Donnerstag, 25. April 2024

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Nach dem Anschlag von Berlin
Herrmann fordert Sicherheitsüberpüfungen von Flüchtlingen

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, CSU, hat sich im Deutschlandfunk für eine Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik ausgesprochen. Es gebe keinen Grund, sich dieser Diskussion zu verweigern, sagte Herrmann. Dabei gehe es jedoch nicht um eine "pauschale Verurteilung von Flüchtlingen".

Joachim Herrmann im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 21.12.2016
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU)
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) warnte im Deutschlandfunk vor einem erhöhten Risiko von islamistischen Anschlägen. (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    Unabhängig von dem Anschlag in Berlin gebe es ein erhöhtes Risiko von islamistischen Anschlägen. In Paris und Brüssel, aber auch bei den Anschlägen in Würzburg und Ansbach habe es sich jeweils um Personen gehandelt, "die im Rahmen des Flüchtlingsstroms nach Deutschland gekommen sind", betonte Herrmann. Dies seien in der Relation zur großen Flüchtlingszahl zwar nur wenige, doch die Risiken seien offenkundig: "Davor dürfen wir nicht die Augen verschließen."
    Herrmann sagte im Deutschlandfunk, man habe beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die in den kommenden zwei Wochen ganz konkrete Vorschläge ausarbeiten werde. Diese sollten Anfang Januar auch im Bundestag diskutiert werden.
    "Flüchtlinge schon an den Grenzen konsequent kontrollieren"
    Überall in Europa kämen im Rahmen der großen Zahl von Flüchtlingen auch Menschen ins Land, "die wir heute als gefährlich einschätzen oder die konkret als Attentäter unterwegs waren", sagte Herrmann. Diese gefährlichen Personen müssten identifiziert werden, bevor sie sich frei in Deutschland bewegen dürften: "Es ist notwendig, dass schon an den Grenzen konsequent kontrolliert wird". Zudem schlug Herrmann Sicherheitsüberprüfungen bei den Flüchtlingen vor, die bereits im Land seien "und von denen offenkundig Gefahren ausgehen".

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es ist das beherrschende Thema heute Morgen, der Anschlag in Berlin. Es liegt inzwischen ein Bekennerschreiben des islamischen Staates vor. Die meisten Experten halten es auch tatsächlich für glaubwürdig. Allerdings ist der Täter nach wie vor unbekannt. Trotzdem hat die Debatte über politische Konsequenzen bereits begonnen. CSU-Chef Horst Seehofer hat da gestern schon einmal deutliche Worte gefunden:
    O-Ton Horst Seehofer: "Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren."
    Armbrüster: Horst Seehofer war das gestern und am Telefon ist jetzt Joachim Herrmann von der CSU. Er ist Innenminister in Bayern. Schönen guten Morgen, Herr Herrmann.
    Joachim Herrmann: Guten Morgen und grüß Gott.
    Armbrüster: Herr Herrmann, hat sich Horst Seehofer da gestern schon mal zu weit aus dem Fenster gelehnt?
    Herrmann: Nein. Warum zu weit aus dem Fenster gelehnt? Es geht darum, dass wir zum einen jetzt natürlich alles dafür tun müssen, dass der oder die Täter so schnell wie möglich konkret ermittelt und gefasst werden. Aber es geht natürlich auch darum, daran zu arbeiten, wie die Sicherheit in unserem Land weiter gestärkt werden kann, wo wir Sicherheitsdefizite aufarbeiten. Das geht um islamistische Gefahren genauso wie wir Neonazis oder anderen Gewalttätern begegnen.
    "Es ist ein Risiko da für weitere Anschläge"
    Armbrüster: Aber es ist noch nicht bekannt, ob der Täter tatsächlich ein Flüchtling war. Trotzdem verlangt Horst Seehofer eine Neujustierung in der Flüchtlingspolitik. Kommt dieser Schluss nicht etwas vorschnell?
    Herrmann: Nein. Es ist doch auf jeden Fall richtig, dass wir hier Probleme haben. Wir stehen am Ende eines Jahres 2016, in dem wir leider jetzt auch in Deutschland islamistische Anschläge erleben mussten, in dem einige Tatverdächtige gefasst wurden, bevor sie Anschläge begehen konnten, Gott sei Dank wie zuletzt in Chemnitz, Leipzig oder auch Syrer in Schleswig-Holstein. Leider hat es aber auch Anschläge gegeben. Das heißt, wir hören ja auch ständig von den Sicherheitsbehörden, es ist eine ganz klare Gefahr da, es ist ein Risiko da für weitere Anschläge. Und dass wir angesichts dessen uns überlegen müssen, wie können wir diese Anschlagsgefahren reduzieren, was können wir für die Sicherheit der Menschen in unserem Land tun, das ist doch wohl nur logisch und da gibt es keinen Grund, das irgendwie auf die lange Bank zu schieben oder sich dieser Diskussion zu verweigern.
