Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Mutmaßlicher Giftgas-Angriff in Syrien
Die Machtlosigkeit des UNO-Sicherheitsrats

Der Linken-Politiker Stefan Liebich hat mit Blick auf den Krieg in Syrien den UNO-Sicherheitsrat kritisiert. Fünf der ständigen Mitglieder des Gremiums seien militärisch in Syrien aktiv, zum Teil auf entgegengesetzten Seiten, sagte Liebich im Dlf. Das Völkerrecht interessiere offenkundig niemanden mehr.

Stefan Liebich im Gespräch mit Anne-Kathrin Büüsker | 06.02.2018
    Fallback Image
    Die Verantwortlichen der Weltgemeinschaft hätten sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Interessen im Syrien-Konflikt selber lahmgelegt, kritisierte der Linken-Politiker Stefan Liebich im Dlf (Deutschlandradio)
    Ann-Kathrin Büüsker: Der Krieg in Syrien hat durch den Einmarsch der Türkei im Norden des Landes eine neue Front bekommen. Die türkische Armee und die Freie Syrische Armee rücken gegen die Kurden vor, wollen die Stadt Afrin erobern und eine Pufferzone entlang der türkischen Grenze schaffen. Die Türkei hat jetzt sogar einen Armeestützpunkt auf syrischem Gebiet errichtet, südlich von Aleppo.
    Derweil geht der Bürgerkrieg im Rest des Landes weiter. Die Provinz Idlib wird noch von Regierungsgegnern gehalten und dort in der Stadt Sarakeb, da gab es gestern einen Zwischenfall, den die syrischen Weißhelme als Chlorgasangriff deuten. Ein Hubschrauber habe eine Chlorgasbombe abgeworfen, die zwar nicht explodierte, aber es strömte trotzdem Gas aus und mindestens zwölf Menschen sollen dabei verletzt worden sein. – Wie das bei Nachrichten aus dem Krieg so ist: Unabhängige Bestätigungen dafür gibt es nicht.
    Eine verworrene Lage, auf die ich jetzt mit Stefan Liebich schauen möchte. Er ist außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke. Guten Morgen, Herr Liebich.
    Stefan Liebich: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Es gibt wieder Berichte über einen Giftgaseinsatz in Syrien. Wieso gelingt es der Weltgemeinschaft nicht, das zu unterbinden?
    Liebich: Weil sich die verantwortlichen Gremien der Weltgemeinschaft selber lahmgelegt haben, wie auch dieses aktuelle Ereignis wieder zeigt. Wenn es der UN-Sicherheitsrat nicht einmal schafft, sich darauf zu verständigen, dass diese Vorfälle unabhängig untersucht werden, geschweige denn, wenn es tatsächlich geschehen sein sollte, das gemeinsam zu verurteilen, dann zeigt das die Machtlosigkeit des eigentlich mächtigsten Gremiums.
    Büüsker: Aber es gibt ja von der UN durchaus Untersuchungen, die bewiesen haben, dass die syrische Regierung immer wieder Giftgas eingesetzt hat.
    Liebich: Das stimmt. Das haben die Vereinten Nationen in den letzten Jahren leider feststellen müssen. Und das ist deshalb so tragisch, weil es eigentlich die Verabredung gab, dass sämtliche Chemiewaffenbestände aus Syrien entfernt und vernichtet werden. Das ist ja auch mit einem Großteil geschehen, aber offenkundig nicht mit allem.
    Büüsker: Aber wieso gelingt es der Weltgemeinschaft dann nicht, trotzdem etwas zu tun, wenn ja klar ist, da läuft etwas falsch?
    Liebich: Weil leider die wichtigen Vertreter der Weltgemeinschaft unterschiedliche Interessen in Syrien verfolgen. Wenn wir uns anschauen, dass vier von fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats militärisch in Syrien aktiv sind, zum Teil auf entgegengesetzten Seiten, wenn das Völkerrecht offenkundig niemanden mehr interessiert – die USA sind im Land aktiv, Russland ist im Land aktiv, auch die Bundeswehr und jetzt neuerdings auch noch die Türkei mit aktiven Truppen -, ja, dann setzt man die Regeln, die eigentlich gelten müssten, außer Kraft und dann wird man machtlos.
