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Musterprozess im Dieselskandal
Für die Anleger geht es um viel Geld

Am Oberlandesgericht in Braunschweig hat ein Musterprozess gegen den VW-Konzern begonnen. Die Kläger werfen dem Konzern vor, Informationen zu lange geheim gehalten zu haben. Insgesamt geht es um einen Schaden von knapp neun Milliarden Euro.

Von Dietrich Mohaupt | 10.09.2018
    Das VW-Hochhaus in Wolfsburg
    Das VW-Hochhaus in Wolfsburg (imago stock&people / Michael Gottschalke)
    Kistenweise Akten schleppten die Anwälte von VW und die Klägeranwälte am frühen Morgen in die Braunschweiger Stadthalle. Es geht bei dem Verfahren um viel Geld – um richtig viel Geld: Immerhin einen Schaden von knapp neun Miliarden Euro machen insgesamt knapp 1.700 Kläger vor dem Landgericht Braunschweig geltend. Mehr als 1.600 von diesen Klagen sind in dem heute beginnenden Musterverfahren gebündelt – die Schadenssumme beläuft sich auf etwa vier Milliarden Euro. Und dieser Schaden gehe zurück auf eine Verletzung der kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten durch den VW-Konzern – bereits im Juni 2008, so die Kernargumentation des Klägeranwalts Andreas Tilp. Er vertritt die Sparkassentochter Deka Investment als Musterklägerin.
    "Zunächst mal – VW hat erkannt, spätestens bis Juni 2008, dass sie es nicht geschafft hat eine Schlüsseltechnologie zu entwickeln, die die strengen Umweltvorgaben in den USA einhält. Das hätte kommuniziert werden müssen. Stattdessen hat VW sich eine Zertifizierung erschlichen in den USA, also eine Zulassung für die Motoren – das war der Betrug."
    Dieser Betrug habe dazu geführt, dass Investoren VW-Aktien zu teuer gekauft hätten. Wenn die Kapitalmärkte über das Scheitern der Dieselpläne von VW in den USA und über den daraus folgenden Betrug informiert gewesen wären – dann wären nicht die hohen Preise für VW-Aktien gezahlt worden, so die Argumentation Tilps. VW hält dagegen – es gehe nicht um Scheitern oder Betrug, meint Markus Pfüller, einer der Anwälte, die Volkswagen vertreten.
    "In diesem Verfahren geht es ausschließlich um die Frage, ob Volkswagen seine Informationspflichten gegenüber den Aktionären und dem Kapitalmarkt erfüllt hat – wir sind davon überzeugt, das ist der Fall. Und wie in solchen Verfahren üblich, geht es jetzt erst einmal darum den weiteren Fahrplan festzulegen, wir erwarten dazu die Sichtweise des Gerichts, und daraus ergibt sich dann auch, zu welchen Sachverhalten Beweis erhoben wird und gegebenenfalls Zeugen geladen werden."
    "Wer hat wann was gewusst?"
    Diese Erwartung hat der Vorsitzende Richter bereits zu einem gewissen Teil erfüllt – so hat er bereits mitgeteilt, dass er Ansprüche gegen VW aus den Jahren 2008 bis 2012 wegen Verjährung für nicht mehr einklagbar hält. Er verwies aber auf eine Studie der Umweltorganisation ICCT aus dem Jahr 2014, aus der erstmals deutlich wurde, dass bestimmte Dieselmotoren von VW auf dem Prüfstand ganz andere Schadstoffwerte erreichten als im regulären Fahrbetrieb. Daraus ergebe sich für VW möglicherweise eine Mitteilungspflicht gegenüber den Kapitalmärkten, so der Richter. VW müsse jetzt nachweisen, in dieser Situation durch Unterlassung einer entsprechenden ad-hoc-Mitteilung nicht schuldhaft gehandelt zu haben. Damit rückt zunehmend eine Frage in das Zentrum des Verfahrens, die auch für Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz von ganz entscheidender Bedeutung ist.
    "Die wichtigste Frage ist natürlich: Wer hat wann was gewusst, wann ist auf Vorstandsebene Kenntnis über die missbräuchliche Verwendung dieser Software gewesen und das ist natürlich die zentrale Frage, die auch in allen Anlegerprozessen eine zentrale Rolle spielen wird. Was VW dazu sagt, ist eigentlich nebensächlich, dass der Konzern auf dem Standpunkt steht, er habe nichts falsch gemacht, das ist hinlänglich bekannt."
    Außerdem hat er Vorsitzende Richter in seiner Einführung noch angekündigt, sich intensiv mit der Frage beschäftigen zu wollen, was eigentlich eine mitteilungspflichtige Insider-Information sei, und wie der Personenkreis im VW-Konzern zu definieren sei, der von den Abgasmanipulationen hätte wissen müssen.