem zweiten Besuch, wo ich gesagt habe: Ich bin für dich da, mir gegenüber hast du keine Verantwortung, jetzt lass mal los. Der hat so erbärmlich angefangen zu weinen. Dieses - dass er mal loslassen konnte und sagen konnte: Warum ich? Ich bin noch jung, wie soll ich das alles machen?"
    Einige Wochen später war der junge Vater tot. Und Esra Konur bekam eine Nachricht von der Familie, wie gut ihm die Seelsorge getan habe. In dem riesigen Augsburger Krankenhaus mit 1.700 Betten kümmern sich Ärzte, Schwestern und Pfleger um ihre Patienten. Medizinisch sind sie gut versorgt. Wozu braucht es dann noch Seelsorger?
    Die muslimische Seelsorgerin Esra Konur vor einem Patientenbesuch
    Die muslimische Seelsorgerin Esra Konur vor einem Patientenbesuch (Burkhard Schäfers )
    "Für die Seele ist halt keiner zuständig. Ich bin mittlerweile seit sechs Jahren dabei und insbesondere in der Anfangsphase habe ich das so oft zu hören bekommen, dass die Patienten gesagt haben: Gerade eben war der katholische Seelsorger da. Und da habe ich mir so gewünscht, dass wir sowas auch haben. Hat dich der Gott geschickt? Die haben sich das scheinbar innerlich immer gewünscht. Aber da ist die Sprachbarriere. Oder von der Religion her. Ich glaube, allein dieses: Sie ist auch eine Muslima, sie versteht mich, wenn ich über das oder jenes rede. Ist halt bei Christen doch nicht so."
    "Muslimische Seelsorger braucht es nicht? Ich wurde eines Besseren belehrt"
    Die 47-jährige Muslimin engagiert sich als ehrenamtliche Klinikseelsorgerin. Damit ist sie etwas Besonderes. Denn während die evangelische und katholische Seelsorge in Krankenhäusern, Gefängnissen und bei der Bundeswehr seit langem etabliert ist, gibt es dort bisher kaum muslimische Seelsorger.
    "In unserer Community, hab ich gemeint, braucht man sowas nicht. Große Familie, man ist herzlich. Als ich angefangen habe, wurde ich eines Besseren belehrt, wie notwendig das war. Hätte ich nie im Leben gedacht, dass die Leute das brauchen. Dass sie sich in der Familie gar nicht so öffnen können. Sie waren mehr damit befasst, sich um die anderen zu kümmern, als um sich selber."
    Vielen Muslimen ist Deutschland zur Heimat geworden - nun wollen sie sich auch in der Seelsorge engagieren. Die Bundesregierung mit ihrer Initiative der Deutschen Islamkonferenz treibt das Thema ebenfalls voran. Denn das Grundgesetz sieht vor, dass Seelsorger religiöser Organisationen Zugang zum Militär, zu Krankenhäusern und Gefängnissen haben sollen. Warum die Politik ein Interesse an muslimischen Seelsorgern hat, erklärt Mathias Rohe, Professor für Bürgerliches Recht an der Universität Erlangen-Nürnberg:
    "Der Staat verhält sich gleich gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen. Da gibt es keine bevorzugte Leitreligion, sondern er muss sie alle gleich behandeln."
    Deutschland als säkularer Staat bleibt in religiösen Fragen neutral und schützt zugleich die Religionsfreiheit.
    Bisher existieren bundesweit lediglich einzelne Modellprojekte islamischer Seelsorge, etwa in Berlin, Frankfurt und Mannheim. Auch in Niedersachsen sind muslimische Seelsorger im Einsatz. Für die Bundeswehr fordert Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Bundestages, schon seit längerem die Etablierung muslimischer Militärseelsorger. Größeren Bedarf gebe es zudem im Justizvollzug, sagt Jurist und Islamwissenschaftler Mathias Rohe.
