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Nabel der Welt

Vom Anflug auf Lima sind Touristen nicht selten enttäuscht. Angelockt von der Inka- und Kolonialzeitvergangenheit Perus, erhoffen sie sich Paläste, Kirchen und kunstvolle Kacheln. Stattdessen gibt es Hochhäuser und Autobahnen.

Von Karl-Ludolf Hübener | 18.01.2010
    "Lima. Peru. Die Stadt der Könige. Lima wurde am 18. Januar 1535 von dem spanischen Eroberer Francisco Pizzaro gegründet. Er wählte den Ort wegen des milden Klimas und seiner strategischen Lage."

    Perus Hauptstadt umwirbt Touristen mit einer schillernden Figur: dem Spanier Francisco Pizzaro. 1502 brach der aus der spanischen Provinz Extremadura gebürtige Schweinehirt und spätere Soldat nach Amerika auf. Wie viele andere Abenteurer trieb ihn die Gier nach Gold. Auf seinen Erkundungszügen hörte er von den sagenhaften Schätzen des Landes "Piru". 1531 kreuzte er mit Schiffen vor der Pazifikküste des unbekannten Landes. Ein Jahr später stieß er mit einer kleinen Streitmacht ins Landesinnere vor.

    In Cajamarca brachte Pizzaro den Inka-Herrscher Atahualpa in seine Gewalt, der ihm versprach, den Raum seines Gefängnisses mit Gold zu füllen, falls Pizarro ihm die Freiheit schenke. Fast acht Tonnen wurden aufgehäuft. Der Inka wurde dennoch mit der Garotte erdrosselt.

    1533 nahm Pizzaro das 3400 Meter hoch gelegene Cuzco ein. Cuzco bedeutet in Quechua, der Amtssprache des Inka-Imperiums, "Nabel der Welt". Die Hauptstadt der Inkas war Knotenpunkt eines gewaltigen Straßennetzes, das sich über das "Reich der vier Weltgegenden" erstreckte. Ein Reich voll imponierender Bauten, mit einem hoch organisierten Staatswesen und einer Wirtschaft, die keinen hungern ließ. Doch die Bergwelt der Anden war nur schwer zugänglich und kam als Zentrum für ein werdendes Kolonialreich nicht in Frage.

    Pizzaro schickte erneut eine Expedition los. Diese stieß auf das Herrschaftsgebiet des Kaziken von Rimac, im Tal des gleichnamigen Flusses, der dort in den Pazifik mündet. Antonio Lezama, Professor für amerikanische Frühgeschichte:

    "Die Pazifikküste ist von Natur aus wüstenartig. Das hängt mit den Meeresströmungen zusammen, die Feuchtigkeit mit sich bringen oder vertreiben. Die Landnutzung durch den Menschen hing deshalb von den wenigen Flüssen ab, die Wasser aus den Bergen transportieren."

    Bewässerungskanäle hatten die Wüste in eine fruchtbare Oase verwandelt, voller Obstbäume, bestellter Felder und Wälder. Die Häuser der dort lebenden Indianer waren aus Schilf geflochten und zu 22 kreisförmig angelegten Dörfern gruppiert.

    Später schrieb der peruanische Schriftsteller Julio Ramón Ribeyro:

    "Der Humboldtstrom, der an der Küste vorbeizieht, macht Lima zu einer Stadt mit gemäßigtem Klima, ohne markante Jahreszeiten, in der man weder außergewöhnliche Kälte noch Hitze kennt."

    Die Dörfer am Rimac hatten zudem einen unschätzbaren Vorteil: ihre strategische Lage. Von dort aus waren sowohl das Wegenetz der Inkas in den Zentral-Anden als auch die Schiffe Pizzaros zu erreichen.

    "Die Gründung von Lima hat mit der unmittelbaren Nähe des Hafens von Callao zu tun. Das ist ein ausgezeichneter natürlicher Hafen, der Verbindungen auf dem Seeweg sicherstellt."

    Woher der Name Lima stammt, ist umstritten. Die gängigste Version :

    "Aus einer Verdrehung des Flussnamens Rimac wurde Lima. Rimac bedeutet auf Quechua 'der Redselige', bezogen auf das Geräusch des fließenden Wassers, wahrlich eine sehr bildhafte Beschreibung."

    1541 wurde der 63-jährige Gouverneur Francisco Pizzaro in seinem Palast in Lima ermordet. Ein Jahr später gründete die Kolonialmacht das Vizekönigreich Neu-Kastilien, das im Vizekönigreich Peru aufging. Es umfasste die heutigen Länder Peru, Ecuador, Kolumbien, Venezuela sowie Bolivien, Chile und Argentinien. Bald stieg Lima zur bedeutendsten Stadt Südamerikas auf. Es beherbergte die erste Universität, das erste Theater, die erste Druckerei des Subkontinents. 40 000 Einwohner hatte die Stadt zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Doch nur die etwa 5000 Criollos, die Nachkommen der Spanier, wohnten in prächtigen Bauten. Die restliche Bevölkerung, Indianer und vor allem afrikanische Sklaven, lebte - wie auch heute Millionen "limeños"- in Armenvierteln.