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Nach dem Brückeneinsturz
Genua wird zur geteilten Stadt

Der Einsturz der Autobahnbrücke in Genua hat ganz Italien schockiert. Viele haben das Bedürfnis zu helfen. Die Unglücksursache ist noch unklar, aber es wird immer deutlicher, dass Genua durch den Ausfall der wichtigen Verbindungsstraße auf viele Jahre zu einer geteilten Stadt werden wird.

Von Lisa Weiß | 15.08.2018
    Die Überreste der Autobahnbrücke in Genua nach dem Einsturz am 14. August
    Die Überreste der Autobahnbrücke in Genua nach dem Einsturz am 14. August (imago / Mauro Ujettox)
    Es ist eigentlich Alltag für Davide Capello: Eine Autofahrt über den Ponte Morandi, die charakteristische Autobahnbrücke in Genua. Doch diesmal war die kurze Fahrt durchs Unwetter, durch den strömenden Regen die erschreckendste Erfahrung seines Lebens. Eine Szene, wie aus einem Horrorfilm, sagt er.
    "Ich bin nach Genua gefahren, und als ich über die Brücke bin, habe ich plötzlich gesehen, dass sie vor mir zusammenbricht und auch mein Auto und ich sind nach unten gestürzt. Ich bin dann mit dem Auto irgendwo hängen geblieben, ich weiß es nicht genau. Deshalb bin ich nicht nach ganz unten gefallen."
    Davide Capello hat den Sturz in die Tiefe unverletzt überlebt, Einsatzkräfte halfen ihm, aus seinem Auto zu kommen. Nicht alle hatten so viel Glück wie er: Über 30 Fahrzeuge stürzten von der Brücke, die meisten schlugen 45 Meter weiter unten auf dem Boden auf. Viele Insassen starben, andere wurden schwer verletzt aus den Trümmern gezogen. Massive Brückenteile begruben Autos unter sich, zerquetschten sie, andere Fahrzeuge landeten im Fluss unter der Brücke. Es waren schreckliche Bilder, sagt auch Feuerwehrkommandant Emanuele Gissi:
    Große Hilfsbereitschaft in Italien
    "Die Einsatzkräfte haben die Situation vorgefunden, von der wir leider ausgehen müssen, wenn Vermisste unter den Trümmern sind. Es waren auch Gasleitungen unterbrochen."
    Und daher hätte auch Gas austreten und sich entzünden können, doch diese Explosionsgefahr ist mittlerweile gebannt. Italien ist geschockt, viele haben das Bedürfnis, irgendwie zu helfen – es gab lange Schlangen vor den Blutspendestellen. Staatspräsident Sergio Mattarella sprach von einer Katastrophe, die Genua und ganz Italien getroffen habe, Verkehrsminister Danilo Toninelli von einer entsetzlichen Tragödie. Angela Merkel und viele andere Regierungschefs aus der ganzen Welt drückten ihre Anteilnahme aus. Doch die Frage, die bleibt, ist: Wie konnte das alles passieren? Stefano Marigliani von "Autostrade per Italia", der Betreibergesellschaft der Autobahn kann sich den Zusammenbruch der Brücke nicht erklären:
    "Die Brücke war aus unserer Sicht in Ordnung. Wie alle Infrastruktur-Bauwerke wurde sie rigoros überwacht und kontrolliert. Die letzten Kontrollen waren im Zeitraum zwischen April und Juni dieses Jahres."
    Brücke aus den 60-Jahren
    Vielleicht lag es am Sturm, daran, dass die Brückenpfeiler durch den strömenden Regen unterspült wurden – vielleicht ist bei den Kontrollen doch irgendetwas übersehen worden. Die Brücke ist in den 60er-Jahren erbaut worden, in einer Zeit, in der man an Massen an Autos, an die schweren Lastwagen von heute noch nicht einmal denken konnte. Wer schuld an dem Unglück ist, das müsse jetzt die Staatsanwaltschaft klären, sagt Verkehrsminister Danilo Toninelli.
    "Das Wichtigste ist die Instandhaltung und die Sicherheitsüberprüfung der vielen Brücken und Viadukte in Italien. Wir werden das machen und wir werden auch neue bauen, Alternativen zu den alten, die leider zu alt sind."
    Auch Italiens Regierungschef Giuseppe Conte hat schon Investitionen in die Infrastruktur versprochen – dem maroden Straßensystem des Landes würde das auf jeden Fall gut tun – das sind sich vermutlich so gut wie alle Italiener einig. Doch der Wiederaufbau der Brücke in Genua dürfte noch einige Zeit dauern – und für die Stadt ist das ein Problem, die Brücke stellte einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt dar. Universitätsprofessor Enrico Musso, der die Stadt beim Thema Mobilität berät, sagt sogar:
    "Die Stadt und die Region sind in zwei Teile geteilt. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, an Ost-Genua und an West-Genua zu denken – wie Ost-Berlin und West-Berlin vor dem Mauerfall. Und das leider für einige Jahre."