    "Ich hab mich unterhalten mit der Leiterin der JVA in Wiesbaden, die anfangs sehr skeptisch war gegenüber diesem Modellversuch der muslimischen Seelsorge. Und die nach dessen Ablauf wirklich restlos begeistert war. Sie hat es auf den schönen Punkt gebracht: Es ist deutlich ruhiger geworden in meinem Laden."
    Man tut's für Gotteslohn
    Indes fordert die Einführung muslimischer Seelsorge Politiker und Verwaltungsfachleute ziemlich heraus. Ein Grund dafür: Sie haben keinen eindeutigen Ansprechpartner. Im Unterschied zu anderen Religionsgemeinschaften sind Muslime hierzulande wenig organisiert. Es gibt keine Zentrale wie die katholische Bischofskonferenz oder das evangelische Kirchenamt. Die verschiedenen muslimischen Verbände sind zum Teil zerstritten und repräsentieren lediglich ihre jeweilige Gruppe.
    Die Frage ist also, mit wem staatliche Einrichtungen über die muslimische Seelsorge verhandeln können, erklärt Rechtswissenschaftler Rohe.
    "Wie können wir Modelle im Rahmen des geltenden Rechts entwickeln, wenn uns auf der Kooperationsseite die Religionsgemeinschaft fehlt? Es gibt ja Strafvollzugsgesetze, aber immer vor dem geistigen Hintergrund dieses alten Modells: Kooperation Staat - Religionsgemeinschaft."
    Ein weiteres Problem, warum islamische Seelsorge in Deutschland bisher wenig etabliert ist: Es fehle am Geld und damit an der Sicherheit für Menschen, die sich womöglich gern engagieren würden.
    "Die Bedingungen sind zum Teil prekär, man tut's wirklich für Gotteslohn."
    Die muslimische Seelsorge in Kliniken, Gefängnissen, bei der Bundeswehr und neuerdings in Flüchtlingsunterkünften befindet sich im Aufbau. Nicht alles laufe rund, so Rohe:
    "Ich bin einmal bei einer Konferenz einem Imam begegnet, wo ich dachte: Solche Töne habe ich hier im Land noch nicht gehört. Und ich hab dann zwei Dinge erfahren. Einmal, dass er in Nordrhein-Westfalen auf der Gefährder-Liste steht. Und zweitens, dass er Seelsorge in einer Justizvollzugsanstalt im selben Bundesland betreibt. Das ist, glaube ich, ein Ausreißer, das ist dann auch nicht weiter gegangen. Wahrscheinlich ist es so geschehen, dass der Leiter, die Leiterin der JVA festgestellt hat: Wir haben so und so viele Muslime da, rufen Sie doch mal an, wo haben wir hier eine Moschee, ob da einer kommen kann."
    Ein Imam, der im Gefängnis Islamismus predigt - das ist das Worst-Case-Szenario. Es gibt Gefängnisse, in denen salafistische Gruppierungen schon seit Jahren neue Anhänger um sich scharen. Extremismusforscher fürchten, dass sich mehr muslimische Häftlinge radikalisieren könnten. Dementsprechend werden muslimische Seelsorger durchaus misstrauisch beäugt, wenn niemand so recht einschätzen kann, welche Lehre sie vertreten. Der Jurist Rohe plädiert für eindeutige Verträge zwischen dem Träger einer Einrichtung und Vertretern der Muslime. Schließlich sei Seelsorge ein sensibles Feld.
    "Uns christlichen Seelsorgern fehlt der kulturelle Hintergrund"
    Als Vorbild und Unterstützer dienen die christlichen Seelsorger. Hans Endt ist evangelischer Pfarrer und arbeitet als Gefängnisseelsorger im schwäbischen Kaisheim.
    "Eine gewisse Verfasstheit in der Seelsorge, gewisse Standards, die deutsche Sprache sind sehr wichtig. Die Anstaltsleitung möchte natürlich, dass die Predigten, die Freitagsgebete in deutscher Sprache gehalten werden. Zumal ja alle Gefangenen angesprochen werden sollen, also nicht nur die türkischen, sondern auch die aus den anderen arabischen Ländern."
