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Nach dem Schweizer Votum
"In der Schweiz ist das Volk der Chef"

Der Chefredakteur und Herausgeber der Züricher Wochenzeitung "Weltwoche", Roger Köppel beklagt mangelnden Respekt in Europa vor der Schweizer Basisdemokratie. Im Gegensatz zum "Elitenprojekt" EU werde in der Schweiz Demokratie groß geschrieben, sagte Köppel im Deutschlandfunk.

Roger Köppel im Gespräch mit Dirk Müller | 12.02.2014
    Plakat der Befürworter der Initiative
    Plakat der Befürworter der Initiative (dpa / picture-alliance / Thomas Burmeister)
    Dirk Müller: Basisdemokratie schon, aber nicht, wenn es uns nicht richtig passt. Dann lassen wir lieber die Finger davon. Diese Devise gilt offenbar in der EU, aber eben nicht in der Schweiz. Da ist Basisdemokratie oberste Bürgerpflicht. Am Sonntag hat die Basis wieder entschieden, wenn auch denkbar knapp, aber dafür entschieden, die Zuwanderung auch aus der Europäischen Union zu begrenzen. Mit der Kavallerie ist jetzt nicht gedroht worden, aber immerhin mit massiven wirtschaftlichen Nachteilen, mit massiven politischen Nachteilen und jetzt ganz konkret auch damit, die geplante Öffnung des Strommarktes zu kappen. Das ist aber in Brüssel wieder relativiert worden. Der Vorwurf also in Richtung Bern: Die Schweiz verletzt mit diesem Votum alle Verträge zur Freizügigkeit und zum Binnenmarkt. Darüber sprechen wir nun mit Roger Köppel, Chefredakteur der Wochenzeitung "Weltwoche", die in Zürich erscheint. Er hat für die Initiative gegen Masseneinwanderung gestimmt. Guten Morgen!
    Roger Köppel: Guten Morgen!
    Müller: Herr Köppel, spinnen die Europäer?
    Roger Köppel, Chefredakteur der "Weltwoche"
    Roger Köppel (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Köppel: Nein. Ich versuche es ja immer mit Argumenten, nicht mit Beleidigungen, wie das da jetzt einige Politiker wahrscheinlich im Überschwang der Emotionen gemacht haben. Aber ernsthaft: Ich meine, aus solchen Worten spricht natürlich ein fundamentaler Mangel an Respekt gegenüber der Demokratie und auch eine mangelnde Einsicht gegenüber dem, was in der Schweiz letztlich passiert ist.
    "Das Votum vom letzten Wochenende ist nicht ein Votum für Abschottung gegen Ausländer"
    Müller: Und das hat Sie überrascht?
    Köppel: Ja! Ich meine, es ist ja so, dass in der EU tatsächlich die Demokratie nicht so groß geschrieben wird, weil dort werden ja die Bürger zu keinen relevanten Entwicklungen befragt. Aber ich glaube, man muss etwas hier klarstellen: Das Votum vom letzten Wochenende ist nicht ein Votum für Abschottung gegen Ausländer oder gegen Deutsche, oder so irgendetwas, sondern es ist letztlich einfach ein Votum einer Mehrheit und einer sogar relativ soliden Mehrheit, wenn man die Kantone dazunimmt und auch die Tatsache, dass Volksinitiativen eher selten angenommen werden in der Schweiz, es ist ein Votum für Selbstbestimmung und Souveränität. Die Schweiz möchte in einem wichtigen Bereich, nämlich der Personenfreizügigkeit, selber über die Zuwanderung bestimmen, und man entflechtet sich hier ein bisschen aus den Automatismen der EU. Schließlich ist die Schweiz ja auch nicht EU-Mitglied.
    Müller: Herr Köppel, Sie beschäftigen sich viel mit der deutschen Situation. Sie sind auch viel in den deutschen Medien präsent. Sie haben eben gesagt, da gibt es ein Demokratiedefizit in Europa. Wir haben vor einigen Jahren auch schon einmal telefonisch hier im Interview über den Fall Berlusconi geredet. Wir haben über Schüssel und Haider geredet, wo auch die EU sanktioniert hat, obwohl das demokratisch legitimierte Politiker waren. Ist Europa da nicht konsequent und heuchlerisch?
    Köppel: Die EU ist ja in dem Sinne ein Elitenprojekt, das von oben nach unten durchgezogen wird. Man könnte sagen, die EU ist eine Regierung, die irgendwie versucht, sich einen Unterbau oder ein Volk zu geben, und ich meine, jeder normale Nationalstaat und die Schweiz jetzt auch im Besonderen, das sind Völker, die sich eine Regierung gegeben haben, die sind von unten nach oben aufgebaut, und die Schweiz ganz besonders. In der Schweiz ist eben das Volk der Chef und die Leute, die direkt Betroffenen, die geben zum Ausdruck, was sie wollen. Mich ärgert dann etwas in den Reaktionen, wenn das als Ängste oder diffuse Ängste oder pathologisch angeschaut wird, weil wenn die Schweizer gegen diese Initiative gestimmt hätten, dann hätte Brüssel vermutlich gesagt, was für ein weiser Entscheid, wie vernünftig diese Schweizer hier sind. Wenn sie aber anders entscheiden, dann sind sie plötzlich diffus, verführt, manipuliert, populistisch, angekränkelt. Da sehen Sie doch, dass das scherbelt. Das stimmt einfach nicht, diese Argumente. Das sind gar keine.
    "Schweiz in viel stärkerem Ausmaß von der Zuwanderung betroffen"
    Müller: Bei den Minaretten war das auch so.
    Köppel: Ja natürlich! Ich meine, natürlich: Das Volk entscheidet und gibt einen Befund zum Ausdruck, und das ist Demokratie, Volksherrschaft. Und ich stelle einfach fest, in der EU wird Demokratie als etwas verstanden, ich weiß nicht, was schon einen Konsens voraussetzt, oder Demokratie ist, wenn es am Schluss so herauskommt, wie die Obrigkeit es immer gewollt hat, und das ist natürlich nicht die Demokratie. Und wenn man gleich von den Minaretten spricht, das hat eine sehr heilsame und segensreiche Diskussion in der Schweiz ausgelöst, unter den Muslimen vor allem, und das hat überhaupt keine Probleme gebracht. Im Gegenteil! Es ist doch ein Vorteil, wenn ein Unbehagen auf den Tisch kommt, wenn die Politiker daran erinnert werden, wo der Schuh drückt. Und glauben Sie nicht, in der EU ist die Personenfreizügigkeit natürlich genauso umstritten wie in der Schweiz. Nur ist die Schweiz in viel stärkerem Ausmaß von der Zuwanderung betroffen. Wir haben 85.000 Nettozuwanderung jetzt pro Jahr. Selbst linke Ökonomen sind der Meinung, das geht nicht, das ist zu viel, das funktioniert nicht. In Deutschland haben Sie 320.000 bei einer viel größeren Bevölkerung. Sie müssen 850.000 Nettozuwanderung haben, nur um zu zeigen, dass hier nicht irgendwelche Hirngespinste den Ausschlag gegeben haben.
    Müller: Herr Köppel, danke, dass Sie jetzt aufhören, interessant, aber wir müssen Schluss machen.
    Köppel: Entschuldigung, tut mir leid.
    Müller: Nein, wir sind viel später dran. Die Musik kommt schon und sagt zu uns beiden, interessant, aber bitte Schluss machen. Danke nach Zürich, Roger Köppel.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.