Freitag, 19. April 2024

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Nach Angriffen auf US-Botschaft
"Man braucht jetzt unbedingt eine Deeskalation im Irak"

Es solle mit einem Untersuchungskommission herausgefunden werden, wer für die Angriffe auf US-Einheiten im Irak verantwortlich sei, sagte Sevim Dagdelen, Die Linke, im Dlf. Es sei ungeklärt, ob die Hisbollah verantwortlich sei - man solle in der angespannten Lage vorsichtig mit voreiligen Schlüssen sein.

Sevim Dagdelen im Gespräch mit Christoph Heinemann | 02.01.2020
Sevim Dagdelen (Die Linke) spricht im Deutschen Bundestag
Sevim Dagdelen warnt vor einer weiteren Zuspitzung des Konflitks im Irak (dpa/Bernd von Jutrczenka)
Christoph Heinemann: Unterdessen bleibt die Lage im Irak angespannt, auch wenn die Angriffe von Demonstranten auf die US-Botschaft in Bagdad vorerst beendet sind. US-Außenminister Mike Pompeo verschob kurzfristig eine Reise in die Ukraine. Es sei nötig, dass er in Washington bleibe, um die Entwicklungen im Irak verfolgen und die Sicherheit der Amerikaner im Nahen Osten garantieren zu können, hieß es zur Begründung. Die US-Truppen in der Region sollen verstärkt werden. US-Präsident Trump bemüht sich, die Bedeutung der Ausschreitungen herunterzuspielen.
Am Telefon ist Sevim Dagdelen, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Die Linke und Mitglied des auswärtigen Ausschusses Wahlkreis Bochum. Guten Tag!
Sevim Dagdelen: Guten Tag, Herr Heinemann!
Heinemann: Frau Dagdelen, wer steckt hinter den Krawallen in Bagdad?
Dagdelen: Nun, also die USA machen ja die schiitische Miliz Hisbollah dafür verantwortlich, die aber bestreitet das heftig, also den Angriff auf die US-Militärbasis, was daraufhin die US-Angriffe im Irak ja mit nach sich zog. Ich halte das jedenfalls für offen, was die ursprüngliche Täterschaft dieses Angriffes angeht, weil ich das für extrem unwahrscheinlich halte, dass wenn es diese Miliz tatsächlich gewesen sein soll, dass sie quasi ihre militärischen Führer den USA bei ihren offiziellen Kommandostellen quasi auf dem Präsentierteller zum Abschuss freigibt. Weil der Führer ist ja durch die US-Angriffe, die danach folgten, ums Leben gekommen. Ich finde, man braucht jetzt unbedingt eine Deeskalation im Irak. Das würde mit bedeuten, dass man beispielsweise auch eine internationale Untersuchungskommission unter der Führung der UNO zur Urheberschaft dieses Angriffes auf die US-Militärbasis im Irak auf die Schiene setzt, was ja der Anfang sozusagen dieser ganzen Eskalation war.
"Dies Täterschaft ist bis heute nicht geklärt"
Heinemann: Ganz kurz noch mal zu dem, was Sie gerade gesagt haben. Wieso misstrauen Sie der Darstellung der US-Regierung?
Dagdelen: Nun, es wäre ja nicht das erste Mal, dass es auch Operationen unter falscher Flagge, False-flag-Operationen gibt, um eine Eskalation im Nahen und Mittleren Osten herbeizuführen, zu befeuern. Es sind da verschiedene Akteure, die ein Interesse daran haben, beispielsweise Saudi Arabien, dass die USA in den Krieg gegen den Iran ziehen, dass damit weiter eskaliert wird. Es gibt aber auch andere Akteure, die Interesse daran haben könnten. Ich sage nicht, dass es nicht diese Miliz war, aber ich finde das ganz schön merkwürdig. Also wenn es diese Miliz gewesen sein sollte, warum sollte sie ihren militärischen Führer quasi auf dem Präsentierteller dem US-Angriff freigeben. Das macht für mich keinen Sinn.
Und ich finde, diese Täterschaft dieses ursprünglichen Angriffs ist bis heute nicht geklärt. Es gibt keinen Beweis dafür. Ich fände das gut, dass, bevor man vorschnell eben auch ohne genauere Untersuchungen irgendwelche Täter ausmacht, dass man hier so eine Untersuchungskommission einleitet. Wir haben das gesehen letztes Jahr in Syrien bei dem vermeintlichen Giftgasanschlag in Duma, jetzt gibt es Leaks, Whistleblower der OPCW sagen, dass das überhaupt kein Giftgasanschlag war, also ein Chemiewaffeneinsatz war. Aber daraufhin hatte die USA diese Angriffe gemacht. Ich bin nur dafür, dass man vorsichtiger ist vor voreiligen Schlüssen, weil es eine Eskalation ist im Moment im Irak. Die USA macht ja einen Riesenfehler und lässt sich in diese Eskalation hineinziehen, wo am Ende nur ein großer Krieg gegen den Iran stehen kann.
