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Mutmaßliche NS-Verbrecher aufgespürt
Reicht Tätigkeit als Wachmann für eine Verurteilung?

Deutsche Ermittler haben acht mutmaßliche Nazi-Kriegsverbrecher aufgespürt. Nach Angaben der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen handelt es sich um vier Männer und vier Frauen, die im deutschen Konzentrationslager Stutthof bei Danzig tätig waren. Ihnen werde Beihilfe zum Mord vorgeworfen.

09.08.2016
    Das Museum in Stutthof am ehemaligen KZ bei Danzig.
    Im KZ Stutthof bei Danzig wurden zwischen Juli 1944 und Mai 1945 etwa 27.000 Menschen von den Nationalsozialisten ermordet. (picture alliance / dpa / Piotr Wittman)
    Die vier Männer seien als Wachleute, die vier Frauen als Schreibkraft, Telefonistin oder Fernsprechvermittlerin in dem KZ tätig gewesen, teilte der Leiter der Ermittlungsbehörde, Oberstaatsanwalt Jens Rommel, der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart mit. Es gehe um Beihilfe zum Mord in Tausenden Fällen. Rommel zufolge wurden die Ergebnisse der Vorermittlungen an die jeweiligen Staatsanwaltschaften geschickt. Diese müssen nun entscheiden, ob Anklage erhoben wird. Im Konzentrationslager Stutthof wurden zwischen Juli 1944 und Mai 1945 rund 27.000 Menschen ermordet. Die meisten von ihnen waren Juden.
    Alle acht Verdächtigen leben den Angaben zufolge im Bundesgebiet. Der älteste der ehemaligen Wachleute sei 1918 geboren, die jüngste der zivilen Mitarbeiterinnen 1927. Einer der Männer wohne im westlichen Münsterland. Es soll sich um einen ehemaligen SS-Mann handeln, der von 1942 bis 1944 in Stutthof eingesetzt gewesen sei. Er wurde nach Angaben der NRW-Schwerpunktstaatsanwaltschaft bereits vernommen, streitet eine Beteiligung aber ab.
    Unklar, ob es für eine Verurteilung reicht
    Nach Einschätzung Rommels war Stutthof spätestens ab Juli 1944 ein Vernichtungslager. "In dem KZ gab es systematische Tötungen durch Genickschüsse oder in Gaskammern." Ob die Arbeit als Wachmann oder Telefonistin für eine Verurteilung ausreiche, sei schwer einzuschätzen, sagte Rommel. "Wir wissen nicht, ob wir rechtlich den Kreis so weit ziehen können."
    Die Experten der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg suchen zudem nach weiteren möglichen Verdächtigen, die etwa in den Lagern Bergen-Belsen und Neuengamme tätig waren. Auch zu den NS-Vernichtungslagern Auschwitz und Majdanek gingen die Vorermittlungen weiter, betonte Rommel.
    Rommel hofft im Fall Gröning auf eine Klarstellung des BGH
    Der Behördenleiter sagte zudem, er hoffe auf eine baldige Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Revision im Fall des früheren SS-Manns Oskar Gröning. Der heute 95-jährige Gröning war am 15. Juli 2015 vom Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen im Konzentrationslager Auschwitz zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Sowohl Nebenklage als auch Verteidigung legten Revision ein.
    "Wir erhoffen uns eine Klarstellung des BGH, wie aus heutiger Sicht die Eingliederung in ein Konzentrationslager juristisch zu bewerten ist", erklärte Rommel. Wünschenswert sei, dass das BGH ausgehend vom Fall Gröning seine Haltung aus dem Jahr 1969 korrigiere.
    Damals reichte nach Ansicht der Richter nicht jede Eingliederung in das Konzentrationslager Auschwitz für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord. Dagegen ist die Zentrale Stelle in Ludwigsburg der Ansicht, dass jeder als Gehilfe gilt, der in seiner Funktion die Massentötungen "objektiv gefördert oder erleichtert hat".
    Jens Rommel vor der Zentrale: Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
    Jens Rommel, Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
    Mehr als 7.500 Ermittlungsverfahren an Staatsanwaltschaften übergeben
    Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen hat seit ihrer Gründung im Dezember 1958 mehr als 7.500 Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaften übergeben. Nach eigenen Angaben sichtet die Behörde weltweit Material vor allem aus Archiven, um Nazi-Verbrechen aufzudecken und noch lebende Verantwortliche benennen zu können. Werden die Experten fündig, geben sie den Fall an die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft ab, die ihn vor Gericht bringen oder das Verfahren einstellen kann. Selbst Anklage erheben kann die Ludwigsburger Behörde nicht.
    Ein Sonderstrafrecht für NS-Verbrechen gibt es nicht. Grundlage für die Ermittlungsarbeit ist daher das allgemeine Strafrecht. Als die Zentrale Stelle 1958 ihre Arbeit aufnahm, gab es für Mord noch eine Verjährungsfrist. Man ging deshalb damals davon aus, dass die Arbeit zeitlich begrenzt sein würde. Die Verjährung wurde später allerdings abgeschafft.
    (kis/tzi)