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Muslimisches Hilfswerk
Islamic Relief Deutschland unter Druck

Das muslimische Hilfswerk Islamic Relief Deutschland steht in der Kritik. Die Vorwürfe: Nähe zur Muslimbruderschaft, Unterstützung der Hamas. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Stefan Thomae fordert eine Überwachung durch die Nachrichtendienste. Islamic Relief zeigt sich selbstkritisch und verspricht Reformen.

Von Hüseyin Topel | 16.10.2020
Nordrhein-Westfalen, Köln: Der Eingang zur Zentrale der Organisation Islamic Relief Deutschland.
Die Hilfsorganisation Islamic Relief Deutschland steht unter Druck. (Picture Alliance / dpa / Oliver Berg)
Ein Werbeclip des Islamic Relief Deutschland e.V. mit Sitz in Köln. Laut Selbstverständnis handelt es sich bei dem im Jahre 1996 gegründeten Verein um eine muslimische Wohltätigkeitsorganisation. Sie ist Teil des übergeordneten Netzwerkes Islamic Relief Worldwide mit Sitz im Vereinigten Königreich.
Doch aktuell steht Islamic Relief Deutschland unter Druck. Das muslimische Hilfswerk wird verdächtigt, personell sowie strukturell mit der Muslimbruderschaft verbunden zu sein. Sie gilt als Urheber des modernen politischen Islam und wird in Deutschland durch den Verfassungsschutz beobachtet. Auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion im April 2019 ließ das Bundesinnenministerium wissen, dass "sowohl 'Islamic Relief Worldwide' als auch 'Islamic Relief Deutschland e.V.' über signifikante personelle Verbindungen zur 'Muslimbruderschaft' oder ihr nahestehenden Organisationen." verfügen.
Unterstützt die Hilfsorganisation die Hamas?
Eine Hiobsbotschaft für Islamic Relief Deutschland mit weitreichenden Konsequenzen. Das Bündnis "Aktion Deutschland hilft", ein Zusammenschluss von deutschen Organisationen für Katastrophenhilfe, unterbrach die Kooperation mit dem islamischen Hilfswerk. Stephan Thomae von der FDP ist einer der Verfasser der kleinen Anfrage. Er zeigt sich empört, dass Islamic Relief Deutschland derzeit von den Ämtern für Verfassungsschutz trotzdem noch nicht überwacht wird. Tatsächlich bestätigte ein Sprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutz, dass Islamic Relief "kein Objekt der Beobachtung" sei.
"Angesichts des Umstandes, dass Muslimbruderschaft und Islamic Relief Deutschland personell eng verflochten sind, dass offenbar auch strukturell-organisatorisch gewisse Verbindungen bestehen, dass von Seiten Islamic Relief Deutschlands Gelder fließen an Islamic Relief Worldwide und offensichtlich auch an die Hamas, ist es schwer verständlich, das nicht IRD schon längst von unseren Nachrichtendiensten bei uns im Inland überwacht wird."
Stephan Thomae, Bundestagsabgeordneter der FDP, am 11.10.2018 im Bundestag
MdB Stephan Thomae (FDP) fordert eine Beobachtung von Islamic Relief durch den Verfassungsschutz (dpa ZB / Jens Büttner)
Der Vorwurf, Islamic Relief würde in Palästina die islamistische Hamas unterstützen, stammt vom israelischen Verteidigungsministerium. Dieses zählt Islamic Relief Worldwide seit sechs Jahren zum Finanzierungsapparat der Hamas.
"Dieser Vorwurf war sehr gravierend für uns", sagt Nuri Köseli, der Pressesprecher von Islamic Relief Deutschland:
"Wir haben die Arbeit eingestellt in den palästinensischen Gebieten. Und haben eine unabhängige Prüfung veranlasst und haben auch die israelische Regierung versucht zu fordern, uns ihre Erkenntnisse mitzuteilen. Wir haben keine Reaktion darauf bekommen. Die unabhängige Prüfung hat aber ergeben, dass Mittel von Islamic Relief ausschließlich dem humanitären Zweck eingesetzt werden. Wir sahen uns dann gezwungen, diese Vorwürfe vor einem Gericht zu klären. Wir haben gegen die israelische Regierung geklagt, um den Vorwurf aus der Welt zu räumen, dass Islamic Relief Hamas unterstützt. Islamic Relief unterstützt die Hamas nicht."