    Armbrüster: Herr Herrmann, dann steht für Sie bereits jetzt fest, diese Tat in Berlin vom Montag, die reiht sich ein in andere Verbrechen und Anschläge, die Flüchtlinge in Deutschland begangen haben?
    Herrmann: Das wissen wir noch nicht endgültig, weil es ja noch nicht ermittelt worden ist. Aber Sie haben auch aus den Äußerungen der Sicherheitsbehörden, beispielsweise des Bundeskriminalamts, des Landeskriminalamts, des Polizeipräsidenten von Berlin erst gestern wieder gehört: Jeder sagt ja, die Anschlagsgefahr ist auch heute, ist auch morgen immer noch erheblich. Auch wenn der Täter in Berlin oder die Täter jetzt keine aus dem islamistischen Bereich gewesen sein sollten, dann wird ja doch offensichtlich von den Sicherheitsbehörden das Risiko weiterer islamistischer Anschläge, wie es sie andernorts in Deutschland in diesem Jahr, auch bei uns in Bayern leider gegeben hat, als extrem hoch eingeschätzt. Auch der Bundesinnenminister sagt, es kann jeden Tag damit gerechnet werden. Also werden wir auch in das neue Jahr 2017 hinein mit der Frage gehen, wie können wir solche Gefahren reduzieren.
    "Wir müssen weiter darum ringen, was die richtigen Maßnahmen sind"
    Armbrüster: Herr Herrmann, um noch mal ganz konkret zu diesem Fall zu kommen. Wenn man nicht weiß, ob es ein Flüchtling war, ist es dann legitim, als Konsequenz aus dieser Tat eine Neujustierung der Flüchtlingspolitik zu verlangen?
    Herrmann: Es geht darum, dass diese Gefahren offensichtlich vorhanden sind, und deshalb sagen wir, wir müssen jetzt diesen Fall ganz konkret aufklären. Aber es ist auch unabhängig von dem Fall ganz offensichtlich eine Einschätzung der Sicherheitsbehörden ein erhöhtes Risiko von islamistischen Anschlägen und da muss man schon sagen, dass nicht nur schon in Paris und Brüssel, sondern auch bei denen, die in diesem Jahr festgenommen worden sind, oder auch bei den Anschlägen in Würzburg und Ansbach bei uns in Bayern es sich jeweils um Leute handelte, die im Rahmen des Flüchtlingsstroms insgesamt nach Deutschland gekommen sind. Das ist keine pauschale Verurteilung von Flüchtlingen. In der Relation zur großen Zahl der Flüchtlinge sind es nur wenige. Aber die Risiken sind offenkundig und davor dürfen wir doch auch am Ende dieses Jahres nicht die Augen verschließen, sondern müssen jetzt sehr konkret weiter darum ringen, was sind die richtigen Maßnahmen, um die Sicherheit zu verbessern in unserem Land und die Risiken von Anschlägen gegenüber Menschen, die in Deutschland leben, zu reduzieren.
    Armbrüster: Hat dann Marcus Pretzell von der AfD recht? Er hat gestern wörtlich getwittert, das sind Merkels Tote.
    Herrmann: Das ist ein Unsinn und mit diesem Unfug der AfD werden wir uns nicht beschäftigen. Mein Thema ist die Sicherheit der Menschen in unserem Land und nicht die politische Propaganda anderer Parteien.
    Europäischen Datenaustausch ermöglichen
    Armbrüster: Aber Sie ziehen ja die gleichen Linien, die gleichen Verbindungslinien zwischen dieser Tat und der Flüchtlingspolitik.
