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'Nach dem Terror'

Fischer: Hat sich Ihrem Lektorat die Antisemitismus-Frage nicht gestellt oder, wenn doch, wie haben Sie sie beantwortet?

Verlagsleiter Günter Berg im Gespräch | 05.08.2003
    Berg: Also, ich bin ziemlich sicher, dass in unserem Lektorat die Vokabel "Antisemitismus" noch nicht auf so taube Ohren stoßen würde, dass die Kollegen das nicht merken. In diesem Buch geht es über 240 Seiten darum, wie möglicherweise die Terroranschläge vom 11. September, die der Autor massiv verurteilt, wie die zu erklären sind. Und es gibt an zwei Stellen in diesem Buch als Beispiel dafür, dass es auf dieser Welt Krisen- und Konfliktherde gibt: eine Auseinandersetzung mit der Situation in Israel. Und dabei unterlaufen Honderich methodisch vielleicht Fehler. Honderich unterscheidet seine politische Bewertung des palästinensischen Terrors nicht von dessen moralischer Rechtfertigung, und das ist ein Buch, das insgesamt sich mit politischer Moral beschäftigt. Wenn man sich diese Stellen anschaut, dann muss man sagen, ja, hier hätte man vielleicht noch sorgfältiger hinschauen müssen, hier hätte man noch sorgfältiger prüfen und vielleicht auch mit dem Autor sprechen müssen, das ist unterblieben.

    Fischer: Micha Brumlik erinnert ja explizit auch an Martin Walsers Roman "Tod eines Kritiker" und bezeichnet das als einen "antisemitischen Roman". Soweit ich sehe, ist die Frage damals breit diskutiert und nachdem man das Buch lesen konnte, eher zu Walsers Gunsten ausgegangen. Aber ist das eigentlich ein Problem der Definition dessen, was man als "antisemitisch" betrachtet, und wäre der bewiesene Verdacht ein Grund für Sie, eine Buch vom Markt zu nehmen?

    Berg: Wenn wir damals, im Falle von Martin Walser, den Eindruck hätten haben müssen, dass Walser einen antisemitischen Roman geschrieben hat, dann wäre das sicherlich Grund genug gewesen, das Buch zurück zu ziehen. Dass Micha Brumlik in seinem offenen Brief, der, das macht die Form ja schon deutlich, ein offener Brief ist - er hat sich nicht an den Verlag gewandt, um uns darauf hin zu weisen, dass er möglicherweise mit dem Buch von Ted Honderich Probleme hat - der offene Brief braucht möglicherweise das Skandalieren, er braucht Vokabeln wie "Walser-Debatte", wie "Antisemitismus", wie "Möllemann". Ich finde das, gelinde gesagt, ungeschickt. Nichts desto Trotz, wir müssen uns mit diesem Anwurf auseinander setzen, wir werden uns damit auseinander setzen. Das Buch ist seinerzeit auf Anraten von Jürgen Habermas in den Suhrkamp-Verlag gekommen. Habermas wird morgen in der Frankfurter Rundschau dazu Stellung nehmen, dass wird aus meiner Sicht eine Erklärung sein, warum er seinerzeit sich sehr für dieses Buch eingesetzt hat.

    Fischer: Warum hat er das getan?

    Berg: Ich will ihm jetzt nicht vorgreifen, er arbeitet noch an diesem Text. Ich denke, dass er überzeugt war, dass ein, sage wir mal - das ist ein Buch, das sehr fundamental-sozialdemokratisch ist, das sich mit sehr, sehr vielen moral-philosophischen Grundfragen auseinander setzt: Wo ist wirklich Armut, wie kann durch Geld Armut gelindert werden, was passiert in Ländern, in denen permanente Ausbeutung und Armut herrscht? Dass solche Fragen auch am Vorabend des Irak-Kriegs, denn in diesem Kontext hat Jürgen Habermas es aus den USA mitgebracht, in ihm möglicher Weise eine positive Grundstimmung für dieses Buch erzeugt haben, ich weiß es nicht genau.

    Fischer: Aber der Vorwurf, Herr Berg, Ted Honderich halte Mord an israelischen Zivilisten für richtig, mindestens gerechtfertigt, wiegt doch schon schwer, mindestens in Deutschland.

    Berg: Außerordentlich! Vor allem, wenn Sie diesen Satz heraus nehmen und sagen wir mal, jeden hermeneutischen Kredit des Zusammenhangs des Kapitels, in dem ein solcher Satz steht, wegnehmen, wiegt der nicht nur schwer, sondern er ist im Grunde unhaltbar, da haben Sie völlig recht. Und es gab eine Debatte um dieses Buch, diese Debatte wird in den USA gerade fortgesetzt. Ted Honderich hat noch in der letzten Woche eine lange Vorlesung, "Terrorism for Humanity", auf seiner Homepage publiziert, in der er zum Teil noch verschärft, was an diesen wenigen Stellen in unserem Buch formuliert ist. Honderich wehrt sich natürlich in dieser Debatte vor allem gegen Anwürfe, die genau zu diesem Thema, nämlich ein viel zu lang ungelöstes Problem im Nahen Osten vielleicht zu pointiert dargestellt zu haben. Wir werden uns auseinander setzen müssen mit diesen Vorwürfen, wir werden das auch tun. Es ist das Schlimmste, das kann man ganz deutlich sagen, das ist das Schlimmste, grade für einen Verlag wie Suhrkamp, der eine lange Tradition im Bereich der Publikation jüdischer Themen und jüdischer Autoren hat, sich mit Antisemitismus auseinander zu setzen.

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