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Mythen der EU (5/5)
Wofür EU-Abgeordnete Steuergelder ausgeben

EU-Abgeordnete genießen finanzielle Privilegien, Tagespauschalen, Sitzungsgelder, Bürokosten, pauschal und ohne Kontrolle. Die slowenische Journalistin Anuška Delić wollte wissen, wofür sie die "allgemeine Kostenvergütung" ausgeben - und stieß auf Widerstände.

Von Benjamin Dierks | 15.06.2018
    Die Journalistin Anuška Delić und Nicholas Aiossa von Transparency International beobachten, wie transparent und sinnvoll EU-Abgeordnete mit Zuwendungen aus Steuergeldern umgehen
    Die Journalistin Anuška Delić und Nicholas Aiossa von Transparency International beobachten, wie transparent und sinnvoll EU-Abgeordnete mit Zuwendungen aus Steuergeldern umgehen (Deutschlandradio / Benjamin Dierks)
    Wortfetzen aus Französisch, Flämisch, Englisch, Spanisch und Deutsch fliegen durch das Foyer der Universität von Mechelen. Einmal im Jahr kommen investigative Journalisten aus ganz Europa in der kleinen belgischen Stadt auf halber Strecke zwischen Brüssel und Antwerpen zu einem Branchentreffen zusammen. Anuška Delić kann hier keine zwei Schritte tun, ohne mit jemandem ins Gespräch zu kommen.
    Die slowenische Journalistin ist bekannt unter den Kollegen, seitdem sie vor drei Jahren hier vor den Toren Brüssels Mitstreiter aus der ganzen EU für einen journalistischen Feldzug gegen das Europäische Parlament zusammengetrommelt hat. Delić will wissen, wofür rund 450 Millionen Euro Steuergeld ausgegeben werden, die die Parlamentarier jedes Jahr als Aufwandspauschale erhalten. Aber das Parlament lehnt ab.
    "Die Europaparlamentarier steuern das Leben der europäischen Bürger und legen ihnen allerlei Regeln auf. Sie verlangen jedes Mal Transparenz und Rechenschaft, wenn irgendwo Steuergeld ausgegeben wird. Aber wenn es um ihre eigenen Ausgaben geht, sind sie ganz und gar nicht transparent und lassen sich schon gar nicht gern überprüfen."
    Anuška Delić hat sich auf den Weg zum historischen Marktplatz gemacht. Dort will sie ihre Kollegen in vertraulicher Runde treffen. MEP Project haben sie ihre Untersuchung genannt. MEP steht für Mitglied des Europaparlaments. Delić und ihr Team stoßen sich daran, dass die Abgeordneten pro Monat eine sogenannte allgemeine Kostenvergütung von rund 4.300 Euro erhalten - zusätzlich zu ihrem Gehalt und anderen Vergütungen wie einem Tagegeld von gut 300 Euro - ohne sagen zu müssen, wofür sie es ausgeben.
    Wohin fließt die "allgemeine Kostenvergütung"?
    Die Pauschale soll vor allem Bürokosten im Wahlkreis abdecken. Die Abgeordneten dürfen sie nicht für private Zwecke verwenden. Allerdings sind sie niemandem Rechenschaft schuldig.
    "Ich habe gar nichts dagegen, dass sie eine Aufwandsentschädigung erhalten. Aber ich habe schon etwas dagegen, dass niemand nachvollziehen kann, wofür sie sie ausgeben."
    Anuška Delić weiß, dass ihr Projekt Europaskeptikern Futter geben könnte. Die haben ohnehin viele Vorbehalte gegen das Europaparlament: Es sei ein teures Scheinparlament, weil die Abgeordneten keine Gesetze erlassen könnten. Ein Wanderzirkus obendrein, weil die 5.000 Abgeordneten und Mitarbeiter regelmäßig zu hohen Kosten zwischen den Sitzen des Parlaments in Brüssel und Straßburg pendeln. Delić legt Wert darauf, dass sie kein Problem mit dem Parlament oder der EU habe, nur mit der Undurchsichtigkeit des Systems.