    "Wir finden, das muss beendet werden"
    Büüsker: Moment! Wir müssen aber kurz klarstellen: Die Bundeswehr ist nicht mit Truppen in Syrien aktiv.
    Liebich: Nein! Die Bundeswehr ist Teil eines Einsatzes, der ursprünglich geplant war, um den Islamischen Staat zu bekämpfen. Das Problem an diesem Einsatz ist, dass auch der nicht vom UN-Sicherheitsrat beschlossen wurde. Und wenn deutsche Bundeswehrsoldaten Bilder aufnehmen, wissen wir nicht, was damit geschieht. Im schlimmsten Fall nützt das der Nato-Partner, der auch Teil dieses Bündnisses ist, Türkei für seinen Einsatz gegen die Kurden. Deshalb finden wir, das muss beendet werden.
    "Türkische Soldaten haben auf syrischem Territorium nichts zu suchen"
    Büüsker: Dann schauen wir auf diesen Einsatz der Türkei in Nordsyrien gegen die Kurden. Die Nachrichtenagentur Reuters, die berichtet jetzt, die Türkei habe erstmals einen Militärposten in Syrien errichtet. Südlich von Aleppo soll das sein. Das heißt, tief im syrischen Staatsgebiet, nahe der syrischen Truppen. Dabei unterstützt die Türkei ja eigentlich die Assad-Gegner. Wie sehr beunruhigt Sie das?
    Liebich: Ja, das ist alles eine große Katastrophe, was dort geschieht. Zum einen: Es ist ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht, wenn Truppen eines Landes in einem anderen Land sind, ohne dass sie dazu eingeladen wurden oder dass es einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats gibt. Das ist beides nicht der Fall. Türkische Soldaten haben auf syrischem Territorium nichts zu suchen.
    Noch schwieriger ist in diesem Fall, dass die Türkei hier mit Gewalt gegen die YPG vorgeht, was ja eigentlich Alliierte der Vereinigten Staaten von Amerika, des wichtigsten NATO-Partners, zum Teil auch von Russland waren, und das geht gar nicht. Jetzt kann eine indirekte Konfrontation eines Nato-Mitglieds mit Nato-Alliierten sogar zu einer direkten werden, denn es sind ja auch US-Soldaten dort unterwegs, und das fehlt uns nun gerade noch, dass türkische Soldaten der NATOmit US-Soldaten der Nato auf syrischem Boden kämpfen.
    Büüsker: Die Türkei argumentiert aber, sie muss sich gegen Terroristen verteidigen und hat diesen Einsatz deshalb angestoßen.
    Liebich: Ja, ich kenne diese Argumentation, aber sie wird deswegen nicht richtig. Es ist nicht so, dass das Völkerrecht die Möglichkeit eröffnet, weil man sich bedroht fühlt von Terroristen, dass man in ein anderes Land einmarschieren darf. Es gibt dafür Gremien, die, wie ich vorhin ja gesagt habe, sich leider aus dem Spiel genommen haben. Das kann nicht jedes Land alleine entscheiden. Dann hätten wir eine Anarchie auf der Welt, die es leider hier und da immer wieder gab, aber der wir eigentlich entgegenwirken müssen. Syrien ist im Moment gerade ein Pulverfass, wo Lunten an allen Enden liegen, und deshalb handelt die Türkei dort unfassbar falsch.
    "Wir dürfen da nicht aufgeben"
    Büüsker: Wir haben zu Beginn des Gesprächs ja festgestellt, dass die Vereinten Nationen sich eigentlich selbst ins Aus geschossen haben in dieser Sache. Wer kann dann jetzt völkerrechtliche Konsequenzen ziehen?
    Liebich: Wir dürfen da nicht aufgeben. Es gibt nur das eine Gremium, das dieses Recht hat, und das ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Deswegen wünschte ich mir, dass nicht, wie es gestern geschehen ist, man darüber redet, wie man mit diesem mutmaßlichen Giftgas-Angriff umgeht, sondern auch diesen klaren Bruch des Völkerrechts dort verurteilt. Das ist leider nicht geschehen und da bin ich auch ein bisschen enttäuscht, oder genau genommen sehr enttäuscht von der geschäftsführenden Bundesregierung. Denn statt stillschweigend zu akzeptieren, was die Türkei macht, oder sogar weiter Waffen zu liefern, wie es ja bis zum Schluss geschehen ist, müsste die Bundesregierung aktiv werden in der UNO und die wichtigen Länder der Erde an ihre Verantwortung erinnern.
