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Nach Darm-OP
Bakterium verhindert die Wundheilung

Oft kommt es Tage später bei einer von zehn Operationen am Enddarm zu Komplikationen. Der Patient bekommt hohes Fieber, hat eine lebensbedrohliche Infektion im Bauchraum. Warum so etwas passiert, darüber konnten Mediziner bislang nur spekulieren. US-amerikanische Forscher glauben, das Rätsel jetzt gelöst zu haben.

Von Martin Winkelheide | 07.05.2015
    Eine Lungentransplantation in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH)
    Ein Problem, mit dem Darmchirurgen häufiger zu tun haben. Die Diagnose: Der Patient hat eine lebensbedrohliche Infektion im Bauchraum. Die Ursache: Eine Darmnaht ist undicht. Bakterien haben den Darm verlassen und sich im Bauchraum angesiedelt. (picture alliance / dpa / Junge /MHH)
    Eingriffe am Darm sind für Bauch-Chirurgen Routine - etwa bei Krebs-Operationen. Wie hier in der Universitätsklinik Bonn.
    "Stand der Dinge ist, dass wir diesen Dickdarmabschnitt, den Übergang von Dickdarm zu Mastdarm gelöst haben aus seinen Aufhängungen und jetzt durchtrennen werden, um das zu entfernen, weil darauf der Tumor saß."
    Die gesunden Teile des Darms näht der Chirurg wieder zusammen - oder er macht eine Klammernaht.
    Darminhalt gelangt in die Bauchhöhle
    In der Regel verheilt die Wunde ohne Probleme - manchmal aber auch nicht. Die Naht wird undicht, Darminhalt gelangt in die Bauchhöhle. Mit lebensbedrohlichen Folgen.
    Das Problem: Es lässt sich nicht vorhersagen, bei welchem Patienten die Darm-Naht halten wird - und bei wem nicht. Die handwerkliche Güte der Naht ist nicht der entscheidende Faktor, so John Alverdy von Universität Chicago.
    Aber welcher ist der Entscheidende?
    "Eine Darmnaht, die undicht ist, kommt einer Katastrophe gleich. Und wir müssen daher unbedingt verstehen, wie solch ein Problem auf molekularer Ebene entsteht - ansonsten können wir Patienten nicht davor schützen."
    John Alverdy untersuchte daher, ob Bakterien die Undichtigkeit verursachen könnten. Er ist nicht der Erste, der den Verdacht geäußert hat - nur beweisen ließ sich die Hypothese bislang nicht. Dann aber wurde Alverdy auf einen an sich harmlosen Darmbewohner mit Namen Enterrococcus faecalis aufmerksam.
    "Enterococcus-Bakterien können lange Zeit friedlich im Darm leben und die Darmgesundheit fördern. Aber sie können auch ganz anders. Wenn ihnen die Umstände günstig erscheinen, werden sie zu krank machenden Bakterien. Sie dringen in die Darmwand ein und zerstören das Gewebe."
    Bakterien bauen Stütz- und Haltegewebe ab
    Einige Enterokokken-Stämme produzieren dann ein spezielles Enzym. Mithilfe dieser Kollagenase können die Bakterien Stütz- und Haltegewebe abbauen - also Löcher in die Naht fressen. Außerdem bringen sie den Körper dazu, selbst solche zerstörerischen Stoffe zu produzieren.
    Warum die Enterokokken plötzlich gefährlich werden? Dafür gibt es viele mögliche Gründe: Eine Darmoperation ist ein großer Eingriff, der das körpereigene Abwehrsystem vorübergehend schwächt. Viele Patienten erhalten vor der Operation eine Chemo- oder Strahlentherapie. Und sie bekommen Antibiotika. All dies verändert das Ökosystem Darmflora. Enterococcus könnte dies zu seinem Vorteil ausnutzen. Und die Lösung für das Problem?
    "The answer may not be: Just more Antibiotics."
    Mehr Antibiotika. Das könnte die falsche Antwort sein, meint John Alverdy.
    Vielfältige Behandlungsmöglichkeiten
    Wenn überhaupt Antibiotika, dann müssten sie als Gel oder in kleinen abbaubaren Schwämmchen vor Ort benutzt werden. Direkt an der Naht, um dort die Wundheilung günstig zu beeinflussen.
    So vielfältig die Ursachen für die Wundheilungsstörung - so vielfältig sind potenzielle Behandlungsoptionen: So wäre es denkbar, die gestörte Darmflora schnell wieder herzustellen. Also entweder zusätzliche günstige Bakterien anzusiedeln mithilfe mithilfe von Nährstoffen, das Bakterienwachstum gezielt zu fördern. Eine andere Variante: die schädlichen Enzyme, die Kollagenasen, medikamentös zu blockieren.
    Welche Strategie die beste ist, will John Alverdy mithilfe weiterer Studien herausfinden.
    "Wir wollen uns die Bakterien-Flora im Darm noch genauer anschauen. Mithilfe einer Kamera, die über ein Endoskop in den Darm vorgeschoben wird: Wie verändert sich die Flora an der Nahtstelle - direkt nach einer Operation und in der Zeit danach, wenn die Wunde heilt?"
    In einem nächsten Schritt will Alverdy dann den Effekt verschiedener Schutz-Strategien überprüfen. Vielleicht lässt sich der Darm sehr einfach dichthalten - ganz ohne Antibiotika.