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Mutter Teresa erhält den Friedensnobelpreis

Die Straßen von Kalkutta waren ihr Arbeitsplatz, die ungewollten Kinder aus den Elendsquartieren ihre Familie. Die Liebe Gottes unter den Menschen weiterzuverteilen nannte sie ihre Lebensaufgabe. Für Mutter Teresa war die schlimmste Krankheit nicht Lepra oder Tuberkulose sondern von allen verlassen und ungeliebt zu sein.

Von Regina Kusch | 17.10.2004
    Deshalb ging die 1910 in Skopje geborene Tochter albanischer Bauern nach Indien, um dort den ärmsten Menschen zu helfen. 1950 gründete sie in Kalkutta die "Gemeinschaft der Missionarinnen der Nächstenliebe". Sie nahm Hungernde und Sterbende auf und pflegte sie in Hospizen.

    Ich möchte ihnen helfen, in Frieden mit Gott zu sterben, sie spüren lassen, dass sie erwünscht sind, dass sie geliebt werden, dass sie jemand Besonderes sind. In ihrem Augenblick sterben sie dann mit Liebe und in Würde. Ein Mann, den wir von der Straße hereingebracht haben, und der schon zerfressen war von Geschwüren, sagte zu mir: ich habe gelebt wie ein Tier auf der Straße, aber ich werde sterben wie ein Engel.

    Nicht nur Kriege sind eine Gefahr für den Frieden, sondern auch Armut und Not. So argumentierte 1979 das norwegische Nobelkomitee und nominierte die Ordensschwester aus Kalkutta für den renommierten Preis. Als "Anerkennung ihrer Tätigkeit, der leidenden Menschheit Hilfe zu bringen".

    Ihre Arbeit ist Vorbild für alle tatkräftigen Anstrengungen zur Beseitigung von Hunger und Elend und zur Schaffung einer sicheren und besseren Welt für die Menschheit. Die Einsamsten, Elendsten und Sterbenden haben Mitgefühl ohne Herablassung, gegründet auf Ehrfurcht vor den Menschen, von ihr bekommen.

    Als Mutter Teresa von ihrer Nominierung erfuhr, betonte sie als erstes, dass sie den Friedensnobelpreis nicht für sich annehmen werde.

    Er wurde mir zur Ehre Gottes verliehen. Ich glaube, man will seine Anwesenheit in der Welt anerkennen. Dass er viel größer ist als alle Staatsmänner der Welt.

    Staatsmänner hatten bereits viele den Friedensnobelpreis erhalten. Willy Brandt, Henry Kissinger. Im Jahr zuvor war die Ehrung an den israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin und das ägyptische Staatsoberhaupt Anwar el Sadat gegangen, weil sie den Krieg zwischen ihren Ländern beendet hatten.

    Für den Berliner Friedensforscher Eckart Krippendorff hat Mutter Teresa den Friedensnobelpreis aber eher verdient als alle nominierten Politiker. Von denen könne man schließlich erwarten, dass sie ihren Job gut machen. Man solle Friedensarbeit entpolitisieren, fordert Krippendorff.

    Wenn Leute einfach ihre Funktionen erfüllen, dass man da schon dankbar sein muss, ist das hoch problematisch. Während der Friedensnobelpreis einfach für die gedacht war, meine ich, die außerhalb der etablierten Politik eine andere Ebene des Diskurses führen wollen. Und da ist Mutter Teresa eine ganz wichtige Figur, die gesagt hat, worauf kommt es eigentlich an in der Gesellschaft? Dass diejenigen, die einsam, verlassen sind in der Gesellschaft, dass man denjenigen hilft.

    Politik hat etwas zu tun mit der Compassione, mit der Mitleidenschaft, mit der Sympathie, mit der Empathie mit den Leuten, die immer die Opfer der Gewalt sind. Insofern wäre es ein wichtiges Signal, wenn es weiter gegangen wäre, aber die nächsten Nobelpreise sind wieder politisch vergeben worden.


    Doch der Engel der Hungernden und Sterbenden, wie Mutter Teresa weltweit genannt wurde, musste sich auch harte Kritik anhören. Viele wollen eine politischere Mutter Teresa, die Missstände offen und aggressiv anprangern sollte. Doch Politik überließ sie lieber anderen.

    Wir können vielleicht einem helfen, einem einzigen. Wenn ich nur auf die ganze Masse sehe, werde ich nie mit dem einen anfangen. Aber wenn ich auf jeden einzelnen sehe, werde ich am Ende der ganzen Masse gerecht werden.

    Viele kritisierten auch, dass sie, wie der Vatikan, die Abtreibung ablehnte in einem Land wie Indien, das so große Bevölkerungsprobleme hat. Doch für Mutter Teresa war Abtreibung Mord.

    Ich habe nie bei irgendjemandem darum gebettelt, meine Kinder aufzunehmen. Es hat noch immer einen Teller Reis gegeben, ein Glas Milch. Wenn Sie und ich das Recht haben zu leben, so hat dieses Kleine ebenfalls das Recht. Sehen Sie dieses Licht. Sehen Sie die Augen voll von Leben, herrlichem Leben. Gott. Dasselbe Leben von der selben liebenden Hand Gottes geschaffen. Wir wissen nicht, was die Zukunft diesem Kind bringt. Vielleicht wird aus ihm mal ein großer Heiliger.

    Für ihre Arbeit brauchte Mutter Teresa ständig Geld. Sie nahm es von jedem, der es ihr anbot. Auch das wurde ihr gelegentlich zum Vorwurf gemacht, erinnert sich Eckart Krippendorff.

    Einer ihrer Geldgeber war der korrupte Marcos von den Philippinen. Da hat sie nie Hemmungen gehabt. Wer immer ihr Geld gab, Geld stinkt nicht war ihre Politik. Und manche haben ihr daraus den Strick drehen wollen, aus der Finanzierung eine ideologische Verurteilung abzuleiten, das haben verschiedene Journalisten versucht, das war dann eine kleine Kampagne. Und ich glaube, da hat ihr der Nobelpreis auch geholfen, ihr Anerkennung zu geben im weiteren Spektrum der Öffentlichkeit.

    Die umgerechnet 170.000 Dollar konnte Mutter Teresa für ihre Arbeit gut gebrauchen. Auf das Festbankett verzichtete sie mit der Begründung "Ich bin nichts". Die 5000 Dollar, die die Feierlichkeiten gekostet hätten, nahm sie lieber mit nach Kalkutta, wo sie ihr Lebenswerk fortsetzte, bis sie 1997 starb.