Heinemann: Da wäre doch die Frage, warum ein Präsident das machen sollte, der angekündigt hat, dass er die Truppen nach Hause holen will.
Dagdelen: Na ja, die haben ja nach Hause erst mal die Truppen nicht geholt. Sie haben ja auch in Syrien die Truppen vom Norden Syriens nach Irak geholt, obwohl die irakische Regierung dagegen war. Ich finde, was hier auf jeden Fall wichtig ist, dass man sich für eine Deeskalation einsetzt. Und ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat beispielsweise auch diese Täterschaft untersuchen lässt, weil dann weiß man es ja genau, wer das gewesen ist. Und dann kann man auch international Antworten finden und Reaktionen und nicht einzelne Antworten von der USA machen lassen. Und dann steht am Ende die Bundesregierung da und muss offensichtlich dieser Lesart folgen. Das halte ich für eine falsche Strategie.
"Man müsste die Bundeswehr dort schnellstens abziehen"
Heinemann: Hat die Bundesregierung richtig entschieden, indem sie eine internationale Friedenskonferenz ankündigte?
Dagdelen: Nun, die internationale Friedenskonferenz ist für Irak, für den Nahen Osten, wenn Sie das meinen, natürlich immer richtig, aber man muss ja auch Folgendes noch sehen: Wir haben das Eindringen der tausenden Demonstranten in diese grüne Zone in Bagdad - wäre ja gar nicht möglich gewesen ohne die Zusammenarbeit mit den irakischen Sicherheitskräften. Diese irakischen Sicherheitskräfte bildet die deutsche Bundeswehr im Moment mit aus. Das ist ja völlig bizarr, die ganze Situation. Dass die Bundeswehr im Irak die Kräfte ausbildet, die jetzt mit den USA quasi in Konflikt gehen. Deshalb halte ich es auch für falsch, dass man diese Mandatsverlängerung in Deutschland zugestimmt hat. Die Große Koalition sah das ja anders als Die Linke, die für diese Mandatsbeendigung war. Und jetzt sitzen die Bundeswehrsoldaten dort auf einem Pulverfass. Ich finde, es wäre wirklich unverantwortlich, wenn man sie weiter zur Zielscheibe machen lässt und die Bundeswehr dort behält. Man müsste die Bundeswehr dort eigentlich schnellstens abziehen.
Heinemann: Man kann es genau andersrum sehen, dass nämlich der Ist-Zustand belegt dafür ist, dass diese Truppen dringend ausgebildet werden müssten, auch von Bundeswehrsoldaten.
Dagdelen: Ja, das mag ja sein, dass man so eine Sicht haben kann, aber es ist doch eine Lachnummer, dass jetzt die Bundeswehr Kräfte ausbildet, die mit unserem NATO-Partner USA in den Konflikt gehen. Das macht doch überhaupt keinen Sinn. Was ist das denn für ein Konzept, was ist das für eine Außen- und Sicherheitspolitik? Man muss auch Folgendes sehen: Also wenn man jetzt so eine Kriegserklärung erklärt gegen diese bewaffnete Gruppen, dieser Miliz, der Hisbollah, das ist ja auch eine Kriegserklärung an eine Mehrheit der Bevölkerung im Irak. Die Angriffe der USA haben jedenfalls diesen politischen Arm der Hisbollah, die Partei Fateh, die hat die zweitmeisten Stimmen erhalten und ist ein Bündnis eingegangen mit Muqtada al-Sadr, dem Wahlsieger quasi, und es sieht ja ganz danach aus, dass sie den größten Stimmblock im Parlament besitzen und dieses Parlament vielleicht sogar jetzt infolge der US-Angriffe beschließen wird, dass die Militärpräsenz der USA und ihrer Verbündeten beendet werden soll im Irak. Was machen wir dann? Insofern halte ich das für extrem gefährlich, dass die Bundeswehr auf diesem Pulverfass dort sitzt.
"Wenn die Iraker das entscheiden, müssen wird das respektieren"
Heinemann: Aber letztendlich fordern Sie doch genau das mit dem Abzug von Soldaten. Sollte man den Irak der Hisbollah überlassen?
Dagdelen: Das ist ja eine Entscheidung, die die Bevölkerung im Irak trifft. Also, so wie die Bevölkerung in Deutschland die Entscheidung trifft, wer hier gewählt wird. Wenn sie die Partei Fateh, diesen politischen Arm der Hisbollah wählen, die Menschen, können wir doch nicht uns als Besatzungsmacht dort aufspielen und sagen, das habt ihr anders zu entscheiden. Wir müssen respektieren, was das irakische Parlament dort am Ende jetzt entscheiden wird, ob sie sagen, diese Militärpräsenz muss hier beendet werden. Die Besatzungsmacht der USA nach dem Irakkrieg, dem völkerrechtswidrigen Angriff, damit hat sie ja dann angefangen, die Besatzung, dass es beendet wird. Wenn die Iraker das entscheiden, müssen wir das respektieren.