    In der JVA im Landkreis Donau-Ries gibt es bisher keine regelmäßige islamische Seelsorge. Dabei sei etwa jeder zehnte Inhaftierte Muslim, schätzt Pfarrer Endt. In einigen Großstädten ist die Zahl deutlich höher. Und selbst für einen erfahrenen evangelischen Seelsorger ist es schwierig, im Gespräch mit Muslimen die Zwischentöne herauszuhören.
    "Was uns fehlt, ist natürlich der kulturelle Hintergrund. Also wie es da in der Familie zugeht, wie der Respekt zwischen Alten und Jungen ist. Das ist der Unterschied, und deswegen suchen wir ja auch muslimische Seelsorger oder Seelsorgerinnen."
    Mehr als ein Jahr dauert die Schulung zum muslimischen Seelsorger von "musa"
    Mehr als ein Jahr dauert die Schulung zum muslimischen Seelsorger von "musa" (Burkhard Schäfers / Deutschlandfunk)
    Im Augsburger Klinikum hat sich Esra Konur eine Liste mit den Namen und Zimmernummern muslimischer Patienten geholt. Die Seelsorgerin nimmt den Aufzug in den sechsten Stock. Oben angekommen, muss sich sie sich im Gewirr der langen Gänge erst einmal orientieren: Neonlicht, olivgrüne Türen, dazwischen schliche Aufenthaltsbereiche und Zeitschriftenauslagen. Der erste Weg führt sie zur Stationsleitung.
    "Konur, grüße Sie, bin von der muslimischen Seelsorge, wollte ein paar Patienten besuchen." Pfleger: "Ja, gerne." Konur: "Dankeschön."
    Ein Pfleger schiebt einen Herrn im Rollstuhl vorbei, zwei Angehörige sprechen mit einer Krankenschwester, ein Arzt ist unterwegs zur Visite. Die ganz normale Klinikroutine - viele Patienten indes sind im Ausnahmezustand. Sie warten angespannt auf eine OP, wissen nicht, ob sie wieder ganz gesund werden, wie lange sie noch zu leben haben. Esra Konur und ihre Kollegen versuchen, ein wenig Erleichterung zu verschaffen.
    Gespräche zwischen Patient und Seelsorger sind natürlich vertraulich - deshalb bleiben Reporter und Mikrofon draußen auf dem Gang. Etwa 20 Minuten später beendet Esra Konur ihren ersten Besuch.
    "Die Dame hat einen zu hohen Blutdruck gehabt. Sie wurde deshalb eingeliefert und man hat leichte Herzrhythmusstörungen festgestellt. Das Gespräch war sehr angenehm, der Ehemann war mit dabei. Sie haben sich dann auch über die muslimische Seelsorge informiert, was das ist. Dass sie es sehr schön finden. Der Ehemann steht ihr zur Seite, sie war ziemlich happy."
    Jeder Besuch verläuft anders. Manche Patienten können kaum sprechen, dann bleibt Esra Konur nur kurz. Hin und wieder verbringt sie aber auch eineinhalb Stunden in einem Zimmer.
    "Dass man sich so langsam antastet: Wie die Dame heißt, wie es ihr geht, was das für eine Krankheit ist. Meistens geht es über die Krankheit in die Tiefe. Dass das bis in die Kindheit geht, oder Eheprobleme, oder Probleme mit den Kindern."
    Es sind existenzielle Fragen, die die Patienten umtreiben. Und immer wieder begleitet die Seelsorgerin Menschen in ihren letzten Tagen und Stunden bis zum Tod.
    "Bei manchen, wenn man diesen Leidensweg sieht, ist man froh, dass der- oder diejenige erlöst ist. Da hofft und betet man nur, dass das schnell und schmerzlos über die Bühne geht. Man versucht, dass sie noch Kontakt haben, falls sie irgendjemandem nachtragend sind, dass man versucht sie dahin zu bewegen, dass sie Kontakt suchen."
    Die ehrenamtlichen Seelsorger in Augsburg sind keine Imame. Sie bieten also kein Freitagsgebet an und auch keine Feiern an islamischen Festtagen.
