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Nach der Bundestagswahl
Neues Kapitel in den deutsch-türkischen Beziehungen

Türkische Politiker haben den Ausgang der Bundestagswahl genau verfolgt. Der erfolgreiche Einzug der islamfeindlichen AfD ins Parlament macht ihnen Sorgen. Dennoch hoffen einige auf die Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen.

Von Karin Senz | 26.09.2017
    Deutsche und türkische Flaggen
    Deutsche und türkische Flaggen (dpa-Bildfunk / Marijan Murat)
    Der Aufmacher in den türkischen Fernsehnachrichten war nicht die Bundestagswahl – sondern das Unabhängigkeitsreferendum der Kurden im Nordirak. Erst dann schaute man nach Deutschland:
    "Heute ist im Nordirak eine kritische Abstimmung, sagt die Sprecherin auf CNN Türk. Gestern waren die Deutschen an der Wahlurne."
    Sie zeigen Ausschnitte vom Interview mit Ministerpräsident Binali Yildirim. Er hatte sich am Vormittag als erste aus der Regierung geäußert – vor allem zu den herben Verlusten der Union:
    "Sich ständig mit der Türkei zu befassen, auf ihr herum zu hacken, hat bei den Wahlen keine Punkte gebracht - im Gegenteil. Das hat Frau Merkel jetzt wohl erkannt. Und wer hat daraus profitiert? Die Rassisten!"
    Der AfD-Erfolg ist Thema
    Dass die AfD in den Bundestag einzieht – das beschäftigt nicht nur die Politik und die Medien in der Türkei, sondern auch die Menschen auf der Straße, wie diesen Mann in Istanbul:
    "In ganz Europa wächst der Rassismus. In Deutschland gab's schon immer Rassismus, aber die Fehler der deutschen Politiker haben ihn vorangetrieben."
    Der türkische Abgeordnete Mustafa Yeneroğlu von der Regierungspartei AKP fürchtet gar um die Sicherheit seiner Landsleute in Deutschland. Neonazis könnten die Jagdrhetorik des AFD-Spitzenkandidaten Alexander Gauland in die Tat umsetzen.
    Auch Europaminister Ömer Çelik macht sich Sorgen wegen des Rechtsrucks durch die AfD. Er twitterte allerdings in moderatem Ton: "Die Welle des Rassismus, die Furcht vor Flüchtlingen und die Islamfeindlichkeit sind eine Gefahr für die Zukunft von ganz Europa" schreibt er.
    Und was sagt Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Er hat sich immer wieder in den Bundestagswahlkampf eingemischt. Zum Beispiel hatte er den Deutsch-Türken geraten hatte, nicht die CDU, die SPD und die Grünen zu wählen. Erdogan ließ sich Zeit mit seiner Reaktion auf das Wahlergebnis – und war dann äußerst wortkarg. Auf einer Veranstaltung in Istanbul fand er ein paar Nebensätze. Er beschwerte sich noch mal über Deutschlands Rolle bei den Verhandlungen zum EU-Beitritt der Türkei:
    Geringes Interesse für die Bundestagswahl
    Die Bundestagswahlen würden als mahnendes Beispiel dienen. Da könne jeder sehen, was passiert, wenn man andere hinhält. Die Türkei habe kein Problem mit der deutschen Bevölkerung, nur mit der deutschen Regierung.
    Nicht nur in Deutschland, auch in der Türkei wollen viele das ganze Hin und Her aus dem Wahlkampf nicht mehr hören. Andere haben sich nie dafür interessiert:
    "Nö, ich hab' so viel zu tun... Ich guck' deshalb auch kaum Fernsehen. Ich interessiere mich auch nicht dafür."
    "Nein, ich hab's nicht mitverfolgt, überhaupt nicht. Aber nur, weil es so viel zu tun gibt, ansonsten bin ich schon interessiert."
    Immerhin war Merkel nach dem Wahltag auf fast allen Titelseiten türkischer Zeitungen – wenn auch meistens nur mit einem kleinen Foto am Rand. Darum haben doch viele mitgekriegt, dass sie Kanzlerin bleibt.
    "Merkel hat doch wieder gewonnen, oder? Mit 60 Prozent... Ich hab' was im Radio gehört. Ich hab' mich gefreut, mein Mann auch... Weil sie ja gegen Erdogan ist. Wir sehen den auch kritisch."
    "Merkel hat gewonnen, zum vierten Mal. Aber für uns ist keine Variante gut. Weil wir uns ja mit niemandem vertragen. Wir mischen uns ja auch überall ein."
    Hoffnung auf bessere Beziehungen
    Auch Hakan Çelik vom regierungsnahen Sender CNN Türk hat Merkels Wiederwahl aufgegriffen:
    "Dass Merkel wieder Kanzlerin geworden ist, ist im Grunde das geringste Übel, sie ist die Beste unter den Schlechten. Sie kennt die Türkei, die Türkei hingegen weiß, wie sie tickt. Eine rapide Verbesserung der Beziehungen zu erwarten, wäre allerdings sehr optimistisch. Wünschen tu' ich es mir schon. Aber es sieht schwierig aus. Den im Bundestag haben wir neben den Linksparteien, die mit der PKK sympathisiert, jetzt auch die extrem Rechten."
    Auf den Straßen Istanbuls ist das deutsch-türkische Verhältnis kein Thema. Man zeigt sich gastfreundlich wie immer. Aber das politische Verhältnis macht dem einen oder andern durchaus Sorgen. Ministerpräsident Yildirim hat das Thema aufgegriffen. Die neue Bundesregierung müsse härter gegen PKK- und Gülen-Anhänger vorgehen. Yildirim sprach aber auch von einem neuen Kapitel, das aufgeschlagen wird, jetzt wo die Bundestagswahl vorbei ist.