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Mythos Weimar

Weimar - das steht für Weltwirtschaftskrise und eine gescheiterte Demokratie. Weimar steht aber auch für die liberalen 20er-Jahre. Forscher führen das bis heute schlechte Image zurück auf die nationalsozialistische Diffamierung der ersten deutschen Demokratie.

Von Ursula Storost | 15.04.2010
    "Der Kaiser hat abgedankt. Er und seine Freunde sind verschwunden. Über sie alle hat das Volk auf der ganzen Linie gesiegt."

    Mit diesen Worten wandte sich der SPD-Politiker und spätere Reichsministerpräsident Philipp Scheidemann von einem Fenster des Reichstagsgebäudes aus am 9. November 1918 an das deutsche Volk.
    "Arbeiter und Soldaten. Große und unübersehbare Arbeit steht uns bevor. Alles für das Volk. Alles durch das Volk. Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue. Es lebe die deutsche Republik."

    Es war die Geburtsstunde der ersten Deutschen Demokratie. 1919 wurde von der in Weimar tagenden Nationalversammlung eine Verfassung verabschiedet. Die Weimarer Republik hat bis heute in Politik, Wirtschaft und Kultur ihre Spuren hinterlassen.

    "Wir sehen eine starke Ambivalenz, dass auf der einen Seite und das herrschte lange nach 1945 vor, dass Weimar ein ganz schlechtes Image hatte und eigentlich nur als die Republik, aus der der Nationalsozialismus hervorging. Und danach erfolgte die Entdeckung des reichen kulturellen Erbes, eigentlich durch eine neue Generation von jungen Wissenschaftlern und politisch engagierten Menschen in den 60er-Jahren."

    Axel Schildt leitet die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Weimar war von Anfang an ein geschichtlicher Mythos, sagt er.

    "Dass man überhaupt nach Weimar gegangen war, hatte abgesehen von praktischen Erwägungen, dass da nämlich eine ruhige Garnisons- und ehemalige Residenzstadt war, hatte auch den Grund, dass natürlich Weimar immer schon mit deutschem Humanismus, deutscher Kultur und Ähnlichem, also bereits ein Mythos gewesen war."

    Der Historiker Sebastian Ullrich ergänzt dieses Bild. Vor Kurzem hat er ein Buch über das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik veröffentlicht.

    "Ich habe diesen Bezug auf Weimar als einen Weimarkomplex bezeichnet, wo auch die Überlegung einfließt, dass es dort auch um ein Trauma geht, eine unbewältigte Vergangenheit, die da in die BRD hineinragt. Und das hat damit zu tun, dass auch die alten Weimarer das Gefühl hatten, dass sie versagt haben. Dass sie die Demokratie nicht haben retten können. Also ein Gefühl der Schuld."

    Die bundesdeutsche Verfassung orientierte sich nach 1945 an der Weimarer Verfassung. Man wollte aus den Fehlern lernen. Zum Beispiel das konstruktive Misstrauensvotum und die Möglichkeit verfassungsfeindliche Parteien zu verbieten, resultierten aus den Erfahrungen von Weimar.

    "Das Problem ist, wie sehr diese westlich liberalen Demokratievorstellungen, die das Grundgesetz prägen, wie sehr die umstritten waren in der Anfangszeit. Also die antidemokratischen, antiparlamentarischen, antiparteienstaatlichen Vorbehalte, die in der Weimarer Zeit stark waren, waren im Bürgertum nach 1945 auch noch stark."

    Das bis heute schlechte Image der Weimarer Republik führt Sebastian Ullrich auch zurück auf die nationalsozialistische Diffamierung der ersten deutschen Demokratie.

    "Sie hat nach 1933 ertragen müssen, dass die Nationalsozialisten geradezu Kübel des Schmutzes über ihr ausgegossen haben. Weil nur indem man das Vorgängerregime in möglichst negativen Tönen zeichnete, konnte eben dieser Erlösungsgestus, mit dem das Dritte Reich auftrat, plausibel begründet werden."

    Beispielsweise wird es von vielen Historikern bis heute als schwerer Fehler angesehen, dass der konservativ kaiserliche Beamtenapparat in die Weimarer Demokratie übernommen wurde. So einfach dürfe man es sich allerdings nicht machen, glaubt Sebastian Ullrich. Entscheidend seien immer die Rahmenbedingungen.