    Herrmann: Nein, ich ziehe da überhaupt nicht gleiche Linien, sondern mir geht es darum, dass hier eine konsequente Politik in unserem Land vom Bund und allen Ländern betrieben wird, das Bestmögliche, das Menschenmögliche für die Sicherheit der Menschen in unserem Land zu tun. Das ist mein Job als Innenminister in Bayern. Dafür sind alle, die in entsprechender Verantwortung sind, da und darüber müssen wir ganz konkret reden, nicht nur theoretische Diskussionen führen, sondern konkret handeln. Denn dass die Risiken da sind, das gilt genauso für andere europäische Länder, die schlimmen Anschläge in Frankreich, in Belgien vergleichend. Hier müssen wir die Zusammenarbeit in Europa noch weiter verbessern. Die Defizite sind offenkundig. Wir müssen über solche Dinge reden, warum zum Beispiel die Europäische Union klar vorgeschrieben hat, welche Daten ständig, täglich ausgetauscht werden können zwischen allen Mitgliedsländern des Schengen-Raums und warum zum Beispiel Griechenland, Italien oder Portugal schon fünf Jahre im Verzug sind, diesen Datenaustausch zu ermöglichen. Das sind doch keine politischen Hirngespinste, das sind ganz konkrete Probleme, und an denen müssen wir in unserer Verantwortung Tag und Nacht arbeiten und nicht nur fragen, wer wem welche Schuld zuschiebt. Mir geht es darum, Probleme zu lösen.
    Armbrüster: Trotzdem reden wir ja über die Flüchtlingspolitik und da stellt sich dann an diesem Mittwoch, wenn ich Ihnen da so zuhöre, die Frage: Hat die deutsche Flüchtlingspolitik der vergangenen eineinhalb Jahre die Terrorgefahr bei uns in Deutschland erhöht?
    Herrmann: Es ist ganz offensichtlich, dass überall in Europa im Rahmen der großen Zahl von Flüchtlingen auch Leute ins Land gekommen sind, die wir heute als gefährlich einschätzen, von manchen, wo wir erkennen mussten, dass sie konkret als Attentäter unterwegs waren. Das lässt sich nicht bestreiten und deshalb müssen wir konsequent schauen, wie können wir solche gefährlichen Leute identifizieren und wie können wir für die Zukunft alles dafür tun, dass nicht noch mehr Gefährder, radikale Islamisten in unser Land kommen. Das muss doch unser gemeinsames Sicherheitsinteresse sein.
    "Ordnung in die ganzen Abläufe hineinbringen"
    Armbrüster: Dann muss man aber doch auch die Schlussfolgerung ziehen und sagen, die Opfer, die da beklagt werden, das sind Opfer der Flüchtlingspolitik.
    Herrmann: Es sind Opfer der Täter. Ich lasse mich auf diese Art von Diskussion nicht ein. Das ist genauso wie andernorts irgendjemand behauptet, dass jemand Täter geworden ist aufgrund von sozialer Umstände. Der Täter ist immer selbst der Schuldige und nicht die anderen sind daran schuld. Aber unsere Aufgabe in der Sicherheitspolitik ist es, alles dafür zu tun, dass solche Täter keinen freien Spielraum haben, und deshalb geht es mir nicht darum, andere Flüchtlinge zu diskreditieren, aber wir müssen insgesamt in die ganzen Abläufe auch so viel Ordnung hineinbringen, dass wir das Risiko solcher Anschläge reduzieren. Deshalb ist es notwendig, dass schon an den Grenzen konsequent kontrolliert wird, dass zuerst die Identität von Personen festgestellt wird, bevor sie weiter sich in unserem Land bewegen dürfen, so wie das für andere auch selbstverständlich ist.
    Armbrüster: Das passiert ja inzwischen.
    Herrmann: Ja, aber offensichtlich immer noch zu wenig, und wir müssen jetzt gemeinsam darüber reden, was machen wir noch einmal in einer Art von Sicherheitsüberprüfung mit jenen, die schon da sind und von denen offenkundig Gefahren ausgehen.
    Armbrüster: Herr Herrmann, es wird bereits überprüft, es wird registriert. Die Zahl der Flüchtlinge ist ja auch deutlich zurückgegangen in diesem Jahr auf nur noch 300.000. Was genau will die CSU jetzt noch neu justieren?
    Herrmann: Wir haben gestern im Kabinett der bayerischen Staatsregierung beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die jetzt innerhalb der nächsten zwei Wochen weitere ganz konkrete Vorschläge erarbeiten wird, und wir werden uns dann in den Klausurtagungen der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und der CSU-Landtagsfraktion Anfang Januar ganz konkret mit diesen Konzepten beschäftigen und sie auch mit Fachleuten diskutieren.
    Armbrüster: Joachim Herrmann von der CSU war das, der Innenminister von Bayern. Vielen Dank, Herr Herrmann, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.