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Mutmacher und Moscheekonflikte

Der Islamwissenschaftler Navid Kermani hat immer wieder die Lupe auf die Beziehungen des Westens zu den Ländern des Nahen Ostens gesetzt. In seinem neuen Buch "Wer ist wir - Deutschland und seine Muslime" erzählt Kermani von seinem Leben als Kind iranischer Eltern in Deutschland. Auch der Soziologe Claus Leggewie ist ein Kenner der multikulturellen Gesellschaft. In seinem neuesten Buch liefert er eine Art Bestandaufnahme über Moscheen in Deutschland.

Von Rupert Neudeck | 23.02.2009
    Auf die Frage, was seine Heimat sei, antwortet Navid Kermani nicht: Deutschland. "Meine Heimat ist Köln geworden". Und er sagt, er hätte diesen "deutschen Politikern gern erzählt, was für ihn ein echter Identitätskonflikt wäre: Nicht zwei Ausweispapiere zu haben, sondern wenn der 1. FC Köln gegen die iranische Nationalmannschaft spielte!"

    Dieses Buch könnte Schneisen in ein normaleres Zusammenleben von In- und Ausländern schaffen. Navid Kermani ist ein richtiger Deutscher und da er auch ein richtiger Muslim ist, versteht er die Deutschen nicht: Die wollen immer, dass die Muslime zu richtigen Deutschen mutieren. Aber ist er denn nicht ein richtiger Deutscher? Was fehlt ihm? Und, wenn es ihm dem Autor dann zu bunt wird, geht er zurück zum Kölner Dialekt. In der Dankesrede für den Preis einer Stiftung redet er über Geld. Als Kölner sagt er wie die Kölner: "Dat is n lecker Sümmsche!"

    Navid Kermani macht klar: Es geht um Unterscheidung. So müsse man den Konflikt vor 20 Jahren wegen Salman Rushdies "Satanischen Versen" von dem Fall des dänischen Karikaturenstreites trennen. Der dänische Streit sei eine Provokation der muslimischen Gemeinde durch eine publicity-süchtige Zeitung in Dänemark, die es vier Monate nicht geschafft hatte, die Muslime so zu provozieren, dass sie sich wehren würden.

    In dem Fall der dänischen Mohammed Karikaturen - so Kermani - reagierten die Muslime wiederum

    wie Pawlowsche Hunde: vorhersehbar, gedankenlos, aggressiv. Sie kläfften auf Lichtzeichen und bissen zu auf Befehl. Ein großer Teil der iranischen und Arabischen Öffentlichkeit hatte nicht begriffen, dass man nicht zur Gewalt greift, nur weil man sich ärgert, oder beleidigt fühlt.

    In der globalisierten Welt gäbe es friedliche und weit effizientere Mittel, die eigene Position zu vertreten. Jeder Konsument hätte zum Beispiel die Möglichkeit, eine Ware zu boykottieren.

    Diese gewalttätigen Muslime haben das Vermächtnis des Propheten ungleich mehr in den Schmutz gezogen als die Karikaturen selbst. Ihre Gewalttätigkeit zeigt, wie weit die arabischen Öffentlichkeiten noch entfernt sind, von den zivilisatorischen Standards, der Fairness und Ausgewogenheit, die sie vom Wersten erwarten.

    Der Fall der dänischen Karikaturen war ein Beispiel dafür, wie westliche und nichtwestliche Medien in "perfektem Zusammenspiel" innerhalb weniger Tage jene Massenhysterie erzeugen können, über die sie dann berichten. Diese Abfolge aus Provokation, Drohung, Einlenken und der Empörung über das Einlenken wiederhole sich bei allen Erregungen, die das Thema Islam alle paar Monate erzeuge. Manchmal sei das alles schon so eingefahren, dass man nicht einmal mehr die Drohung brauche: So durfte der Künstler Gregor Schneider den schwarzen Kubus, der an die Kaaba erinnern soll, weder in Venedig noch in Berlin ausstellen, obwohl die muslimischen Verbände beider Länder beteuerten, überhaupt nicht beleidigt zu sein.

    Kermani lebt, wie er uns als Kölner, Deutscher, Muslim, Isfahaner klarmacht, sehr gern in der Bundesrepublik, die sich auch mal loben lassen sollte. "Die Zusammensetzung der Bevölkerung hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte fundamental verändert, ohne dass es zu sozialen Spannungen gekommen ist".

    Er ist aber kein Appeaser. Im Fall von Murat Kurnaz habe die deutsche Politik versagt. Die Medien gleich mit. Dieser Mitbürger aus Bremen hat vier Jahre unschuldig in Guantanamo Bay gesessen, und er blieb dort bis August 2006, weil die deutschen Behörden ihm die Einreise verweigerten. Kermani kritisiert den deutschen Außenminister. Steinmeier habe sich vorgeblich deshalb nicht um die Freilassung bemüht, weil Kurnaz eine türkische Staatsbürgerschaft habe, obwohl er in Bremen geboren war. Der Autor ist da unerbittlich:
    "Selbst wenn Kurnaz ein Chinese mit Wohnsitz in Kenia gewesen wäre, hätten sich die deutschen Behörden um ein Ende der rechtswidrigen Inhaftierung bemühen müssen." Das sei ein Gebot der Menschenrechte und habe nichts mit dem Pass zu tun.

    Kermani:

    Wieso sind die Herren Steinmeier und Otto Schily nicht einmal nach Bremen, gefahren, um Murat Kurnaz und seine Mutter zu besuchen? Sie hätten ihnen sagen können, dass sie sich im nachhinein falsch, aber unter den damaligen Umständen vielleicht doch nicht ganz ohne Grund so verhalten hätten.