    "Was ich besonders komisch fand: Als wir Journalisten aus allen Mitgliedsstaaten das Europaparlament baten, Belege dafür vorzulegen, wie die Parlamentarier ihre professionelle Entschädigung ausgeben, bekamen wir die Antwort, das seien private Informationen der Abgeordneten. Wenn man mich fragt, ist es aber keine Privatsache, wenn gewählte Volksvertreter Steuergeld erhalten, das sie für die Ausübung ihrer öffentlichen Aufgaben ausgeben sollen."
    Ein Teil der Abgeordneten antwortete gar nicht
    Weil das Parlamentspräsidium die Antwort ablehnte, wendeten die Reporter vom MEP Project sich direkt an die Abgeordneten - und stießen bei ihrer europaweiten Recherche auf allerlei Ungereimtheiten. Einige Volksvertreter konnten auf Nachfrage gar keine Büroadresse angeben, obwohl sie behauptet hatten, die Pauschale dafür auszugeben. Andere betrieben ihr Büro in der eigenen Immobilie und zahlten an sich selbst die Miete. Oder sie mieteten bei ihrer Partei. Ein großer Teil der Volksvertreter antwortete gar nicht.
    Am Marktplatz trifft Delić auf ihre Mitstreiter. Für das Europaparlament ist sie keine leichte Gegnerin. Delić gehörte zu den Journalisten, die weltweit die Panama Papers über Geldwäsche und schwarze Konten von Unternehmern und Politikern untersuchten. In Slowenien legte sie sich mit hochrangigen Politikern an, die Kontakte zu Neonazis unterhielten.
    Die Verschlossenheit des Europaparlaments kann sie besonders aufregen. Vor allem beim Präsidium stießen sie und ihre Kollegen auf taube Ohren, sagt Delić. Die Journalisten vom MEP Project haben deshalb den Europäischen Gerichtshof angerufen.
    Einige Abgeordnete legten Ausgaben offen
    Nachfrage im Europaparlament bei Rainer Wieland. Der Unionsabgeordnete aus Stuttgart ist Vizepräsident des Hauses. Und er sieht wenig Bedarf, an der bisherigen Praxis zu rütteln.
    "Die Grundfrage ist ganz einfach: Bewegt man sich im Bereich einer Pauschale oder macht man eine spitz abgerechnete Kostenerstattung? Ich glaube, es würde den Steuerzahler mehr Geld kosten, wenn man das alles verwalten würde. Dann muss man es halt auch mal aushalten, wenn jemand sich einen ganz schlanken Fuß macht und dann richtig was übrig hat."
    Der Vizepräsident des EU-Parlaments Rainer Wieland (CDU) meint, genauere Rechenschaft bei der "allgemeinen Kostenvergütung" für EU-Abgeordnete von monatlich rund 4.300 Euro würde den Steuerzahler mehr kosten als die pauschale Zuwendung
    Der Vizepräsident des EU-Parlaments Rainer Wieland (CDU) meint, genauere Rechenschaft würde den Steuerzahler mehr kosten als die pauschale Zuwendung (Deutschlandradio / Benjamin Dierks)
    Der europäische Parlamentspräsident Antonio Tajani hatte auf Druck von Kritikern hin zugesagt, dass es "mehr Kontrollen" geben solle. Vor zwei Jahren bereits hatte auch eine Mehrheit im Parlament verlangt, die Vergütung der Angeordneten transparenter zu machen. Einige Abgeordnete legten deshalb schon von sich ihre Ausgaben offen, sagt Nicholas Aiossa von der Antikorruptionsorganisation Transparency International.
    "Viele Delegationen im Parlament haben verstanden, dass sie schon irgendwie Rechenschaft darüber ablegen müssen, wenn sie Steuergeld ausgeben. Sie haben externe Prüfer engagiert. Das beste Beispiel sind die britischen Konservativen."
    Auf guten Willen der Parlamentarier will sie nicht warten
    Anuška Delić hält das Argument, dass eine Überprüfung der Ausgaben zu teuer würde, für vorgeschoben. Auf den guten Willen der Parlamentarier will Delić nicht warten. Deswegen steckt sie mit ihren Kollegen in Mechelen die Köpfe zusammen, um den nächsten Plan auszuhecken.