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Nach den G20-Krawallen
"Rote Flora" vor ungewisser Zukunft

Nach den schweren Ausschreitungen während des G20-Gipfels in Hamburg werden Forderungen laut, das linksautonome Zentrum "Rote Flora" zu schließen. Die Bewohner betonen zwar, dass sie die Gewalt abgelehnt hätten. Dennoch gibt es eine Debatte um Konsequenzen, auch unter Anwohnern des Schanzenviertels.

Von Axel Schröder | 12.07.2017
    Die Demo "Lieber tanz ich als G20" zog auch an der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel vorbei
    Die Demo "Lieber tanz ich als G20" zog auch an der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel vorbei (Imago)
    Die alte Opernhaus-Fassade ragt in den Hamburger Himmel über dem Schanzenviertel. Oben auf dem Dach wurden schon Wochen vor dem Gipfel große schlanke Buchstaben aus blauen Neonröhren installiert: ein leuchtendes "NO G20". Seit 28 Jahren ist die "Rote Flora" von linken Gruppen besetzt, Graffiti an den Wänden, daneben Anti-G20-Plakate, Demo-Aufrufe. Das Hauptportal ist zugemauert, eine Betonrampe führt zum Seiteneingang: eine Stahltür, vollgekritzelt mit Parolen.
    "Wir können hier gleich mal durch die Seitentür ins Gebäude reingehen."
    Andreas Blechschmidt ist Anfang 50 und fungiert als Sprecher der Rotfloristen. Blechschmidt übernimmt Presse-Interviews, die die meisten Flora-Nutzer kategorisch verweigern. Er trägt Jeans und Anorak, schiebt die schwere Tür auf, geht voran.
    Türen während der Ausschreitungen geschlossen
    "Wir stehen jetzt hier in der großen Veranstaltungshalle, die die historische Eingangshalle gewesen ist. Das ist ein Raum, der ist ungefähr 300 Quadratmeter groß. Hier passen bis zu 600 Leute bei Konzertveranstaltungen rein. Ein recht hoher Raum: zehn Meter hohe Decke mit großen Metallstützsäulen, einer Holzdecke, und einem Holzfußboden auch."
    Es gibt Übungsräume für Bands, eine sogenannte "Küche für alle", einen Fahrrad- und Motorwerkstatt und im ersten Stock das "Archiv der sozialen Bewegungen". Während des G20-Gipfels wurde die "Rote Flora" immer dann geschlossen, wenn Ausschreitungen auf der Straße vor dem Gebäude wahrscheinlich waren, um nicht Teil der Auseinandersetzungen zu werden. Nur für Verletzte wurde die Tür geöffnet, um sie mit einem Dienst von freiwilligen Sanitätern zu versorgen.
    "Ich weiß letztlich auch nicht, wer auf der Straße war"
    Vor dem G20-Gipfel hatten die Hamburger Linksautonomen stolz erzählt, dass Aktivisten aus ganz Deutschland und Europa anreisen würden. Nachdem sich die Polizei am Freitagabend letzter Woche vollständig aus dem Viertel zurückgezogen hatte, und Randalierer Geschäfte plünderten, Scheiben einschlugen und Feuer entfachten, veröffentlichten die Aktivisten der "Roten Flora" per Internet ein kurzes Statement, riefen dazu auf, den Exzess zu beenden. Ohne Erfolg. Am Morgen danach erklärte ein blasser Andreas Blechschmidt:
    Ein Aktivist mit Bengalos steht am 05.07.2017 in Hamburg auf dem Dach der Roten Flora neben einem G20-Schriftzug, während eine Demonstration gegen den bevorstehenden G20-Gipfel an dem Kulturzentrum vorbeizieht. Am 06. und 07. Juli kommen in der Hansestadt die Regierungschefs der führenden Industrienationen zum G20-Gipfel zusammen. 
    Ein Aktivist mit Bengalos steht am 05.07.2017 in Hamburg auf dem Dach der Roten Flora neben einem G20-Schriftzug (dpa / picture alliance / Christian Charisius)
    "Wir haben immer gesagt, dass die physische Integrität von Menschen eine rote Linie ist. Wir haben den Eindruck, dass die Menschen, die da gestern in der Schanze agiert haben dafür den Blick verloren haben. Das fanden wir falsch."
    Aber viele Menschen, vor allem die Anwohnerinnen und Anwohner, fragen sich, warum die Hamburger Linksautonomen nicht viel stärker auf die Randalierer eingewirkt haben:
    "Gestern haben im Hamburger Schanzenviertel keine Strukturen agiert, mit denen wir politisch verbunden sind. Ich weiß letztlich auch nicht, wer auf der Straße war. Ich kann nur sagen, dass das ein Agieren war, das nicht aus unserem Kreis heraus organisiert worden ist. Wir waren nicht Teil davon. Und insofern müssen wir uns auch nicht mit der Frage der Verantwortung an diesen Punkt auseinandersetzen."