Heinemann: Sehen Sie Übereinstimmungen in der Politik von Donald Trump, Irak, und Recep Tayyip Erdogan, Libyen?
Dagdelen: Nun, in Libyen haben wir eine ganz verfahrene Situation. In Libyen haben sich jetzt die Regierung in Tripolis, die sich ja auf die islamistischen Terrormilizen stützt und den Moslembruder Erdogan stützt, haben wir so eine Aufteilung des östlichen Mittelmeers zu ihren Gunsten vorgenommen. Und vielfach wird ja gesagt, dass man verhindern müsse, dass aus Libyen ein zweites Syrien wird. Ich halte das für falsch. Aus Libyen ist bereits ein zweites Syrien geworden. Und die Initialzündung war natürlich die Militärintervention der NATO damals zur Beseitigung des Despoten Gaddafi, aber das Ergebnis ist verheerend. Jetzt haben wir eine Eskalation mit mehreren Akteuren dort, weil die Türkei dort auch mit diesem Militärabkommen mit Libyen gegen internationales Seerecht, internationales Recht verstößt und natürlich auch gegen die Souveränität der Anliegerstaaten Griechenland, Zypern, Ägypten, Israel.
Heinemann: Kurz dazu, Frau Dagdelen, Erdogan sagt ja, der Ministerpräsident, also as-Sarradsch, habe ihn um die Entsendung von Truppen gebeten. Hat er das Recht damit auf seiner Seite?
Dagdelen: Nein, also das Militärabkommen zwischen Libyen und der Türkei verstößt gegen internationales Recht und gegen die Souveränität der Anliegerstaaten Griechenland, Zypern, Ägypten, Israel, Libanon und Syrien. Man sieht aber auch, dass der Westen, die USA, die EU, die Bundesregierung zu lange die Türkei hat auch agieren lassen, weil das Abkommen bewegt sich im Rahmen dieser neoosmanischen Außenpolitik, die Erdogan verfolgt. Und da muss man ein Stoppschild setzen. Das darf da nicht sein.
"Erdogan spielt jetzt all in"
Heinemann: Welches Stoppschild?
Dagdelen: Das Stoppschild muss zum Beispiel auch sein, dass man die Unterstützung einstellt, weil beispielsweise die NATO quasi bis heute keine Verurteilung des völkerrechtswidrigen Einmarschs in Syrien oder auch die ganzen anderen Proxyunterstützungen der Türkei verurteilt hat in Syrien. Das hat mit dazu geführt, dass die Türkei ein neues Selbstbewusstsein für sich ausgemacht hat und jetzt auch in Libyen und im östlichen Mittelmeer zündelt. Erdogan spielt jetzt all in. Ich weiß nicht, was das letztendlich bringen wird, weil er diesmal eine viel mächtigere Koalition gegen sich zusammengezimmert hat in Libyen als ihm lieb ist. Insofern wird man sehen, ob er da tatsächlich überhaupt durchkommen wird. Fakt ist aber innenpolitisch, dass er eine Opposition gegen sich hat diesmal. Anders als im Falle von Syrien ist die Opposition ja nicht für diese Truppenentsendungen nach Libyen.
Heinemann: Irak und Libyen sind zwei Staaten, in denen zwei ausgesprochen brutale Diktatoren, nämlich Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi aus dem Amt vertrieben wurden mit der Folge hoher Instabilität. Welche Lehren sollte man daraus ziehen?
Dagdelen: Nun ja, vertrieben wurde ist eine Verharmlosung, meiner Meinung nach, von hunderttausenden von Toten durch die völkerrechtswidrige Invasion der Amerikaner im Irak, die stattgefunden hat und beispielsweise auch natürlich die völkerrechtswidrige Bombardierung durch die NATO in Libyen. Ich glaube, was ganz, ganz wichtig ist, die wichtigste Lehre ist, dass diese völkerrechtswidrige Regimechange-Politik nichts anderes als uns nur Desaster bringt und einen Flächenbrand in Gang gesetzt hat, gerade auch mit Libyen, im ganzen Nordafrika bis in die Sahelzone. Im Irak sehen wir das Desaster im Nahen Osten. Es ist ein Kinderglaube, dass das nicht irgendwann auch Europa erreichen wird. Das hat man bei Syrien im Irak gesehen mit dem IS und den Anschlägen in Europa. Und das wird man mit Sahel und Nordafrika sehen. Wir müssen weg von dieser Regimechange-Politik.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.