    "Auf Wunsch machen wir das, dass wir mitbeten mit den Patienten. Wir hatten mal eine Frau hier, deren Bruder hatte eine schwere Gehirn-OP vor sich. Das war ein Angebot von uns, das sie dankend angenommen hat und das hat ihr sehr geholfen, weil sie die ganze Zeit so hibbelig und heulend dastand. Und das hat ihr dann halt Kraft gegeben."
    150 Stunden Theorie, 50 Stunden Praktikum
    Gesprächsführung, Psychologie, Kultur und Religion - das sind nur einige Themen, mit denen die Seelsorger vertraut sein müssen. Esra Konur hat ihre Ausbildung beim Institut für transkulturelle Verständigung absolviert. Aktiv ist sie nun unter dem Dach der Muslimischen Seelsorge Augsburg - kurz MUSA. Dieses Projekt rief die Stadt vor sechs Jahren ins Leben, der Vorläufer war ein türkischsprachiges Sorgentelefon. Nach holprigem Start sind inzwischen etwa 50 ehrenamtliche Seelsorger im Einsatz: Musliminnen und Muslime, die deutsch sprechen, gut die Hälfte von ihnen mit türkischen Wurzeln.
    Evangelisches Annaforum in Augsburg, ein Donnerstagvormittag. MUSA bekommt Zuwachs. Neue Seelsorger erhalten ihr Zertifikat, nachdem sie die mehr als einjährige Ausbildung erfolgreich durchlaufen haben:
    150 Stunden Theorie, dazu 50 Stunden Praktikum in der Klinik oder im Gefängnis. In Vorträgen und Rollenspielen geht es um die eigene Motivation für das Engagement, um Wertvorstellungen, um Krankheit und Traumata. Die Stadt Augsburg fördert MUSA finanziell und ideell, sagt Margret Spohn vom Büro für Migration:
    "Für die Muslime, die diese Seelsorge brauchen, ist es eine demokratische Notwendigkeit, dass allen Bürgerinnen und Bürgern das gleiche zur Verfügung steht."
    Eine Karte mit dem Namen der muslimischen Seelsorger im niedersächsischen Strafvollzug hängt im Justizministerium in Hannover 
    Eine Karte mit dem Namen der muslimischen Seelsorger im niedersächsischen Strafvollzug hängt im Justizministerium in Hannover (picture-alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Die Vertreterin der Stadt betont: Augsburg unterstütze damit nicht eine Religion, sondern gesellschaftliches Engagement.
    "Wir sind nicht berechtigt, in religiöse Inhalte einzugreifen. Aber wir sehen, da gibt es eine Lücke, ein Teil unserer Bevölkerung hat keinen Zugang zu einem Recht, das andere in der Stadt haben. Und wir schaffen einen Rahmen, indem wir schauen, wie können wir Strukturen finanzieren."
    Die Islamverbände sind an der Augsburger Seelsorge nicht beteiligt. Das Projekt sei offen für Muslime unterschiedlicher Richtungen, sagt Margret Spohn. Entstanden sei es aus privater und kommunaler Initiative. Nicht von oben verordnet, sondern weil die Muslime selbst einen Bedarf gesehen hätten. Das empfiehlt die Migrationsexpertin auch anderen Städten, die überlegen, eine islamische Seelsorge ins Leben zu rufen.
    "Man kann natürlich warten, bis es die ganz große Lösung gibt, die von oben nach unten kommt. Wohlwissend, dass es vielleicht Jahre dauert, bis Menschen, die jetzt Hilfe brauchen, bis man an diese Menschen rankommt. Und wir haben uns eben entschieden, nicht so lange zu warten, sondern zu schauen, dass wir auf lokaler Ebene das stemmen können. Und so ist musa entstanden."