    "Seit einem Jahr wussten die das!"
    Am gleichen Tag verteilten die Aktivisten Entschuldigungsschreiben in der Nachbarschaft. Auf den Straßen standen die Menschen zusammen und diskutierten. Tauschten sich aus über die Ängste, die sie ausgestanden haben, über die Wut auf die Randalierer und die Polizei, die stundenlang dem Treiben zuschaute. Einige loben die Rotfloristen für das Entschuldigungsschreiben, andere schüttelt darüber den Kopf.
    "Das waren auch nicht die Linken, die das gestern angefangen haben, das war für mich ein Hooligan-Mob, die das übernommen haben, die geplündert haben."
    "Muss ich mal ehrlich sagen, obwohl ich ja auch Sympathien habe für die Ziele. Aber das ist heuchlerisch. Ich will jetzt hier nicht klugscheißerisch reden, aber das ist meine Einschätzung. Das ist unehrlich. Jetzt so zu tun: 'Das wollen wir auch nicht!' Das haben sie gewusst. Die kamen aus Teilen von Ländern, mit einer harten Szene, das wussten die alles, seit einem Jahr wussten die das!"
    "Wir müssen über Konsequenzen nachdenken"
    Zwei Tage später, Pressekonferenz im Hamburger Polizeipräsidium. Bürgermeister Olaf Scholz sieht man den Schlafmangel an, neben ihm sitzen Innensenator Andy Grote, Polizeipräsident Ralf-Martin Meyer und Hartmut Dudde, der Gesamteinsatzleiter des G20-Gipfels. Und natürlich wird auch die Frage nach einer Schließung der Roten Flora gestellt:
    "Das ist jetzt keine Entscheidung, weil wir dazu gar keine Handhabe hätten, das muss man ausdrücklich sagen. Die ist ja nun schon seit Langem da. Aber ehrlicherweise macht sich keiner von uns irgendwas vor: In den Räumen der Roten Flora haben sich, soweit wir das beurteilen können, Leute besprochen. Und deshalb müssen wir darüber nachdenken, was das für Konsequenzen hat. Allerdings ist das, was wir dann tun, kein Schnellschuss."
    Der Schriftzug «No G20» leuchtet am 05.07.2017 in Hamburg auf dem Dach des autonomen Kulturzentrums Rote Flora im Schanzenviertel.
    Der Schriftzug «No G20» leuchtet am 05.07.2017 in Hamburg auf dem Dach des autonomen Kulturzentrums Rote Flora im Schanzenviertel. (dpa picture alliance/ Christian Charisius)
    Vor drei Jahren hatte die Stadt das Gebäude dem Vorbesitzer abgekauft und auf diese Weise dessen Abriss- und Neubaupläne gestoppt, gegen die die linke Szene scharf protestierte. Die Eigentumsrechte wurden der mit Stadtentwicklungsprojekten befassten Lawaetz-Stiftung übertragen. Das Ziel des Rückkaufs erklärte damals Hamburgs Finanzsenator Peter Tschentscher so:
    Aktivisten hätten mehr tun können
    "Wir tun dies, weil wir für eine friedliche, gewaltfreie Entwicklung der Stadt nicht wollen, dass ein privater Eigentümer mit seinen Verwertungsinteressen unsere Stadt allein durch Ankündigungen und Pläne – die aus unserer Sicht auch nicht durchsetzbar sind – in Aufruhr versetzt."
    Nach den Gewaltexzessen beim G20-Gipfel vor dem für Randalierer verschlossenen Haus gehen die Debatten unter den Anwohnern weiter. Jutta Franck betreibt zusammen mit ihrer Schwester einen Teeladen hundert Meter von der Roten Flora entfernt. An vier Stellen prallten Freitagnacht Steine gegen das Schaufenster, ganz zu Bruch ging es nicht. Die ältere Dame regt sich auf über die Rote Flora-Aktivisten. Die hätten doch über Lautsprecher Durchsagen machen können und ihren Appell zur Mäßigung nicht nur per Internet verbreiten sollen.
    "Nur, wenn man jetzt sagt: 'Die Rote Flora muss weg', dann werden wir natürlich einen richtigen Bürgerkrieg erleben. Und dann werden einige vor lauter Angst sagen: 'Die Rote Flora muss bleiben!' Aber das ist auch eine Kapitulation."
    Draußen auf dem Schulterblatt regnet es in Strömen. Unter den Markisen vor den Cafés wird Kaffee getrunken, gefrühstückt. Heute Abend kommt das Plenum der Roten Flora zusammen. Dann wird diskutiert, wie man sich positionieren will, welche Lehren aus dem Desaster vom Wochenende gezogen werden müssen.