    "Also nach 1945 haben wir natürlich auch eine extreme Kontinuität im Beamtenapparat. Aber dort funktioniert es. Wir müssen eben sehen, dass nach 1945 der Kalte Krieg entbrennt. Und das Einzige, was diese konservativen Beamten noch mehr fürchten als die Demokratie, ist der Kommunismus. Und das relativiert ein Stück weit das sehr negative Bild der Republik."

    Auf der anderen Seite werden die links-intellektuellen Vordenker in der Weimarer Zeit bis heute bewundert und verklärt. Viele von ihnen entstammten jüdischen Familien, weiß Stefanie Schüler-Springorum. Die Leiterin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden hat die Vorträge mit organisiert.

    "Man muss sich klar machen, dass die Weimarer Republik eigentlich das große Goldene Zeitalter der deutschen Juden war. Die Emanzipation war nicht nur rechtlich vollendet, sondern wurde in die Tat umgesetzt. Alle Berufe, alle Wege standen jüdischen jungen Männern und Frauen offen. Und es war sozusagen der große Aufbruch in die Moderne und gleichzeitig von Anfang an aber auch überschattet von einem immer virulenter werdenden Antisemitismus."

    Adorno, Horkheimer, Hanna Ahrend, Ernst Bloch, Walter Benjamin - sie alle hatten jüdische Wurzeln. Und sie machten die Erfahrung, dass sie dazu gehörten, Anerkennung bekamen – und wiederum nicht ganz dazu gehörten, sagt die Historikerin.

    "Es gab natürlich die ganze Zeit auch das andere Weimar, was in Kleinstädten lebte, wo diese Form von kultureller Moderne überhaupt nicht ankam, beziehungsweise radikal abgelehnt wurde. Das muss man sich immer klar machen, wenn man von einer sozialen Anerkennung einer bestimmten Kunst und Kultur und philosophischen Richtung und einem bestimmten Geistesleben redet."

    Die Kultur der Linksintellektuellen, die sich um die Zeitschrift "Die Weltbühne" versammelten, war keineswegs Mehrheitsmeinung, betont auch der Historiker Alexander Gallus von der Universität Rostock. Die damaligen Linksintellektuellen übten scharfe Kritik an der politischen Ordnung. Ziel war das Gemeinwesen zu verbessern. Das Problem war allerdings der strikte Konfrontationskurs.

    "Das heißt, man hat sehr stark abgelehnt, auch im intellektuellen Milieu, Kompromisse zu schließen. Tucholsky hat einmal gesagt, wir müssen aufhören immer Ri-Ra-Rücksichten zu nehmen."

    Wie sehr sich die Kultur verändert habe, könne man auch daran erkennen, dass in der Bundesrepublik der Titel "Intellektueller" inzwischen so etwas wie ein Ehrentitel sei, sagt Alexander Gallus. Zu Zeiten der Weimarer Republik sei das eher ein Schimpfwort gewesen. Ein Indiz dafür, dass Intellektuelle heutzutage doch an Einfluss gewonnen hätten.

    "Indem sie in gewisser Weise sich entradikalisierten und das politische System der BRD mit der Zeit akzeptiert haben. Und das ist vielleicht der Unterschied zur Weimarer Republik. Und umgekehrt das Parteienwesen sich mit der Zeit so mit den Intellektuellen angefreundet hat."

    Tatsache ist aber auch, dass das negative Weimarbild bis heute Teil der politischen Kultur ist. Jede Wirtschaftskrise, jede Erhöhung der Arbeitslosenzahlen wird mit ängstlichem Blick auf Weimar kommentiert. Nach dem Motto: Wird die Demokratie stabil bleiben? Oder Berlin doch zu Weimar? Resümiert Sebastian Ullrich. Für ihn ein fragwürdiger Vergleich.

    "Wir haben immer noch einen großen Reichtum in der BRD. Er geht weiter hin zu den positiven Erfahrungen, die wir mit der Demokratie gemacht haben. Etwas, worauf Weimar eben auch nicht zurückblicken konnte. Aber, ich würde sagen dennoch gibt es Gefährdung der Demokratie. Die kommen aber eher aus einer anderen Ecke. Das hat was zu tun mit der Politikverdrossenheit, die sich eher in Abwendung äußert und mit einem Vertrauensverlust, der sich aber nicht in einer Politisierung äußert wie in der Weimarer Zeit."

    Literatur:

    - Sebastian Ullrich: "Der Weimar-Komplex - Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik".
    Wallstein Verlag, 48,00 Euro

    - Alexander Gallus (Hrsg.)"Die vergessene Revolution von 1918/19". Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, 24,90 Euro