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Nach dem Trump-Sieg
"Für Europa nicht so wichtig, ob er eine Mauer baut"

Der slowakische Europaabgeordnete Richard Sulik hat davor gewarnt, Donald Trump zu unterschätzen. Zwar habe er Fragezeichen, doch traue er dem kommenden US-Präsidenten zu, "dass er es meistert", sagte Sulik im DLF. Für Europa sei nicht wichtig, was Trump an der Grenze zu Mexiko anstelle oder ob er die NATO reformiere.

Richard Sulik im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 12.11.2016
    Richard Sulik, Mitglied des Europäischen Parlaments
    Richard Sulik, Mitglied des Europäischen Parlaments (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Eine mögliche Mauer an der Grenze zu Mexiko sei "zu weit weg" und deshalb nicht wichtig, betonte Sulik. Dagegen könne Trump "dazu beitragen, dass sich die Situation im Nahen Osten beruhigt". Sollten die USA und Russland im Syrien-Krieg zu einer Einigung kommen, sei das für ihn auch wichtiger als die Frage nach der Zukunft der NATO.
    Sollte Trump fordern, dass Europa seinen Pflichten in dem Verteidigungsbündnis nachkommt, müsste er ihm Recht geben, so Sulik. So hätten die Slowakei und auch andere EU-Länder in der Vergangenheit nicht die eigentlich vorgesehenen zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung in ihre Aufrüstung gesteckt.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Um 8:21 Uhr wollen wir noch einmal über die Zukunft der Europäischen Union reden und was nach Trump eigentlich passieren muss. Muss da was passieren? Es gibt Leute, ja, die sagen, wir brauchen in Europa einen neuen Aufbruch, wir müssen enger zusammenrücken, und es gibt vielleicht auch andere Stimmen. Das wollen wir jetzt nachfragen bei Richard Sulík von der Partei Freiheit und Gerechtigkeit aus der Slowakei im Europäischen Parlament, und ein bekennender Europakritiker, er ist jetzt bei uns am Telefon und zunächst einmal sage ich: Guten Morgen, Herr Sulík!
    Richard Sulík: Schönen guten Morgen!
    Zurheide: Herr Sulík, zunächst einmal mit dem Blick auf Trump: Wenn Sie auf seine Präsidentschaft, auf die heraufziehende Präsidentschaft schauen, haben Sie Hoffnungen, haben Sie Sorgen?
    Sulik: Also, ich habe auf jeden Fall Fragezeichen, bin da sehr gespannt, wie er damit zurechtkommt. Aber ich würde den Trump nicht unterschätzen. Er wurde ja unterschätzt bei den Vorwahlen, dann später bei dieser Wahl selbst. Also, ich würde ihm schon zutrauen, dass er das meistert.
    Zurheide: Kommen wir auf die verschiedenen Politikfelder. Flüchtlingspolitik, da ist er sehr nah bei Ihnen, so unter der Überschrift: Wir machen da nicht mit. Haben die Amerikaner gesagt, das haben Sie auch ein paarmal vehement gesagt. Da liegen Sie auf einer Linie?
    Sulik: Ja, auf jeden Fall.
    Zurheide: Was erwarten Sie von ihm, wird er das durchsetzen, was er gesagt hat, die Mauer zu bauen?
    Sulik: Wissen Sie, das ist für Europa nicht so wichtig, ob er eine Mauer zwischen USA und Mexiko baut oder nicht. Die Vereinigten Staaten sind einfach viel zu weit weg. Aber ich hoffe, er könnte dazu beitragen, dass eben die Situation im Nahen Osten, dass die sich da beruhigt, vor allem, dass der Krieg in Syrien beendet wird.
    "Auf jeden Fall ist die Ukraine nicht Mitglied der NATO"
    Zurheide: Da sind wir schon bei einer anderen, ganz spannenden Frage: Welche Rolle werden die Vereinigten Staaten international spielen? Er hat ja auch gesagt, diejenigen, die Schutz haben wollen, die sollen demnächst dafür bezahlen. Jetzt haben wir das einmal, die Frage, wie es dann im Nahen Osten weitergeht, ob er sich wirklich mehr engagiert, und Ihre Hoffnung, die Sie gerade ausgedrückt haben, ob das Realität wird. Aber es geht natürlich auch um die Frage: Was passiert eigentlich mit Ländern wie der Slowakei, mit anderen, in seinem Verhältnis zu Russland? Das haben wir bis jetzt noch gar nicht angesprochen. Was erwarten Sie denn da, dass er Sie weiter schützt oder dass er dann ein Preisschild da dranhängt?
