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Mutiges Engagement

Im zentralafrikanischen Staat Burundi hat der Wahlkampf begonnen, und die Machthaber werden zunehmend nervös gegenüber Kritik. Die kommt vor allem vonseiten der Nichtregierungsorganisationen, die eine immer wichtigere Rolle im täglichen Leben der Menschen spielen. Sie sind Korrektiv und Opposition.

Von Christiane Kaess | 08.05.2010
    In vielen Ländern Afrikas spielt die Zivilgesellschaft eine immer wichtigere Rolle im täglichen Leben der Menschen. Dieser Teil der Gesellschaft im Zwischenbereich von Staat, Wirtschaft und Privatsphäre setzt sich großteils aus Nicht-Regierungsorganisationen zusammen. Sie sehen sich oft als ausgleichendes und korrigierendes Gegengewicht zu korrupten Regierungen. Weil die öffentlichen Institutionen nicht so funktionieren, wie sich die Bürger das wünschen, übernehmen diese Organisationen deren Rolle. Christiane Kaess hat im zentralafrikanischen Burundi Vetreter der Zivilgesellschaft getroffen. In dem kleinen Nachbarland von Ruanda haben sie vor den anstehenden Wahlen alle Hände voll zu tun. Einige der Engagierten riskieren bei ihrem Einsatz für Menschen-, und Bürgerrechte ihr Leben.

    Gabriel Rufyiri probiert zum fünften Mal, eine Telefonverbindung herzustellen. Aber die instabilen Mobilfunknetze des Landes, scheinen wieder einmal überlastet. In dem fensterlosen, stickigen Raum stapeln sich Akten und lose Papiere: Material von mehr als 10.000 Dossiers über Korruption und Missmanagement in Burundi. In Regierung und Privatwirtschaft, in lokalen und internationalen Organisationen.

    "Korruption ist überall. Aber sie könnte nicht bestehen, wenn die Regierung die richtigen Maßnahmen ergreifen würde. Doch leider hat sie noch nicht viel erreicht."

    Rufyiri ist Präsident von OLUCOME - eine französische Abkürzung für "Wächter gegen Korruption und Veruntreuung". Bevor OLUCOME 2002 ins Leben gerufen wurde, habe in Burundi kaum jemand über Korruption gesprochen, erzählt der ernste Mann.

    Das ist heute ganz anders. In dem langen Flur vor seinem Zimmer sitzen Männer und Frauen, die dazu beitragen wollen, Informationen zu sammeln. Etwa über Regierungsbeamte, die doppelt öffentliche Gehälter beziehen oder ihre Dienstwagen ungeniert und illegal für alle privaten Fahrten nutzen. Über den Wartenden hängt in einem Holzrahmen das Foto von Ernest Manirumva, einem smarten Mann mit wachen Augen. Vor einem Jahr wurde der damalige Vize-Präsident von OLUCOME umgebracht.

    "Bis heute sind bereits mehrere Kommissionen geschaffen worden, die alle den Mord aufklären sollen. Bis heute gibt es keine offiziellen Ergebnisse. Wir aber werden weiter bedroht."

    Dass in den öffentlichen Institutionen niemand an einer schnellen Aufklärung des Mordes interessiert ist, erstaunt Gabriel Rufyiri nicht. Ernest Manirumva war im Besitz mehrerer Dossiers über Korruption in der burundischen Regierung. Am Abend seiner Ermordung wurde er aus seinem Büro verschleppt und schließlich in seinem Haus erstochen. Seine Mörder durchwühlten beide Orte, auf der Suche nach den belastenden Dokumenten. Teile der Polizei und des burundischen Geheimdienstes sollen den Mord initiiert haben. Das entsetzliche Attentat habe dennoch nichts an der Arbeit von OLUCOME geändert, meint Gabriel Rufyiri.

    "Überhaupt nicht! Wir waren psychologisch darauf vorbereitet, denn auch ich weiß, dass ich irgendwann ermordet werden kann. Deshalb sind sowohl meine Familie als auch unsere Mitarbeiter hinreichend darauf vorbereitet. Die Frage, die sich uns immer stellt ist: Hören wir deswegen auf mit unserer Arbeit oder machen wir weiter? Und die Antwort ist: Wir machen weiter!"

    Ein paar Straßen weiter, bei der "Vereinigung für die Rechte der Frauen", im Französischen kurz ADDF, beendet Mireille Niyonzima gerade eine kleine Personalversammlung. Ihre Mitarbeiter beschäftigen sich mit einem Phänomen, das in Burundi alltäglich ist: Gewalt gegen Frauen. Unter anderem haben sie Frauenhäuser für Betroffene eingerichtet. Für die zahlreichen Programme zur Frauenförderung stützt sich die Nichtregierungsorganisation auf namhafte internationale Sponsoren. Der Staat gebe nichts, erzählt Mireille Niyonzima, man sei aber in gutem Kontakt.

