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Nach dem Brexit
Rechtspopulisten spüren Aufwind

Großbritannien will die EU verlassen - das ist das Ergebnis des gestrigen Referendums auf der Insel. Der bevorstehende Austritt befeuert Europas Rechtspopulisten: So werden in den Niederlanden und in Frankreich Forderungen nach eigenen Referenden laut. Kommt es zu einem Domino-Effekt?

24.06.2016
    Marine Le Pen, Chefin der französischen Rechtspartei "Front National" begrüßt das Referendum, in dem sich die Briten, für den Brexit, das Ausscheiden aus der EU, aussprechen.
    Marine Le Pen, Chefin der französischen Rechtspartei "Front National" begrüßt das Ergebnis des Brexit-Referendums (picture alliance / dpa / EPA / Jeremy Lempin)
    Für Marine Le Pen, Geert Wilders und Beatrix von Storch ist der heutige Tag ein Feiertag:
    Denn das britische Votum zum EU-Austritt gibt den Forderungen der Rechtspopulisten in Frankreich, den Niederlanden und auch in Deutschland nach mehr Souveränität und Unabhängigkeit Auftrieb. Geert Wilders, Chef der niederländischen Partei PVV, kündigte an, ab jetzt für ein eigenes Referendum über einen EU-Austritt der Niederlande werben zu wollen. Nächsten März finden in den Niederlanden die nächsten Wahlen statt - bei einem Wahlsieg will Wilders die Umsetzung eines Referendums vorantreiben. Die Niederlande hatten bereits im April bei einer Volksabstimmung gegen ein Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine gestimmt - das Ergebnis war als Denkzettel für die EU gewertet worden.
    Le Pen will mit EU-Austritt bei den Wahlen punkten
    Und auch Marine Le Pen vom französischen Front National forderte eine Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft Frankreichs. "Was vor wenigen Monaten noch niemand zu glauben wagte, ist jetzt Wirklichkeit geworden. Es ist möglich, die EU zu verlassen," so Le Pen. Die britischen Bürger hätten den Europäern und allen anderen eine Lektion in Sachen Demokratie erteilt. Le Pen will mit dem Thema bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr punkten. "Europa wird im Herzen der nächsten Präsidentschaftswahlen stehen," kündigte sie an. Sie hat gute Chancen, bei der Wahl zumindest in die Stichwahl einzuziehen. Eine kürzlich vorgestellte Studie der Bertelsmann-Stiftung ergab, dass bei einer Abstimmung nur knapp 52 Prozent der Franzosen für einen Verbleib stimmen würden. Le Pen kündigte zudem an, die Pro-Unabhängigkeit-Bewegungen im Europäischen Parlament würden sich demnächst über ihr weiteres Vorgehen nach dem Referendum beraten.
    Auch die nationalkonservative Regierung Polens äußerte sich zum Referendum - allerdings in gemäßigteren Tönen: Sowohl Ministerpräsidentin Beata Szydlo als auch ihr Parteichef Jaroslaw Kazcynski forderten mehr Souveränität für die EU-Mitgliedsstaaten. Kazcynski bezeichnete die Idee eines föderalen Europas als "verheerend". Er schlug stattdessen ein Modell auf der Basis der "Nationen, der Nationalstaaten" vor. Indirekt rief er zudem die EU-Führung auf, dem Beispiel des britischen Premierministers David Cameron zu folgen und ihren Rücktritt einzureichen.
    AfD: Höcke will Referendum für Deutschland
    Uneinigkeit herrschte hingegen bei den deutschen Rechtspopulisten von der AfD: Ihr Vizechef Alexander Gauland sagte, seine Partei wolle keine Kampagne für einen EU-Austritt Deutschlands starten. Besser wäre es, die EU würde sich zurückentwickeln, hin zu einer reinen Wirtschaftsunion. "Ich denke, die Briten haben sich für die direkte Demokratie entschieden. Ich glaube, dass es gut ist, dass sie das getan haben", fügte er hinzu. Trotzdem bedauere die AfD den Austritt Großbritanniens. Denn die Briten hätten in der EU in den vergangenen Jahren stets pragmatisch gehandelt und mehrere vernünftige Reformvorschläge präsentiert.
    Der AfD-Fraktionsvorsitzende in Thüringen, Björn Höcke, forderte dagegen als Konsequenz aus dem Brexit-Votum eine Volksabstimmung über einen Verbleib Deutschlands in der Union. "Mit dem Austritt aus der EU haben die Briten den Weg des kollektiven Wahnsinns verlassen und sich für Demokratie und Volkssouveränität entschieden", erklärte Höcke, der dem rechtsnationalen Parteiflügel zugerechnet wird. Er sprach von einem "Freudentag für Europa".
    CSU-Politiker Weber: "Es geht nicht nur um Europa"
    Der französische Politikwissenschaftler Dominique Moïsi warnte vor einem "gefährlichen Dominoeffekt" des britischen Referendums. Besonders Länder wie Dänemark oder die Niederlande seien gefährdet, sagte er der Nachrichtenagentur AFP. "Das Vertrauen der Menschen in das System ist weggeschmolzen und die EU lässt sich nur schwer verkaufen," mahnte auch die britische Politikwissenschaftlerin Melanie Sully. Und der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung glaubt nicht nur an einen politischen, sondern auch an einen ökonomischen Domino-Effekt. Er sagte im Deutschlandfunk: "Meine größte Sorge gilt Ländern wie Italien, die einfach im Augenblick so schwach und so verletzlich sind, dass es, wenn es hier zu einem Ansteckungseffekt kommt auf Italien, dass dann Italien diese Krise sehr stark spüren könnte und wir dann ganz schnell wieder da sind, wo wir beispielsweise 2012 waren, wo die Zinsen auf Staatsanleihen durch die Decke gegangen sind und wo die Eurozone eine tiefe Rezession erfahren hat."
    (cvo/tgs)