Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Nach angekündigtem US-Ausstieg
Russland will an Open-Skies-Vertrag festhalten

Die USA haben angekündigt, sich aus dem sogenannten Open-Skies-Vertrag zwischen den NATO-Staaten und den ehemaligen Mitgliedern des Warschauer Paktes zurückziehen zu wollen. Russland hingegen will an dem Vertrag über militärische Überwachungsflüge gerne festhalten - und das aus gutem Grund.

Von Thielko Grieß | 27.05.2020
Ein Aufklärungsflugzeug des Typs AWACS
Aufklärungsflüge sind nach dem "Open Skies"-Abkommen grundsätzlich möglich (picture alliance/dpa/Hinrich Bäsemann)
Der einseitige Ausstieg Washingtons wird verurteilt, aber es wird auch die Sorge artikuliert, dass hier ein Baustein der gegenseitigen Zusammenarbeit verloren zu gehen drohe, aus dem Russland großen Nutzen ziehe. Zu den besorgten Stimmen des russischen Politapparats zählt ein Diplomat. Anatolij Antonow, der Botschafter Russlands in Washington.
"Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieser Vertrag allen nützlich ist. Er wird den Sicherheitsinteressen, in erster Linie natürlich europäischer Staaten, Russlands, der USA, Kanadas, gerecht. Die Entscheidung, aus dem Vertrag auszusteigen, bedeutet einen harten Schlag für die verbliebenen Elemente des Systems strategischer Sicherheit, der Architektur der Waffenkontrolle."
Russland nutzt den Open-Skies-Vertrag und seine Möglichkeiten. Wie es das tut, kann Alexander Graef beurteilen. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Der Open-Skies-Vertrag ist eines seiner Themen, er hat dazu im Netz Daten aufbereitet.
"Russland führt gemeinsam mit Weißrussland 42 Flüge pro Jahr durch. Manchmal sogar einige mehr. Das heißt, seit 2002 haben Russland und Weißrussland zusammen über 600 Flüge durchgeführt. Und das ist fast ein Drittel der gesamten Flugzahl. Beide Staaten verteilen die Flüge über das gesamten NATO-Gebiet, auch einige Nicht-NATO-Staaten."
Portrait des Politikers Omid Nouripour (Grüne) während der Bundespressekonferenz zum Thema Iran-Abkommen, 2018 in Berlin.
Omid Nouripour (Grüne) an der Bundespressekonferenz in Berlin. (imago images / Metodi Popow)
Militärische Beobachtungsflüge - Nouripour: Fortsetzung von "Open Skies" wichtig - auch ohne USA
Die USA wollen aus dem internationalen Vertrag Open Skies aussteigen. Der Grünen-Politiker Omid Nouripour sieht darin einen Rückschlag für die weltweite Rüstungskontrolle.
Vertrauen durch Zusammenarbeit
Nur 14 Prozent der russisch-weißrussischen Flüge führten über die Vereinigten Staaten – andersherum flögen die Amerikaner fast immer über russischem Territorium. Die Flüge müssen 72 Stunden vor dem Start angemeldet werden, Änderungen können eingefordert werden; aber: Viel lässt sich nicht verbergen. Was die Kameraaufnahmen von Satellitenaufnahmen unterscheidet: Flugzeuge sind flexibler und die Ergebnisse ihrer Überflüge stehen automatisch allen Vertragspartnern zur Verfügung. Einer der Gründe, weshalb unter Militärs Vertrauen entstehen kann. Ein weiterer – ein menschlicher:
"Man muss sich das so vorstellen, dass die Militärs, die direkt beteiligt sind an der Durchführung dieser Überflüge, einige Tage miteinander zu tun haben. Und natürlich entsteht dadurch Vertrauen. Man lernt den anderen kennen, man weiß, dass er oder sie nichts Böses im Schilde führt. Das gibt es zwischen NATO und Russland vor allem kaum noch in anderer Form."
Das Ende anderer Rüstungskontrollverträge und die stark abgekühlten Verbindungen zwischen Moskau und Europa sowie der NATO haben die Informationslage für Moskau verschlechtert. Auch deshalb, meint Alexander Graef, besitze Open Skies weiter einen Wert für Moskau, weil "Russland, auch wenn die USA austreten, grundsätzlich weiter die Möglichkeit haben sollte, über amerikanische Militäranlagen in Europa zu fliegen."
Bis heute gibt es rote Linien
In den 18 Jahren Vertragsdauer hat es immer auch Streit über Einzelheiten gegeben, die jedoch vielfach auf diplomatischem Wege beigelegt wurden. Aber es gibt bis heute rote Linien: Die USA haben Überflüge über manchen Pazifikinseln untersagt. Russland gestattet seinerseits Überflüge in der Nähe der Grenzen zu den von Georgien abtrünnigen Gebieten Abchasien und Südossetien nicht.
Auf russische Einladung hin über der annektierten Krim zu fliegen, lehnen die westlichen Open-Skies-Vertragspartner ab. Und: Russland hat die Länge der Flüge über der Exklave Kaliningrad auf 500 Kilometer beschränkt. Moskaus Außenminister Sergej Lawrow rechtfertigte dies gestern: Ähnlich verführen die Amerikaner mit Alaska.
"Das heißt, wir haben das absolut spiegelbildlich festgelegt. Aber: Obwohl diese Verfahren identisch sind, sind die Ergebnisse höchst interessant. Sie unterscheiden sich voneinander."
Die Region Kaliningrad könne fast vollständig abgefilmt werden, von Alaska hingegen nur ein kleiner Teil. Lawrow kündigte an, Russland werde auf seine nationalen Interessen achten. Von einem Austritt aus dem Vertrag sprach auch er nicht.