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Nach dem Anschlag in London
"Ich glaube, die Gemeinschaft wächst zusammen"

In der interkulturellen Gemeinde im Londoner Stadtteil Finsbury Park spielt die Herkunft für die meisten keine Rolle. Doch nach dem Anschlag nahe einer Moschee wachsen Angst und Anspannung. Die Anwohner zeigen sich kämpferisch - und halten zusammen.

Von Thomas Spickhofen | 20.06.2017
    Menschen in London gedenken der Opfer: Ein Polizeibeamter in der Nähe des Anschlagsortes Finbury Park in London.
    Menschen in London gedenken der Opfer: Ein Polizeibeamter in der Nähe des Anschlagsortes Finbury Park in London. (AFP)
    Thomas betreibt seit 25 Jahren einen kleinen Shop in der Seven Sisters Road, wenige Meter vom Ort der Attacke entfernt. Thomas kann es nicht fassen, die Atmosphäre hier sei doch freundlich und lebhaft, so etwas sei hier noch nie passiert. Angela lebt schon immer hier. Auch sie ist entsetzt: "Es ist furchtbar, es fühlt sich ganz furchtbar an. Meine Kinder hatten heute Morgen sogar Angst, in die Schule zu gehen."
    Finsbury Park liegt im Norden von London. Touristen verlaufen sich nicht hierhin, höchstens Fußball-Fans, das Stadion von Arsenal London liegt nur einen Steinwurf weit entfernt. In Finsbury Park leben Nordafrikaner und Südamerikaner, Araber und Asiaten friedlich nebeneinander, katholische Grundschulen liegen neben muslimischen Freizeiteinrichtungen, Kirchen neben Moscheen, eine große irische Gemeinde ist hier zu Hause.
    Soldidarität für die Opfer
    Feisal ist mit seinen Freunden vom Osten Londons rübergekommen, um seine Solidarität zu zeigen. Die Herkunft spiele hier keine Rolle: "Ob reich oder arm, schwarz oder weiß oder blau, am Ende sind wir alle Londoner." So friedlich war es hier nicht immer. Die Finsbury Park Moschee war einmal ein Ort, von dem Hass ausging: Ende der Neunzigerjahre war Amru Hazam al-Masri hier Imam, ein Hassprediger, der inzwischen in den USA im Gefängnis sitzt.
    Auch Kämpfer für Afghanistan und die Geiselnehmer von Beslan sollen hier radikalisiert worden sein oder Kontakte hierher gehabt haben. Die Moschee wurde geschlossen und vor mehr als zehn Jahren wiedereröffnet, seither gilt sie bei Einheimischen als Vorbild für friedliches Miteinander. Vincent geht hier regelmäßig zum Gebet: "Wir hatten früher Probleme mit dieser Moschee. Aber wir haben dagegen gekämpft, Hazam wurde verhaftet, er wurde nach Amerika ausgeliefert. Und wir haben etwas Neues hier in der Gegend aufgebaut."
    Proteste nach Terrorattacke auf Muslime im Londoner Stadtteil Finsbury Park.
    Proteste nach Terrorattacke auf Muslime im Londoner Stadtteil Finsbury Park. (imago stock&people)
    Angespannte Situation in der Gemeinde
    Der Anschlag, über den jetzt alle sprechen, der Hass auf Muslime, ihre Bedrohung, weil andere im Namen ihrer Religion morden – das spürt Vincent nicht. Aber er fürchtet, dass die Muslime allein gelassen werden: "Im Moment ist es hier sehr spannungsgeladen. Und das wird noch Nachwirkungen haben, wenn der Ramadan vorbei ist. Die Muslime werden das nicht tolerieren. Denn das würde ja heißen, dass wir nicht sicher sind und nicht auf uns aufgepasst wird."
    Arif Khan ist in Deutschland zur Schule gegangen, heute ist er Imam in einer Nachbargemeinde von Finsbury Park. Die Mitglieder seiner Gemeinde, sagt Khan, spürten keinen Hass aus religiösen oder ethnischen Motiven, sie hätten auch keine Angst, im Gegenteil: "Nein. Ich würde sagen: Es ermutigt sie, auf die Straße zu gehen und zu sagen, dass das nicht der wahre Islam ist, sondern der wahre Islam Liebe und Frieden predigt."
    Überraschendes Gemeinschaftsgefühl
    Angela, deren Kinder jetzt Angst davor haben, in die Schule zu gehen, sagt: "Wissen Sie was? Ich glaube, die Gemeinschaft wächst zusammen." Ja, die Leute seien erregt über das, was passiert sei, aber in so einem Moment müsse die Gemeinschaft zusammenstehen.
    So sehen das auch Feisal und seine Freunde. Ob denn die Ereignisse der vergangenen Wochen nicht die Gemeinschaft allmählich spalten würden? "Nein, nein!", beeilen sie sich zu versichern, eher mache das alle stärker und bringe die Menschen zusammen, ohne jede Hilfe der Regierung.