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Mutmaßlich rechtsextremer Angriff
Mit Schraubenschlüssel und Messer gegen Journalisten

Ende April wurden im thüringischen Eichsfeld Journalisten brutal angegriffen. Sie hatten über die rechtsextreme Szene berichtet. Ein Opfer-Anwalt spricht von versuchter Tötung. Doch bis die Täter ermittelt sind und es zu einem Prozess kommt, wird es wohl noch dauern.

Von Henry Bernhard | 14.05.2018
    Einer der beiden mutmaßlichen Angreifer der Journalisten im Eichsfeld.
    Einer der beiden mutmaßlichen Angreifer der Journalisten im Eichsfeld. (MM)
    "Hier oben im Oberschenkel hat der Schnitt mich getroffen. Und hier sieht man noch Reste von blauen Flecken. Da hat er versucht, auch hier oben versucht, zuzustechen." Der junge Mann, der seinen Namen lieber nicht öffentlich machen will, zeigt blaue Flecken am Oberarm und den Verband am Oberschenkel. "Gestern wurden mir die Fäden gezogen von dem Stich. Das verheilt so langsam. Aber ich realisiere so langsam, was da alles hätte schieflaufen können, wären sie noch brutaler vorgegangen. Da hätte das auch mit dem Tod enden können, gerade das Messer, was der eine Täter immer wieder in meine Richtung gestochen hat."
    Der Journalist informiert Zeitungen über die extrem rechte Szene in Süd-Niedersachsen. Kurz vor dem 1. Mai war er in Fretterode unterwegs, im Eichsfeld. Dort lebt der Thüringer NPD-Vorsitzende Thorsten Heise, ein wegen schwerer Körperverletzung, Landfriedensbruchs, Nötigung und Volksverhetzung vorbestrafter Neonazi. Zum Tag der Arbeit hatte Heise in Erfurt eine Demonstration der NPD angemeldet. Der junge Journalist wollte die Vorbereitungen beobachten." Wir standen quasi vor dem Haus und wollten dokumentieren, welche Personen der extremen Rechten dort zu einem erwarteten Treffen ankommen würden."
    Jagd mit Schraubenschlüssel, Pfefferspray und Messer
    Als ein junger Mann Heises Grundstück verließ, fotografierte der Journalist ihn auf der Straße. Dann ging alles ganz schnell. Ein zweiter Mann soll von Heises Grundstück gekommen sein, ein Foto des Journalisten zeigt einen von ihnen rennend, mit verspiegelter Sonnenbrille, ein Tuch vors Gesicht gebunden, mit einem sehr großen, schweren Schraubenschlüssel in der Hand. Der Journalist und sein Fahrer fuhren davon, bekamen von den beiden Männern mit deren Auto den Weg versperrt. Sie rasten im Rückwärtsgang durch das Dorf, wurden durch mehrere Dörfer verfolgt, landeten am Ende im Straßengraben, erzählen sie. "Und just in dem Moment wurde uns die Heckscheibe schon eingeschlagen, das Fahrerseiten-Fenster wurde eingeschlagen und Pfefferspray in unser Auto gesprüht."
    Sein Fahrer bekam den schweren Schraubenschlüssel auf den Kopf. Der Journalist versuchte seine Kamera zu verteidigen, die der vermummte Täter erbeuten wollte. "Just in dem Moment habe ich dann die Kamera in den Fußbereich der Fahrerseite gestellt und habe dann bei diesem Rüberbeugen zur Fahrerseite einen Schmerz im Oberschenkel gespürt." Weitere Messerstiche konnte der Journalist abwehren; die Kamera aber hätten die Täter geraubt.
    Das LKA ermittelt
    Der Anwalt des Journalisten, Sven Adam, erwartet ein energisches Vorgehen von Justiz und Polizei. "Da reden wir über eine gefährliche Körperverletzung, auf jeden Fall schon. Wir reden auch über ein versuchtes Tötungsdelikt. Da bin ich schon der Auffassung, dass bei dieser Art von Angriff die Tötung eines Menschen billigend in Kauf genommen worden ist und entsprechend auch nach einem Tötungsdelikt ermittelt werden müsste."
    Inzwischen hat das Thüringer Landeskriminalamt die Ermittlungen an sich gezogen. Zur Verwunderung der Überfallenen wurde noch niemand verhaftet, obwohl sie einen Täter angeblich zweifelsfrei identifizieren und Fotos des anderen zur Verfügung stellen konnten, da sie die Speicherkarte gerettet hatten. Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen mahnt zur Gelassenheit. Pressesprecher Ulf Walther widerspricht außerdem dem Verdacht auf eine versuchte Tötung: "Die andere Sache ist, dass wir natürlich einen dringenden Tatverdacht für eine Haftfrage brauchen. Und dazu muss die Identität der Tatverdächtigen zweifelsfrei geklärt sein. Und daran arbeitet die Polizei derzeit."
    NPD: "Antifaschisten mit einem Presseausweis"
    Derweil spielte das Objekt des journalistischen Interesses in Fretterode, Thorsten Heise, auf der 1. Mai-Demo der NPD in Erfurt den Vorfall herunter: Er sei gar nicht zu Hause gewesen. Und ihm unbekannte Bauernburschen hätten das Dorf verteidigt gegen die Antifa, die mit Baseballschlägern gekommen sei.
    Auf einer NPD-Kundgebung im Februar hatte Heise schon seine Sicht auf die Presse dargelegt. "So weiß ich aber heute ganz genau, dass eines unserer Hauptfeindbilder diese Journaille sein muss. Die sind blanke Antifaschisten mit einem Presseausweis. Die haben nur eine einzige Aufgabe. Als fünfte Kolonne dieses Staates nationale Menschen wieder auf den Weg zurückzupressen."
    Angriff, der Spuren hinterlassen hat
    Der Anwalt der Angegriffenen, Sven Adam, sieht gerade im Angriff auf Journalisten eine Besonderheit. "Letztendlich ist natürlich die Intensität dieses Angriffs und die Bedeutung dieses Angriffs und das Ziel dieses Angriffs noch mal eine besondere, wenn man halt weiß, dass es offensichtlich darum geht, Berichterstattung zu verhindern. Und das sollte sich am Ende im Strafmaß auswirken."
    Auch, wenn es noch dauern kann, bis die Täter ermittelt sind und es zu einem Prozess kommt - bei dem jungen Göttinger Journalisten hat der Angriff schon eines bewirkt: "Ich werde noch auf Demonstrationen, auf Events fahren, wo Polizeischutz da ist und ich meine Fotos machen kann und ich die extreme Rechte beobachten kann. Aber solche Rechercheaufträge werde ich auf jeden Fall erst mal in den nächsten Monaten, im nächsten halben Jahr, im nächsten Jahr nicht mehr machen. Was dann kommt, wenn ich das richtig alles verarbeitet habe, kann ich noch nicht absehen."