    Diese Schrift will weniger Streit verursachen, sie will Mut machen. Darin liegt ihre überragende Bedeutung: Sie ist so geschrieben, dass sie jeder verstehen kann, sie stellt vieles klar, aber sie belehrt nicht. Und sie ist von einem Theologen geschrieben, der vom Fußball was versteht. Und ihr Autor belegt, wie man ein Fan vom 1. FC Köln sein kann, ganz gleich ob man mit Kölsch getauft wurde oder mit dem Mekka-Wasser.

    Das zweite Buch vereinigt drei verschiedene Beiträge. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie beschreibt die akuten und latenten Moscheekonflikte, die sich in Deutschland bisher ergeben haben. Die Religionswissenschaftlerin Bärbel Beinhauer-Köhler schreibt über die Architektur von Moscheen in Deutschland und im islamischen Orient.

    Aber der aufregendste Beitrag taucht auf dem Titelbild des Buches noch gar nicht auf: Es ist der Beitrag des bosnischen, mittlerweile in Deutschland lebenden Architekten Alen Jasarevic, der die ganz andere architektonische Form der Moschee in dem bayerischen Ort Penzberg beschreibt. Jasarevic wurde von dieser Gemeinde ausgesucht, diese Moschee zu bauen, ein Gebäude zu errichten, auf das die Penzberger stolz sein konnten. Jasarevic:

    Moscheen waren immer Orte der Kommunikation und nicht primär Orte der Repräsentation. Gerade in der pluralistischen Gesellschaft ist die kommunikative Aufgabe von grundsätzlicher Bedeutung. Das große Fenster der Moschee taucht den Gebetsraum in blaues Licht.

    Während der Bauzeit fiel dem Architekten ein älterer Penzberger auf, der regelmäßig die Baustelle besuchte. Eines Tages fragte er den Architekten, wann denn das Minarett kommen würde? Er wohnte genau gegenüber der Moschee und war sehr besorgt. Der Architekt versicherte ihm, dass die muslimische Gemeinde der Stadt mit dem Minarett ein besonderes Kunstwerk schenken würde. Es kam dann auf einem LKW geladen an und wurde aufgestellt. Alle beobachteten die Arbeit. Am folgenden Abend wurde das Licht im Innern des Minaretts eingeschaltet. Der ältere Herr bedankte sich beim Vorstand. Er würde am Abend seinen Kaffee am Fenster mit zurückgezogenen Gardinen trinken und die schöne Aussicht genießen.

    Das "Penzberger Tagblatt" überschrieb seinen Artikel auf der ersten Seite. "Moschee wertet Penzbergs Stadtbild auf!"

    Die Wissenschaftlerin Beinhauer-Köhler schließt erst mal die Geschichte der letzten 300 Jahre auf, sie informiert über die vielen Moscheen und islamischen Friedhöfe, die es schon in der Zeit des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. gab. Für 20 tartarische Kriegsgefangene - ein Geschenk des Herzogs von Kurland wurde ein Gebetsraum eröffnet im "königlichen Waisenhaus". Es gab auch damals vereinzelt Moscheen und islamische Friedhöfe.

    In dieser Zeit der großen Preußenkönige habe es viel Toleranz gegenüber anderen Religionen, zumal dem Islam gegeben.

    Claus Leggewie hat sich der Frage angenommen: warum es Moscheebaukonflikte gibt und wie man mit ihnen umgehen kann? Er beschreibt ausführlich die bisherigen Konflikte als Lehrstücke, um aus diesen Fällen Handlungsanweisungen für deutsche Gemeinden und Kommunen herauszufiltern. Die Fallbeispiele sind breitgestreut, und selten ging es so harmonisch zu wie im geschilderten Fall von Penzberg. Es ging besonders heftig in München zu, in Essen, im Hinterland in der hessischen Peripherie.

    Besonders gut verlief alles in Duisburg. Auch in Köln, wo es nach Einschätzung von Leggewie erst einmal nicht nach Konflikt aussah. Der Plan zu einer Zentralmoschee in dem größten Viertel von Köln Ehrenfeld stammte von zehn muslimischen Vereinigungen unter Anführung des bosnischen Kulturvereins. Damals waren die politischen Kreise, an der Spitze der OB Schramma von der CDU, für eine große Kölner Moschee. Dann kam die DITIB, der, so Leggewie, Kölner Platzhirsch auf den Plan und es sah immer noch ganz gut aus. Aber dann tauchte die "Pro Köln" Gruppe, ein lokaler Ausläufer der Republikaner auf. Ganz unabhängig davon der Kölner Schriftsteller Ralph Giordano, der die Stadt Köln 2007 aufforderte, die Pläne zum Bau einer Großmoschee einzustellen. Der Kölner Fall - so der Autor - sei "Teil eines europäisch-türkischen Dramas um die Zugehörigkeit islamischer Teilgesellschaften zum säkularen Westen".

    Das Buch hat einen wohltuend nüchternen Stil, es informiert, zeigt auf, aber belehrt nicht. Jeder Leser wird zum Nachdenken angeregt, aber nicht indoktriniert. Das ist bei diesem Thema schon sehr viel.

    Rupert Neudeck über Navid Kermani: Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime. Erschienen bei C.H. Beck, 160 Seiten für 16 Euro 90. Das zweite Buch heißt Moscheen in Deutschland. Religiöse Heimat und gesellschaftliche Herausforderung. Die Autoren sind Bärbel Beinhauer-Köhler und Claus Leggewie, ebenfalls bei C.H. Beck erscheien, 224 Seiten, der Preis: 12 Euro 95.