    Das Augsburger Modell soll nun in Bayern auf andere Orte ausgeweitet werden. Die Staatsregierung stellt dafür mehrere hunderttausend Euro zur Verfügung. Auch Hessen und Nordrhein-Westfalen investieren in die islamische Seelsorge. Ihre Hoffnung: Dass sich so vermeiden lässt, dass unbekannte Imame in der JVA ein- und ausgehen. Wer mit staatlicher Unterstützung Seelsorger ausbildet, kann besser prüfen, was gelehrt wird. Zudem wollen die Länder gemeinsame Standards für die Arbeit in Gefängnissen entwickeln. Das Geld für musa sei gut angelegt, meint Margret Spohn vom Migrationsbüro der Stadt Augsburg.
    "Dass wir ein in höchstem Maße seriöses Projekt sind, können Sie daran erkennen, dass die MUSA-Seelsorger in die bayerischen Justizvollzugsanstalten gehen dürfen. Und da können Sie sicher sein, dass da jeder einzelne einer ganz starken Sicherheitsprüfungen unterzogen wird. Weil man möchte verhindern, dass man sich mit dem Angebot von Seelsorge radikale Ideen ins Haus holt."
    Ein Begriff aus der christlichen Tradition
    Umgekehrt setzen manche große Erwartungen in die muslimischen Gefängnisseelsorger. Sie sollen verhindern, dass sich Häftlinge radikalisieren. Seelsorge als Präventionsprogramm - das findet Naime Cakir problematisch. Sie forscht als Soziologin und Religionswissenschaftlerin an der Universität Frankfurt.
    "Die Seelsorge darf auf keinen Fall auf Extremismus-Prävention reduziert werden. Sie muss vorurteilsfrei und zweckfrei erbracht werden. Natürlich hilft es möglicherweise, den einen oder anderen, der in Gefängnissen versucht, abzugleiten in ideologische Gedankenwelten, wenn jemand aus der gleichen Religion ein - wenn auch religiöse Fragen aufkommen - klärendes Gespräch führt. Aber Seelsorge ist nicht Extremismus-Prävention."
    Auch Terrorismusexperten warnen davor, die Bedeutung der islamischen Seelsorge für die Prävention überzubewerten.
    Überhaupt zweifeln manche die Akzeptanz von Seelsorge unter Muslimen an. Der Begriff Seelsorge stammt aus der christlichen Tradition, im Koran kommt er nicht vor, erklärt die Religionswissenschaftlerin.
    "Der Begriff der Seelsorge hat kein Äquivalent, weder im Türkischen noch im Arabischen. Aber natürlich kennt der Islam die Sorge um den Menschen. Der Koran macht diese Sorge um den Nächsten in vielen Versen deutlich. Insbesondere ist es ein Verdienst, sich um Kranke zu kümmern."
    Doch ein passenderer Begriff ist noch nicht gefunden, wichtig sei eine Professionalisierung der islamischen Seelsorge, sagt die Frankfurter Soziologin und gelernte Krankenschwester. Noch stehe diese ganz am Anfang, häufig getragen durch kleinere, ehrenamtliche Initiativen.
    "Dennoch ist es ganz wichtig, dass in dem Bereich auch Hauptamtliche tätig sind. Die sind ganz anders in strukturelle Kontexte eingebettet."
    Was der muslimischen Seelsorge bislang fehlt, sind Geld, Stabilität und eine Wirkung in die Breite. Nun sollen - ausgehend von einer Empfehlung der Deutschen Islamkonferenz - Länder, Kommunen und Islamverbände die Sache vorantreiben. Aus einzelnen Modellprojekten soll eine etablierte muslimische Seelsorge werden.
    Das Problem des fehlenden zentralen Ansprechpartners indes wird sich nicht so schnell lösen lassen. Die Hoffnung ruht deshalb weiterhin auf Vorreiter-Projekten wie der 'Muslimischen Seelsorge Augsburg'. Esra Konur, die ehrenamtliche Klinikseelsorgerin, hat einen Wunsch:
    "Dass wir größer werden, dass sich da noch mehr Leute engagieren. Es ist ein enormer Bedarf da, und dass wir da auch überall tatkräftig helfen können."