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Muster-Theorie der Emotionen
Wie Menschen Gefühle erkennen

Gefühle sind schwer zu fassen, im Alltag wie in der Wissenschaft. So streiten Forscher schon seit Jahrzehnten darum, ob Gefühle eher körperlicher oder geistiger Natur sind. Ein Team um den Bochumer Philosophen Albert Newen umgeht diesen Streit nun und stellt eine neue Theorie vor.

Von Martin Hubert | 07.05.2015
    Eine Frau hält den Kopf in den Händen.
    Jede Emotion stellt also ein bestimmtes Muster aus Körper-und Ausdrucksmerkmalen, Verhaltens- und Denkweisen dar. (imago / Science Photo Library)
    Wut, Freude, Trauer, Neugier, Schuld oder Scham. Das Reich der Gefühle ist riesengroß und nicht allein zwischen Wut und Zorn liegt nur eine schmale Grenze. Wie schafft der Mensch es, verschiedene Emotionen auseinanderhalten? Wie kann er umgekehrt erkennen, dass ein lautes Lachen und ein Händereiben gleichermaßen Freude ausdrücken? Der Bochumer Philosoph Albert Newen hat dazu nun eine Theorie entworfen. Sie besagt, dass wir Emotionen als ein einheitliches Muster möglicher Ausdrucksformen in unserem Geist repräsentieren. Diese Muster machen es möglich, Emotionen auch unter schwierigen Umständen rasch wahrzunehmen und zu identifizieren. Newen vergleicht das mit unserer Fähigkeit, Häuser zu erkennen.
    "Wir haben die Idee, was ein Haus ausmacht. Das Muster kennen wir gut und erkennen wir trotz der großen Varianz von Häusern, von kleinen Fachwerkhaus bis zum Hochhaus. Mit dieser Varianz von Merkmalen, die jeweils als eine Einheit realisiert sind, können wir gut umgehen. Bei Emotionen ist es genauso. Ob es nun Angst oder Freude oder Liebe ist, diese Ausprägungen einer Emotion können sehr verschieden sein, so wie die Häuser verschieden sein können, aber wir können sehr gut diese Einheiten erfassen im Erleben als auch im Erkennen."
    Muster der Emotionen entwickelt
    Albert Newen hat mit dem Bochumer Psychiatrieprofessor Georg Juckel und weiteren Mitarbeitern die verschiedenen Komponenten zusammengetragen, aus denen die Muster der Emotionen bestehen.
    "Die Grundthese ist, dass jede Emotion durch ein typisches Muster von Merkmalen bestimmt werden kann und diese Merkmale im Falle von Angst sind eben typische Körper-, vegetative Körpermerkmale: Schwitzen, Herzfrequenz, Flachatmung; ein typisches Verhalten, nämlich Fluchtflex, Erstarren, oder Verteidigungstendenz; Ausdrucksmerkmale wie Gesichtsausdruck, andere Körperausdrucksformen und dann als weitere Komponente das subjektive Erleben, man hat Angstgefühle. Und schließlich noch manchmal bestimmte kognitive Einstellungen, also Denkinhalte, die ebenfalls zu der Emotion Angst dazu kommen können."
    Jede Emotion stellt also ein bestimmtes Muster aus Körper- und Ausdrucksmerkmalen, Verhaltens- und Denkweisen dar. Da diese Komponenten eng zusammenhängen, können wir ein Gefühl bereits dann wahrnehmen, wenn nur einige dieser Komponenten beobachtbar sind. Und wenn jemand eine Emotion nicht erlebt, also zum Beispiel seine Angst verdrängt, wirken andere Komponenten des Angstmusters trotzdem in ihm. Wenn zum Beispiel Herz und Kreislauf dauerhaft und unbemerkt auf Hochtouren laufen, kann das krank machen.
    Ergebnisse der Neurowissenschaftlerin Kristen Lindquist von der University of North Carolina stützen das Mustermodell der Emotionen. Lindquist erforscht so genannte "Konzeptualisierungen", bei denen Wissen in Form von Begriffen und Deutungsmustern aus dem Gedächtnis abgerufen wird, um Sinnesreizen Bedeutung zu verliehen. In einer ihrer Studien konnte sie zeigen, dass Menschen, die aktuelle Beobachtungen nicht mehr mit solchen Gedächtnismustern verbinden können, auch keine komplexen Emotionen mehr erkennen. Lindquist untersuchte Patienten, bei denen das entsprechende Hirnnetzwerk ausgefallen war.
