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Nach Clausnitz und Bautzen
"Es scheint nur eine Frage der Zeit, dann gibt es wieder Tote"

Nach den fremdenfeindlichen Übergriffen in Sachsen gehen die Kommentatoren der Zeitungen hart ins Gericht mit den Beteiligten, den politisch Verantwortlichen - und der gesellschaftlichen Stimmung in Deutschland.

22.02.2016
    Ein beschmiertes Ortsschild von Clausnitz
    Ortseingangsschild von Clausnitz (dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt)
    Dazu heißt es in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG: "Ja, die Bilder sind abscheulich und widerlich: Eine hasserfüllte Meute vor einem Flüchtlingsheim, verängstigte Menschen im Bus, hilflose Polizisten davor. Oder: Betrunkene Gaffer feiern vor einem brennenden Haus, das Flüchtlingsunterkunft hätte werden sollen. Die Gewalt wird auch befeuert von dem Bürgerkriegsgerede, das sich im Angesicht der Flüchtlingskrise im Land ausgebreitet hat. Wer von einer Invasion spricht, wer den Zorn anfachen und die Temperatur im Land erhöhen will, der darf sich nicht wundern, dass es brennt. Der hat den Brandstiftern das Benzin geliefert", notiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.

    Die Zeitung DIE WELT schreibt: "Die Verrohung ist offensichtlich. Die fremdenfeindlichen Gewalttäter und Brandstifter von Clausnitz, Bautzen und anderswo spekulieren auf klammheimlichen Beifall aus Kreisen all jener derzeit politisch Unbehausten, die sich mit ihrer Kritik an der Flüchtlingspolitik ins 'dunkle' Deutschland abgeschoben sehen. Das macht diese Radikalen der Tat so gefährlich. Weil sie eine Grenze zu verwischen drohen, die absolut und unverrückbar gezogen werden und erkennbar bleiben muss: Die Grenze zu Hass und Gewalt", unterstreicht DIE WELT.

    In der SÄCHSISCHEN ZEITUNG ist zu lesen: "Die schockierenden Bilder aus Clausnitz, die abstoßenden Gaffer, die sich über das Feuer in einer Bautzner Flüchtlingsunterkunft freuen, fügen sich in die Kette von widerlichen Vorfällen nahtlos ein, die Sachsen seit Monaten einen Spitzenplatz in der Liga ausländerfeindlicher Exzesse sichern. Sachsen hat mehr als ein Problem mit Ausländerfeindlichkeit. Es fehlt an politischer Führung, an Klarheit, an Haltung, die vermittelt werden muss. Auch dort, wo es nicht gefällt. In diesen Tagen des Hasses hätte es mehr gebraucht als einen Landesvater, der erst nach zwei Tagen ein paar hilflose Worte dazu findet", bemerkt die SÄCHSISCHE ZEITUNG aus Dresden.

    Die NORDSEE-ZEITUNG aus Bremerhaven fasst zusammen: "Während militante Neonazis in den vergangenen Jahren mancherorts immer offener auftraten und die NPD zweimal ins Parlament einzog, wurde im Freistaat - wohl aus Sorge ums Image - kleingeredet, abgewiegelt, relativiert. Rechtsradikalismus? Gewalt gegen Fremde? Gibt's woanders auch, hieß es immer wieder. Mag sein. Allerdings kann man mit dieser Einstellung die Probleme vor der eigenen Haustür nicht in den Griff bekommen", stellt die NORDSEE-ZEITUNG fest.

    Auch die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg kommt zu dem Schluss: "Clausnitz und Bautzen stehen beispielhaft für politische Lähmungserscheinungen, die sich seit Monaten in Sachsen ausbreiteten. Der Mob macht in vielen Ecken des Landes mobil, Pegida heizt seit Monaten die Massen an und fordert zum 'Ausmisten' auf. Nun kocht es über, die Dinge sind außer Kontrolle. Clausnitz – das ist der Blick in den Abgrund."

    Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG befürchtet: "Es scheint nur eine Frage der Zeit, dann gibt es wieder Tote wie einst bei Anschlägen in Mölln oder in Solingen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt auch für alle Flüchtlinge, so groß die aktuellen Herausforderungen auch sein mögen. Wer das nicht respektiert, gehört hinter Gitter, oder er muss bei Wahlen abgestraft werden. Das gilt besonders für jene, die sich sogar vorstellen können, auf Flüchtlinge schießen zu lassen. Dass die AfD trotzdem hohe Popularität genießt, ist ein Alarmzeichen. Noch tiefer darf Deutschland nicht sinken", warnt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
    Redaktion: Thomas Grimmer