    Büüsker: Stichwort Rüstungsexporte. Wie kann denn Deutschland einem NATO-Partner einfach Rüstungsexporte verwehren?
    Liebich: Na ja, da müssen wir nur in die Vergangenheit schauen. Wenn das Helmut Kohl möglich war zu sagen, wir stoppen Rüstungsexporte, weil es Vorfälle gibt, die wir nicht tolerieren können, dann sollte das doch eine schwarz-rote Regierung erst recht können. Die Möglichkeit besteht immer.
    Im schlimmsten Fall muss man Vertragsstrafen zahlen. Das geht schon. Aber der Nato-Partner Türkei, der sich im Moment von Rechtsstaat und Demokratie entfernt, der deutsche Staatsbürger wie den Journalisten Deniz Yücel, der jetzt fast ein Jahr in Haft sitzt, in Geiselhaft hält, das ist ein Partner, der aus meiner Sicht gar nicht mehr in die Nato gehört, geschweige denn, dass wir ihn auch noch aufrüsten.
    Büüsker: Aber was wäre die Alternative? Die Türkei raus aus der NATO und dann wendet sie sich Russland zu?
    Liebich: Es kann ja nicht das Kriterium sein, dass wir sagen, wir deklarieren die NATO als ein Bündnis der Werte, und dann sind uns die Werte herzlich egal.
    Büüsker: Aber wenn die NATO ein Sicherheitsbündnis ist, dann kann es ja ein Sicherheitsproblem werden, wenn sich die Türkei tatsächlich Russland zuwendet, oder?
    Liebich: Das stimmt. Aber die Nato hat ja von sich selber gesagt, wir sind mehr als ein Sicherheitsbündnis. Man hat gesagt, man verteidigt - - Da müssen Sie nur in den Nato-Vertrag schauen. Da steht das schon im ersten Artikel, dass man sagt, man setzt auf Rechtsstaat, man setzt auf Demokratie. Und wenn man das nicht mehr tut, dann gehört man da nicht rein.
    "Ich übe die Kritik, die man üben muss"
    Büüsker: Machen Sie sich das nicht ein bisschen zu einfach?
    Liebich: Das mache ich mir nicht zu einfach, sondern ich übe die Kritik, die man üben muss, weil unsere Bundesregierung leider dabei total ausfällt. Es kann doch nicht sein, dass man mit dem türkischen Außenminister Tee trinkt, während deutsche Staatsbürger in Geiselhaft genommen werden. Ich finde, die richtige Antwort gegen die Türkei ist hier klare Kannte. Es ist kein Partner, wer Demokratie abschafft und das Völkerrecht bricht, und das muss man auch klar so sagen.
    Büüsker: Wenn die Türkei dann die Nato verlässt, dann zucken Sie mit den Schultern und dann ist das so?
    Liebich: Es steht leider nicht in Aussicht, dass die Türkei die NATO verlässt.
    Büüsker: Aber Sie würden es sich wünschen!
    Liebich: Ja! Einer muss ja daran erinnern, dass die Werte, auf die man sich verständigt hat, hier mit Füßen getreten werden. Wir können doch nicht zuschauen bei dem, was passiert, und dann sagen, das ist unser Premiumpartner. Ich kann das nicht akzeptieren und was ich tun würde ist, den Druck zu erhöhen, dass sich die Türkei wieder ändert. Ich habe ja gar kein Interesse daran, dass die Türkei geht, sondern dass die Türkei den Weg zu Demokratie und Menschenrechten zurückfindet, und das war ja auch mal möglich. Es gab ja mal andere Zeiten im Umgang zwischen Türkei und der Europäischen Union, der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland. Nur diese Zeiten haben wir nicht und Erdogans Türkei gehört aus meiner Sicht nicht in die Nato.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.