Nuri Köseli ist Pressesprecher von Islamic Relief Deutschland e.V.
"Das Engagement von Islamic Relief ist lobenswert"
Das Verfahren konnte noch nicht abgeschlossen werden. Zwei Mal musste ein Gerichtstermin aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden. Dabei habe die israelische Regierung des ehemaligen Präsidenten Ehud Olmert in einem Brief aus dem Jahre 2008 die Leistungen von Islamic Relief sogar ausdrücklich gelobt.
"Das Engagement von Islamic Relief, einige der schwierigsten Probleme der Welt anzugehen, ist lobenswert. Indem Sie die Armut und das Leid der ärmsten Menschen der Welt lindern, machen Sie die Welt zu einem besseren Ort für die ganze Menschheit."
Dennoch habe Islamic Relief die Antwort der Bundesregierung selbstkritisch aufgenommen.
Nuri Köseli: "Wir haben die entsprechenden Behörden darauf angeschrieben, haben sie kontaktiert, um Hilfestellungen gebeten, um welche personellen signifikanten Verbindungen es sich denn handle. Die Verfassungsschutzbehörden haben uns mitgeteilt, dass wir nicht Gegenstand der Beobachtung sind."
Funktionäre verbreiteten antisemitische Hetze im Netz
Hinzu kommt, dass Islamic Relief sich von zwei wichtigen Funktionären trennen musste, nachdem diese mit antisemitischen Postings auf Social Media aufgefallen waren. Beispielsweise von Heshmat Khalifa, dem Direktor von Islamic Relief Worldwide, der zuvor auch für Islamic Relief Deutschland tätig war, da dieser unter anderem im Jahr 2015 auf Facebook Juden als "Enkel von Affen und Schweinen" bezeichnete. Die britische Tageszeitung "The Times" machte dies Ende Juli öffentlich. Auch sein Nachfolger Almoutaz Tayara verbreitete antisemitische und terrorverherrlichende Postings in sozialen Medien. Hier gesteht Köseli ein großes Versagen seiner Organisation ein:
Auswärtiges Amt - Projekt "Religion und Außenpolitik" auf Eis gelegt
Nurhan Soykans Berufung als Beraterin für das Projekt "Religion und Außenpolitik" des Auswärtigen Amtes stößt auf massive Kritik.
"Wir haben durch diese Social Media Posts, die mit unseren Werten nicht vereinbar waren, eines gelernt: dass wir zusätzliche Mechanismen benötigen, um mögliche Fälle durch eigene strukturelle Anpassungen frühzeitig zu erkennen. Wir haben auch eine unabhängige Untersuchungskommission einberufen unter der Führung des ehemaligen Generalstaatsanwalts Dominik Drief, der sehr erfahren ist im Bereich von Sicherheitsüberprüfungen. Er war lange Zeit in Großbritannien Vorsitzender des parlamentarischen Sicherheitsausschusses. Das sind so Maßnahmen mit unseren eigenen Möglichkeiten, über die wir nachdenken, die wir jetzt einführen."
Wo steht die Muslimbruderschaft?
Salim Çevik ist Wissenschaftler am Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS) der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Er beobachtet die Strukturen und das Themenfeld Muslimbruderschaft genau.
"Sie wollen ihre islamische Weltanschauung unter den Muslimen in Europa verbreiten. Das war immer schon ihre Strategie und ihr Ziel. Sie wollen verhindern, dass die Muslime in Europa in einer kulturellen Einsamkeit verenden und stattdessen - so glauben sie fest, den 'wahren Islam' nach ihren Vorstellungen annehmen."
