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Nach dem Pferdefleischskandal
Neue Schnelltests für Fertiggerichte

Als vor drei Jahren nicht deklariertes Pferdefleisch in Fertiggerichten auftauchte, dauerten die Laboranalysen mehrere Tage. Viel Zeit verging, bis alle belasteten Gerichte aus dem Verkehr gezogen waren. Neue Untersuchungsmethoden sollen nun Fleischsorten viel schneller unterscheiden - und Lebensmittelwächtern kürzere Reaktionszeiten ermöglichen.

Von Volker Mrasek | 23.11.2016
    Eine Probe aus einem Fertiggericht wird im Labor des Landesamtes für Lebensmittelsicherheit in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) auf Pferdefleisch untersucht.
    Beim Pferdefleischskandal dauerte es viele Tage, bis die Lebensmittelüberwachung den Markt sondiert hatte und belastete Fertiggerichte aus dem Verkehr ziehen konnte. (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
    Laborleiterin: "Wo ist die Deklaration? 97 Prozent Rindfleisch. In der Probe dürfte nur Rindfleisch drin sein."
    Amtsleiter: "Hackfleisch-Drehspieß vom Kalb. Tiefgefroren. Fünf Kilogramm. Wird hier auch untersucht."
    Laborleiterin: "Im Rahmen des Sonderprogramms Pferdeskandal."
    Drei Jahre ist es her. Chemische Untersuchungsämter fuhren Sonderschichten. In verarbeiteten Lebensmitteln war nicht deklariertes Pferdefleisch aufgetaucht. Ein krasser Fall von Verbrauchertäuschung, der hohe Wellen schlug.
    Laborleiterin: "Die meisten auffälligen Proben waren in Fertiggerichten wie Lasagne, Tortellini, dergleichen."
    Schnelltest sollen Fleischsorten binnen weniger Stunden unterscheiden
    Eine akute Gefahr für die Gesundheit bestand damals zwar nicht. Aber es dauerte viele Tage, bis die Lebensmittelüberwachung den Markt sondiert hatte und belastete Fertiggerichte aus dem Verkehr ziehen konnte.
    Künftig soll das flotter gehen. Durch neue Schnelltests, mit denen sich Fleischsorten binnen weniger Stunden sicher unterscheiden lassen. Einer davon nennt sich MALDI-TOF MS:
    "Oder ganz kurz: MALDI. Das ist so der Jargon bei uns."
    Jörg Rau leitet die Abteilung "Tierische Lebensmittel" im Chemischen Untersuchungsamt in Stuttgart und entwickelt die Methode derzeit weiter. Dabei kommt ein normales Massenspektrometer zum Einsatz - allerdings eines, das die Proben schonend verdampft. So können auch die großen und zerbrechlichen Bio-Proteine aus dem Muskelfleisch untersucht werden:
    "Da nehmen wir ein Proteinmuster. Und dieses Proteinmuster ist wie ein Fingerabdruck für die Tierart, die wir da vor uns haben."
    Datenbank umfasst die wichtigsten Nutztierarten
    Das A und O der Methode ist der Aufbau einer Datenbank mit Vergleichsproben verschiedener Tierarten, ähnlich einer Fingerabdruck-Kartei:
    "Wir haben jetzt innerhalb eines Jahres oder anderthalb Jahren eine Datenbank entwickelt, die die wichtigsten Nutztierarten umfasst. Also, überprüfte Parameter, die jetzt auch aus unserer Sicht gerichtsfest sind, sind für Rind, Schwein und Huhn verfügbar. Pute, Reh und auch Pferd sind jetzt in der Mache und werden jetzt praktisch weiter zusammengestellt."
    Mit MALDI-TOF dauere die Untersuchung einer Fleischprobe nur noch fünf bis zehn Minuten, so der Stuttgarter Lebensmittelchemiker:
    "Viel, viel schneller als die Verfahren, die wir bis jetzt im Einsatz haben. 30 Minuten mit Auswertung."
    Einen großen Nachteil hat die neue Methode allerdings: Ein verlässliches Ergebnis bekommt Jörg Rau nur bei größeren Fleischstücken, nicht aber bei Fertigprodukten mit geringen prozentualen Anteilen von Rind, Schwein - oder eben Pferd. Das Stuttgarter Untersuchungsamt will MALDI-TOF denn auch in der Gastronomie einsetzen. Um etwa herauszufinden:
    "Ob das Wildfleisch, das angeboten wird, auch wirklich Wildfleisch ist oder womöglich aus anderen Quellen kommt, zum Beispiel durch Beimischungen von Rind, Känguru oder sonst wie verfälscht wurde. Wir zielen aufs Gulaschstück, vielleicht aufs Hackfleisch ab in der Mischung. Wir können jetzt kleinere Beimischungen nicht differenzieren."
    Artspezifische Fingerabdrücke - auch in Fertiggerichten
    Das aber scheint mit einem anderen Ansatz möglich zu sein, den Jens Brockmeyer zurzeit verfolgt. Er ist Professor für Analytische Lebensmittelchemie an der Universität Stuttgart. Brockmeyer hat ebenfalls die Muskelproteine im Blick. Nur zerhäckselt er sie quasi zunächst einmal, durch die Behandlung mit einem Enzym.
    So entstehen mehrere zehntausend kleine Protein-Bruchstücke, Peptide genannt. Die untersucht Brockmeyers Arbeitsgruppe dann, ebenfalls in einem Massenspektrometer. Das Ganze nennt sich Proteom-Analytik. Mit ihr kommt man zu noch feineren artspezifischen Fingerabdrücken - auch in Fertiggerichten:
    "Wir können wirklich hochverarbeitete Proben damit untersuchen. So Sachen wie Corned Beef, Lasagne etc., das geht! Wir haben auch schon kommerzielle Proben aus dem Supermarkt untersucht und da eben auch Pferdefleisch in Corned Beef gefunden, auch ein Jahr nach dem Pferdefleischskandal."
    In Brockmeyers Fingerabruck-Kartei sind inzwischen schon neun Tierarten vertreten, wie der Lebensmittelchemiker sagt. Die Methodik sei veröffentlicht und anwendungsreif:
    "Also Pferd, Schwein, Rind, Rotwild, Rehwild, Damwild, Huhn, Hase und Ziege können wir voneinander unterscheiden."
    Staatliche Untersuchungsämter interessiert an neuer Methode
    Auch diese Methode hat aber einen Nachteil. Die enzymatische Vorbehandlung, das sogenannte "Verdauen" der Muskelproteine, benötigt im Moment noch 16 Stunden. Aber:
    "Das kann man mit Methoden, die aktuell verfügbar sind, auf sieben Minuten reduzieren. Man kann Mikrowellen-unterstützte Verdauung durchführen. Das würde das Ganze natürlich sehr deutlich beschleunigen. Das ist auch die Idee, auf eine Bearbeitungszeit in einem Rahmen von zwei bis drei Stunden zu kommen."
    Erste staatliche Untersuchungsämter zeigen inzwischen großes Interesse an der Proteom-Analytik. Vor Kurzem demonstrierte Brockmeyer die Methode auch im Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin:
    "Das ist wirklich auf dem Weg, in einigen Ämtern umgesetzt zu werden."
    Mit MALDI-TOF und der Proteom-Analytik bekommen die Lebensmittelwächter Werkzeuge in die Hand, mit denen sie schneller reagieren könnten, sollte es noch einmal zu Fleischskandalen wie vor drei Jahren kommen. Dann wäre es keine Sache von Tagen mehr, verfälschte Produkte sicherzustellen, sondern nur noch von Stunden.