    Sulik: Also, schauen Sie, wir sind ein Mitglied der NATO und unsere Verpflichtung ist es, zwei Prozent des BIPs, des Bruttoinlandsprodukts in die Rüstung zu stecken. Wir machen das nicht, andere Länder machen das auch nicht. Und wenn der Donald Trump jetzt das fordern wird, dass wir unsere Verpflichtungen einhalten, dann, ja, dann muss ich ihm einfach recht geben. Und außerdem glaube ich, es wird so funktionieren wie bis jetzt. Als ich diesen Krieg in Syrien angesprochen habe, das muss ja nicht unbedingt viel Geld kosten, sondern eher weniger, wenn der Krieg beendet wird. Und da ist eben … Da muss man halt verhandeln. Und ich denke, wenn USA und Russland zu einer Einigung kommen, dann wird der Krieg in Syrien beendet. Das ist zum Beispiel für mich viel wichtiger als jetzt darüber nachzudenken, was an der östlichen Grenze in der Slowakei passiert.
    Zurheide: Na ja, wenn Russland und die Amerikaner sich einigen, auf der einen Seite bezogen auf Syrien, könnte man ja sagen, das wäre hilfreich. Aber dann gibt es ja die anderen ganz spannenden Fragen, die Osteuropa betreffen, und wir haben das heute Morgen hier in der Sendung auch schon diskutiert: Da ist die Frage, wie weit geht der Schutz dann noch für Ihr Land, für Polen, für die baltischen Staaten, aber eben auch die Ukraine, wie behandeln wir die? Oder sagen wir, Ukraine als neutraler Staat, wie Kissinger das vorgeschlagen hat, so haben wir es heute Morgen diskutiert, und damit macht Trump ein Zugeständnis auf Putin und dann hat er seinen Hunger gestillt? Wie sehen Sie das?
    Sulik: Ja, vielleicht auch so. Auf jeden Fall ist die Ukraine nicht Mitglied der NATO, das ist schon mal sehr wichtig. Und auch da wird es wohl eher zu einer Lösung kommen, als wenn man da … anstatt dessen dass man da immer diese Konflikte irgendwie schürt und so. Ich denke, am Verhandlungstisch lässt sich viel mehr erreichen und ich denke, die Bereitschaft eines Donald Trump wird größer sein, am Verhandlungstisch was zu erreichen, deswegen, weil er einfach Geld sparen will.
    "Man kann nicht alle Prinzipien gleichzeitig durchsetzen"
    Zurheide: Dagegen steht natürlich ein Stück weit das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Ihr Volk hat irgendwann entschieden, wir wollen näher an den Westen ran. Und wenn die Ukrainer das auch wollen, ist natürlich die Frage: Können wir als Europäer dann quasi die als Faustpfand Herrn Putin anbieten? Darauf läuft es ja am Ende dann hinaus, oder sehe ich da was falsch?
    Sulik: Na ja, wissen Sie, also, wenn wir über die Selbstbestimmung reden wollen, dann fangen wir in Nordkorea an. Die Menschen dort wollen mit Sicherheit nicht so leben, wie sie heute leben, und da schauen wir weg. Also, wissen Sie, man kann nicht alle Prinzipien gleichzeitig durchsetzen, irgendwann muss man sich Prioritäten setzen. Und da denke ich, dass eine funktionierende NATO, die eben die Mitglieder betrifft, die sie heute hat, das ist auch schon was wert. Ich würde da anfangen.
    Zurheide: Aber Sie würden dann auch klar sagen, die Ukraine kann nicht erwarten, dass die NATO sie aufnimmt?
    Sulik: Ja, vielleicht nicht heute, vielleicht später, vielleicht gibt es eine andere Lösung für die Ukraine. Ja, das ist schon richtig.
    Zurheide: Wie sehen Sie denn die Zukunft Europas? Angesichts der aktuellen Herausforderungen sagen viele in Brüssel: Ja, wir müssen enger zusammenarbeiten, militärisch, aber eben vielleicht auch auf anderen Gebieten. Ist das die richtige Antwort auf diese Herausforderungen, oder sagen Sie: Nein, will ich eigentlich nicht?
