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Nach den Rechten sehen

Im Umfeld von 48 Fußballklubs werden jugendliche Fans hierzulande von Sozialarbeitern betreut. Die staatlich geförderten Fanprojekte sind vereinsunabhängig. Sie leisten Prävention gegen Gewalt oder Drogenmissbrauch. Doch manchmal stoßen die Projekte an Grenzen, zum Beispiel im Umgang mit Rechtsextremen.

Von Ronny Blaschke | 18.09.2010
    In keiner deutschen Stadt ist Fußball politisch so aufgeladen wie in Leipzig. Über Jahre haben Rechtsextreme die Fanszene des 1. FC Lokomotive unterwandert. Eine der treibenden Kräfte war der NPD-Mitarbeiter Enrico Böhm. Er hatte beim 1. FC Lok 2005 als ehrenamtlicher Helfer begonnen. Der Verein war nach einer Pleite neu gegründet worden, er benötigte jede Hilfe.

    "Ich glaube, ich habe, wenn ich das so sehe, elf Strafsachen, zu denen ich verurteilt worden bin. Hatte Hausdurchsuchungen, wo dann die Polizei halt 5.30 Uhr auf der Matte steht, einen dann leider ohne Kaffee weckt und dann sagt, alles klar, wie räumen jetzt einfach mal deine Schrankwand auseinander. Und demzufolge wuchs das Bundeszentralregister dann relativ schnell."

    Enrico Böhm und seine Mitstreiter der rechten Fangruppe Blue Caps standen im Stadion unter Beobachtung. Sie suchten sich Schlupflöcher. Zum Beispiel im Leipziger Fanprojekt im Stadtteil Stötteritz. In einer ehemaligen Firmenkantine mit vergitterten Fenstern. Am 19. November 2007 rief Böhm im Internetforum des 1. FC Lok zu einem Arbeitseinsatz und einer Spendenaktion auf. Dreißig Fans halfen bei der Sanierung, darunter die Blue Caps. Böhm arbeitete zu diesem Zeitpunkt regelmäßig als Wahlkämpfer für die NPD oder als Ordner auf Demonstrationen von Neonazis.

    Am 1. Februar 2008 organisierte Böhm im Fanprojekt ein Treffen von 20 Rechtsextremen. Darunter Funktionäre des Leipziger Kreisverbandes der NPD:

    "Die NPD hatte dazumal einen Raum gesucht gehabt, wo man sich treffen konnte, um über diverse zukünftige Aktionen zu reden und da hatte sich das Fanprojekt angeboten. Es wurde nachgefragt, ob es möglich ist, eventuell den Raum der Blue Caps zu nutzen für dieses Treffen. Und da stand nichts im Weg, so lange halt die Öffentlichkeit davon keinen Wind bekommt."

    Noch immer prahlt Böhm auf der Internetseite der Blue Caps ausführlich mit dieser Aktion. Ebenso wie mit dem Verkauf von rechter Literatur im Fanprojekt. Die Stadt Leipzig zahlte für das präventive Projekt im betreffenden Jahr 2008 rund 83000 Euro. Den Rest übernahm der DFB: fast 42000 Euro. Seither wird in Leipzig über das Fanprojekt gestritten. In den Verbänden, in der Politik, im Jugendamt. Der aktuelle Leiter wollte sich dazu nicht äußern.

    In Jena fand vor anderthalb Wochen die Bundeskonferenz der Fanprojekte statt, mit 110 Teilnehmern. Drei Tage diskutierten die Sozialpädagogen über Chancen und Hürden ihrer Arbeit. Michael Gabriel ist Leiter der Koordinationsstelle der Fanprojekte mit Sitz in Frankfurt:

    "Ist ganz klar, dass in der Jugendarbeit insgesamt mit Menschen mit einem verfestigten rechtsextremistischen, neonazistischen Ideologie nicht mehr pädagogisch gearbeitet wird. Das ist eine politische Frage, die auch politisch zu lösen ist, und die nicht pädagogisch gelöst werden kann. Deswegen müssen auch die Leute in den Fanprojekten die Kompetenz haben zu entscheiden, wo ist es sinnvoll dran zu bleiben und wo ist es sinnvoll Ressourcen zu investieren."

    48 Fanprojekte existieren in Deutschland, einige betreiben Akzeptierende Sozialarbeit. Also Integration statt Ausgrenzung – auch von Jugendlichen mit einem diffusen rechten Weltbild. Die Pädagogen müssen Nähe suchen und zugleich Distanz wahren. Thomas Schneider war Ende der achtziger Jahre Aufbauhelfer der Fanprojekte, in Hamburg hatte er vor 20 Jahren selbst mit Neonazis zusammengearbeitet. Inzwischen ist er Fan-Beauftragter der Deutschen Fußball-Liga:

    "Ich habe eine Skinhead-Theaterproduktion mit Skinheads betreut und bin mit drei, vier Köpfen der HSV-Skinheadszene hin und wir haben Nächte lang die Schauspieler vorbereitet und die Produktion so authentisch wie möglich gemacht. Wir waren anschließend auch bei den Aufführungen und Zuschauerdiskussionen mit dabei. Was phänomenal war, weil man andere Erfahrungen macht. Mir ging es immer darum, dass meine Gruppen, mit denen ich gearbeitet, andere Erfahrungen machen, als die, die mit ihren Vorurteilen in ihren Köpfen herumschwirren. Das hat sich dadurch am ehesten aufgebrochen. Erfahrungen anstiften. Weil Belehrungen kommen gegen Erfahrungen nicht an."

    Schneider wurde zwischenzeitlich bedroht. Er dachte daran, zu kündigen, doch er blieb seinem Job treu. Der Rechtsextremismus hat sich gewandelt, auch im Schatten des Fußballs. Er tritt nicht mehr offen auf den Tribünen zu Tage. Er ist subtiler geworden, nutzt Codierungen und Kleidermarken. Schneider hat in den vergangenen Jahren viele Fortbildungen für junge Pädagogen geleitet, auch in den neuen Bundesländern. Ein Patentrezept hat er nicht:

    "Und dafür ist keiner an der Hochschule ausgebildet worden. Keiner hat von denen eine Nahkampfausbildung. Das sind teilweise extrem gewaltbereite Milieus. Also man darf da nicht naiv sein. Man muss immer genau überprüfen, ab wann muss sich Sozialarbeit zurückhalten oder ganz zurückziehen, weil es nicht mehr nur ums persönliche Überleben gehen kann. Sozialarbeit sollte sich da niemals in eine Allgemeinfantasie hineinflüchten. Das kann sie schlichtweg nicht."

    In Leipzig wurden die Grenzen überschritten. Ab dem 1. Juli 2011 wird ein neuer Träger das Projekt verantworten. Vielleicht mit anderen Pädagogen. Doch auch sie werden es nicht leichter haben mit der Frage: Wer sind die Verführten der rechten Szene? Und wer ist der Verführer?