    "Wir zeigten den Versuchspersonen Gesichtsausdrücke von Menschen: mal lächelten diese, mal zogen sie ihre Augenbrauen zusammen, mal rümpften sie die Nase, als ob sie etwas Übles riechen würden. Und wir zeigten ihnen neutrale Gesichter."
    Gedächtnismuster lösen Emotionen aus
    Die Versuchspersonen sollten diese Bilder einfach in bedeutungsvolle Stapel aufteilen, ohne dass Ihnen die Forscher irgendwelche Vorgaben machten. Das Ergebnis:
    "Gesunde Versuchspersonen teilen solche Gesichter in verschiedene Stapel auf: alle fröhlichen Gesichter, alle traurigen, alle wütenden und alle, die Ekel ausdrückten kamen jeweils in einen Stapel. Die Patienten aber konnten das nicht. Sie produzierten nur drei Stapel: einen für positive Gesichter, einen für negative wie Trauer, Ärger und Ekel und einen für neutrale Gesichter. Da diese Patienten nicht auf Wissenskonzepte und Bewertungsmaßstäbe zurückgreifen konnten, nahmen sie die Gesichter rein affektiv wahr. Sie sahen also nur ganze elementare und generelle Affektmuster positiver, negativer oder neutraler Qualität."
    Wenn das Gehirn nicht mehr fähig ist, Gesichtsausdrücke im Rückgriff auf Wissensbestände zu interpretieren, fällt der Mensch also auf fundamentale Affekte zurück: Positiv, negativ oder neutral. Das lässt sich mit der Mustertheorie der Emotion so zusammenbringen: Es gibt eine einfache biologische Gefühlsausstattung des Menschen: die affektive Unterscheidung zwischen neutral, gut und schlecht, angenehm und unangenehm. Diese ist körperlich im Menschen verankert.
    Kulturell geprägte Bewertungen
    Albert Newen spricht hier von Prä-Emotionen. Je mehr dann kulturell geprägte Bewertungen das Gefühlsleben beeinflussen, desto komplexer und differenzierter wird das Muster der Gefühle, das Menschen besitzen. Und desto einflussreicher wird dann auch die Bewertungskomponente der Emotionen im Gesamtmuster eines Gefühls. Bei den so genanten Basisemotionen wie Angst, Ärger, Freude, oder Trauer kommt das für Albert Newen noch nicht so sehr zum Tragen, sie seien relativ universell gültige Affektprogramme. Dann aber kommen für ihn die so genannten primären und kognitiven Emotionen ins Spiel:
    "Das sind dann Emotionen, die von dem Basisaffektprogramm ausgehend kognitiv aufgeladen werden und dann eine neue qualitative Stufe der Emotion erreichen. Wenn wir zum Beispiel bei Angst eben bleiben, da ist es so: eine Anreicherung von Angst ist ein explizites Denken, dass eine Situation für mich bedrohlich ist, weil hier wenige Menschen in der Umgebung sind. Ich gehe durch einen ein einsames Waldgebiet und habe eben dann diesen Gedanken, dann habe ich nicht nur eine Basisemotion der Angst sondern eine reichere Emotion der Bedrohung. Schließlich kann diese in der Angstdimension befindlicher Emotion noch stärker angereichert sein, wenn es nämlich um meinetwegen Eifersucht in der sozialen Beziehung geht. Wenn ich eine feste Partnerschaft habe, habe ich Erwartungen an das Verhalten des Partners und die sehe ich durch einen Rivalen unterlaufen. Diese Erwartungen und das Denken über sie sozialen Beziehungen kann als Mini-Theorie charakterisiert werden, die eine komplexe Emotion wie Eifersucht in einer Freundschaft bestimmt.
    Die Theorie von Albert Newen beschreibt Emotionen also als flexible Einheiten aus biologischen, körperlichen, verhaltensmäßigen, kulturellen und geistig-kognitiven Aspekten. Damit umgeht sie den alten Streit, ob Emotionen eher körperlicher oder geistiger Natur sind und bindet beide Pole als Komponenten in das Muster der Gefühle ein.