    Sulik: Also, wenn Menschen sagen, vor allem die europäischen Eliten, wenn sie sagen, wir müssen enger zusammenarbeiten, dann meinen sie damit, dass sie noch mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagern wollen. Und das ist etwas, was erwiesenermaßen nicht funktioniert. Wir haben ja … Sie können ja nicht mit den Kompetenzen umgehen, die sie heute schon haben. Ich bin also strikt dagegen. Ich bin dafür, dass die Europäische Union reformiert wird in dem Sinne, dass Kompetenzen zurückgegeben werden an die Mitgliedsländer, und damit sollte man schleunigst anfangen. Herren wie Juncker und Schulz können definitiv die Europäische Union nicht steuern, das sieht man ja.
    Zurheide: Auf der anderen Seite, gerade die Verteidigungspolitik, über die wir geredet haben, die wird nur funktionieren, wenn man zusammenarbeitet. Und ich könnte mir vorstellen, wenn man mehr zusammenarbeitete, wird es auch im Zweifel preiswerter, dass wir vielleicht nicht die zwei Punkte Bruttoinlandsprodukt brauchen. Ist das nicht eine Perspektive für Sie?
    Sulik: Da haben Sie schon recht. Nur, wir haben ja …
    Zurheide: Also gibt es Bereiche, wo es gut wäre, wenn man zusammenarbeitet?
    "Ich will auf den Gebieten zusammenarbeiten, wo es Sinn macht"
    Sulik: Ich bin ja nicht strikt dagegen, dass man eben in der Verteidigung zusammenarbeitet. Und Europa fängt ja jetzt an, beim Schutz der Außengrenzen. Aber wenn Sie sich anschauen, wie das bis jetzt gelaufen ist, wir haben ja den Schengener Vertrag, Griechenland sollte sich da an irgendwelche Verpflichtungen halten, die haben das jahrelang nicht getan. Das ist ja nicht nur dieses Jahr oder das letzte Jahr, sondern sechs, sieben Jahre, wo die Europäische Kommission weiß, dass Griechenland die Verpflichtungen nicht einhält, und sie haben trotzdem nichts getan. Also, es wäre schon viel gewonnen, wenn zumindest die Außengrenze gemeinsam geschützt wird, und dann kann man eben darüber sprechen, was weiter.
    Zurheide: Aber Sie sagen, das ist im Prinzip Verteidigung, und auf anderen Gebieten wollen Sie dann eben eher weniger zusammenarbeiten?
    Sulik: Ja, ich will auf den Gebieten zusammenarbeiten, wo es eben Sinn macht. Und dazu sagt man, dass ich dieses Subsidiaritätsprinzip einhalten will. Also, das, was die Länder selbst lösen können, sollen sie selbst lösen. Die Europäische Union muss mit Sicherheit nicht alles Mögliche diktieren, in alles Mögliche ihre Nase reinstecken. Und gleichzeitig sollte sich die Europäische Union eben auf die Felder konzentrieren, wo es wirklich Sinn macht. Das ist zum Beispiel der Schutz der gemeinsamen Außengrenze, der Schengener Grenze.
    Zurheide: Also, wie wir es gerade gesagt haben, im Wesentlichen ist es dann Sicherheits- und Verteidigungspolitik und bei dem Rest Zurückhaltung bis gar nicht?
    Sulik: Ja. Nicht bei dem ganzen Rest, es gibt schon irgendwelche anderen Felder, wo die Union Sinn macht, zum Beispiel der gemeinsame Markt, ja? Das ist ja auch ein sehr wichtiges Gebiet. Und da soll durchaus die Europäische Union zum Beispiel Standards setzen. Nur, leider, seit Jahren, seit Jahrzehnten übertreiben es die Herren und wollen alles Mögliche diktieren und alles Mögliche regulieren, bis es sich nicht mehr bewegt.
    Zurheide: Ja. Wir laufen jetzt auf die Nachrichten zu, das war Richard Sulík, mit dem wir über die Zukunft der Europäischen Union gesprochen haben. Ich bedanke mich heute Morgen um 8:29 Uhr für dieses Gespräch, und gleich hören wir hier die Nachrichten. Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.