    "Die Regierung weiß sehr gut, dass wir starke Aktionen auf die Beine stellen können, denn viele Frauen machen mit, auch wenn sie in Armut leben. Wenn wir Druck machen wollen, sind sie dabei. Ich erzähle Ihnen ein Beispiel: Ein Mann hatte seiner Frau beide Arme abgehackt. Sie hat hier bei uns gewohnt. Der Mann wurde verurteilt und eine Woche später wieder aus dem Gefängnis entlassen. Das konnten wir nicht hinnehmen. Wir sind auf die Straße gegangen, zum Präsidenten marschiert. Zwei Tage später wurde der Mann wieder verhaftet, jetzt ist er im Gefängnis."

    Für Niyonzima ist die Gewalt gegen Frauen tief in der burundischen Kultur verwurzelt, und doch sieht sie Fortschritte - auch dank der Arbeit der Zivilgesellschaft:

    "Die Misshandlungen werden jetzt öfter angeprangert, denn heute haben wir Hilfsstrukturen, wie Frauenhäuser, und können Schutz bieten. Es gibt immer mehr Frauen, auch auf dem Land, die aufstehen und sagen: Nein, das akzeptieren wir nicht! Auch die Behörden haben heute zumindest gute Absichten. Früher haben sie gesagt: Ach, das sind Frauengeschichten, damit können wir nichts anfangen. Heute sind sie bereit, darüber zu diskutieren. Es gibt also noch viel für die Frauenrechte zu tun, aber es geht voran."

    Burundi steht vor einem Wahlmarathon. Ab Ende Mai werden neue kommunale Vertreter gewählt, ein neues Parlament und ein neuer Präsident. Die politischen Akteure laufen sich seit Wochen warm. Auch die Frauenorganisationen im Land wollen ihren Einfluss geltend machen und erreichen, dass die Frauen stärkere politische Präsenz bekommen. Deshalb klären sie Frauen in Städten und auf dem Land über den Wahlprozess auf und leisten weiblichen Kandidaten auf den Listen der Parteien Hilfestellung.

    Einfacher wird es für die engagierten Bürger in den kommenden Wochen nicht. Im Wahlkampf werden die Machthaber zunehmend nervös gegenüber Kritik.

    In einem Gemeindezentrum der katholischen Kirche singen sich gut 60 Männer und Frauen warm, bevor sie sich zum Wahlbeobachter schulen lassen. Auf großen Tafeln erklärt die Ausbilderin den Ablauf. Für die Beobachtung der Wahlen haben sich einige Organisationen zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Mit dabei sind auch die verschiedenen Glaubensgemeinschaften des Landes.

    Bereits vor dem Urnengang werde manipuliert, sagt Jean-Marie Vianney, Präsident des Zusammenschlusses der Organisationen, und er zählt auf: Drohungen bei der Wählerregistrierung, Versammlungsverbote für Oppositions-Parteien. Manche Parteien verteilten gar Waffen an ihre Mitglieder, politisch Aktive seien bereits umgebracht worden.
    Vianney, ein älterer Mann mit grauen Haaren, war von Anfang an dabei beim Aufbau der Zivilgesellschaft seines Landes. Er sieht sie - trotz aller Probleme - heute in einer komfortablen Position.

    "Durch die Medien und unsere Vereinigungen können wir das Verhalten der Regierenden beeinflussen. Die burundische Zivilgesellschaft hat sich so weit entwickelt, dass die Regierung sie als Opposition wahrnimmt. Aber uns geht es darum, die Dinge zu verändern - bis zu dem Tag, an dem die Bevölkerung verstanden hat, was ihre Rechte sind, und die Regierung, dass sie die Verpflichtung hat, unsere Bürger zu schützen."

    Mittlerweile gibt es in Burundi so viele zivilgesellschaftliche Organisationen, dass Kritiker manche schon für überflüssig halten. Bei der Suche um meist internationale Finanzierung grabe man sich gegenseitig das Wasser ab, heißt es. Vianney widerspricht. Es gebe nicht zu viele Organisationen, deren finanzielle Abhängigkeit von außen aber sei ein Problem.

    ""Die burundische Zivilgesellschaft sollte sich aus eigenen Mitteln organisieren können. Das ist für mich eine Frage der Reife der Zivilgesellschaft. Die Bevölkerung muss deren Rolle verstehen, damit sie morgen selbst zu ihrer Entwicklung beitragen kann."