Salim Çevik steht mit verschränkten Armen und freundlich lächelnd auf einer Straße
Salim Çevik bezweifelt, dass von Islamic Relief eine Gefahr ausgeht (Privat)
Für den Experten handelt es sich bei Islamic Relief um keine Organisation der Muslimbruderschaft. Und ob von der Muslimbruderschaft überhaupt ein erhöhtes Gefahrenpotenzial ausgeht, komme auch auf den Blickwinkel an. Çevik sagt:
"Es existiert die These, die Mitgliedschaft zur Muslimbruderschaft oder die Nähe zu Personen aus dem Dunstkreis dieser Bewegung diene als ein Einstieg zum Dschihadismus. Doch es gibt gerade über den europäisch-stämmigen Dschihadismus zahlreiche Forschungen. Keine dieser Forschungen unterstützt diese These. Im Gegenteil. Verbindungen mit Organisationen aus dem Ideenspektrum der Muslimbrüder stehen oftmals dem dschihadistischen Radikalismus im Weg."
"Wir leisten harte humanitäre Hilfe"
Stephan Thomae geht hingegen generell von einem erhöhten Gefahrenpotenzial durch derartige islamistische Strömungen aus. Selbst Anschläge seien denkbar.
Thomae sagt: "Dazu braucht es nicht eine große Mitgliederstruktur, dazu braucht es einfach ein paar Menschen, die wild entschlossen sind und das muss man bei Personen aus der Muslimbruderschaft und auch aus Islamic Relief Deutschland fürchten."
Saudi-Arabien - Was will die Islamische Weltliga?
Die Islamische Weltliga galt lange als ultra-konservativ. Ihr wurde vorgeworfen, Europa islamisieren zu wollen. Inzwischen kündigt sie an, dass in Saudi-Arabien Kirchen gebaut werden sollen.
Dem widerspricht Nuri Köseli:
"Das ist so nicht haltbar. Wir sind ein anerkannter und respektierter Akteur in der humanitären Arbeit. Wir haben einen Beraterstatus bei der UN, im Wirtschafts- und Sozialrat der UN. Wir haben eine Zusammenarbeit über viele Jahre mit dem World Food Programm. Wir haben Zusammenarbeit mit der UNICEF, mit dem UNHCR. Wir arbeiten in Flüchtlingslagern. Wir machen keine Scheinarbeit, sondern wir leisten harte humanitäre Hilfe in sehr komplexen Regionen dieser Erde. Das ist etwas, was sehr pauschal und sehr faktenlos für mich klingt. Also es müssen doch Fakten geschaffen werden. Und diese Fakten fehlen, wenn solche Behauptungen tatsächlich in den Raum geworfen werden."
"Diese Drohung sollte man aufrechterhalten"
Auch Salim Çevik von der Stiftung Wissenschaft und Politik beobachtet an dieser Debatte: Je stärker der Rechtspopulismus in Europa werde, desto härter würden auch die Parteien im Zentrum mit islamischen Strukturen umgehen.
"Am Ende des Tages fällt auf, dass es Europa noch immer nicht gelingt, einen guten Mittelweg im Umgang mit dem Islam zu finden. Das ist ein weiteres Beispiel hierfür", so Çevik.
Stephan Thomae bleibt weiter misstrauisch. Der Freie Demokrat kennt zwar niemanden von Islamic Relief Deutschland, wie er sagt, und würde auch den Kontakt nicht suchen. Doch er sieht schon positive Veränderungen, die seine Anfrage bewirkt haben könnten:
"Auf der anderen Seite muss man schon sehen, dass es offenbar Befürchtungen bei Islamic Relief gibt, in zu enger Nähe zur Muslimbruderschaft gesehen zu werden. Das heißt, man kann da auch eine gewisse Drohkulisse aufbauen, aber auf diese Art und Weise auch klarmachen, dass man solche Verbindungen missbilligt. Und das kann früher oder später auch zu Kurskorrekturen kommen, denn am Ende will natürlich jetzt niemand Gefahr laufen, verboten zu werden vom Innenministerium. Und diese Drohung, diese Gefahr, die sollte man aufrechterhalten, weil man damit vielleicht auch eine gewisse Vorsicht bei Islamic Relief aufrechterhalten kann."