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Nach der Europawahl
Brüsseler Signale für Berlin

Während die Grünen ihren Erfolg bei der Europawahl feiern, versuchen die Berliner Koalitionsparteien ihre Verluste zu erklären. Der Druck auf die angeschlagene SPD und ihre Parteivorsitzende Andrea Nahles wächst, auch durch das Wahlergebnis in Bremen.

Von Christiane Habermalz | 27.05.2019
SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles im Willy-Brandt-Haus in Berlin am Abend der Europawahl
SPD-Parteivorsitzende Nahles nach der Europawahl: "Wir werden handeln" (Simone Kuhlmey / Pacific Press / picture alliance)
Riesenjubel in der Parteizentrale der Grünen in Berlin. Die Grünen sind die großen Gewinner bei diesen Europawahlen, und Parteichefin Annalena Baerbock wertete den Erfolg ihrer Partei als großen Gewinn für Europa.
"Diese Wahl war eine Klimaschutzwahl! Diese Wahl war eine Wahl für Demokratie! Für Menschenrechte! Für ein weltoffenes Europa!"
Mit über 20 Prozent haben sich die grünen Wahlerstimmen in Deutschland für Europa fast verdoppelt - die Partei hat die Sozialdemokraten als zweitstärkste Partei abgelöst. Lange Gesichter dagegen bei der großen Verliererin des Abends, der SPD, die das schlechteste Ergebnis bei einer Europawahl überhaupt einfuhr. Parteichefin Andrea Nahles wollte dennoch nicht über persönliche Konsequenzen sprechen, obwohl erste Rücktrittsforderungen aus ihrer Partei nicht auf sich warten ließen.
"Die Ergebnisse die wir bisher kennen, sind für die SPD extrem enttäuschend. Jeder weiß, dass die Umfragen für die SPD in den letzten Wochen schon nicht gut waren. Die Aufgabe bestand also darin, dass wir versuchen, uns aus diesem Umfragetief herauszuarbeiten. Leider ist es uns trotz aller Anstrengungen nicht gelungen, das Ruder herumzureißen."
Nahles: "Wir werden handeln"
Denn auch in Bremen mussten die Sozialdemokraten nach 70 Jahren als stärkste Partei ihre Führung an die Union abtreten. Nahles gibt sich dennoch kampfbereit. Das falscheste wäre es, jetzt mit dem Prozess der Erneuerung der Partei aufzuhören, rief sie ihren Genossen im Willy-Brandt-Haus zu:
"Ich sage in Richtung Grüne: Glückwusch! Und ich sage: Kopf hoch! In Richtung SPD. Denn wir nehmen diese Herausforderung an. Klimaschutz ist für viele Wählerinnen und Wähler ein wahlentscheidendes Thema gewesen. Zwischen uns und den Grünen steht nicht die Frage im Raum, ob wir die Pariser Klimaziele ohne wenn und aber erreichen wollen, sondern wie, und diese Frage werden wir auch offensiv diskutieren in den nächsten Wochen. Und wir werden handeln!"
CDU sucht nach Antworten
Doch auch die Union musste herbe Verluste einstecken und gleichzeitig um den Fortbestand der Koalition in Berlin bangen, sollte die SPD nach diesem Schlag doch noch das Handtuch werfen. Auch wir haben im Wahlkampf Fehler gemacht, räumte die CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ein. Mit einem Ergebnis von unter 30 Prozent werde die Partei ihrem eigenen Anspruch als Volkspartei nicht gerecht, erklärte Kramp-Karrenbauer selbstkritisch. Die Union habe es nicht geschafft, mit ihren Themen Sicherheit und Wohlstand für Europa zu punkten.
Dossier: Europawahlen
Alle Beiträge zur Europawahl in unserem Dossier (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
"In diesem Wahlkampf ging es vor allen Dingen auch um das Thema Klima und Klimaschutz. Es ging auch um die Frage wie Regeln aus der analogen Welt in der digitalen Welt wirken, und genau das sind zwei Themen gewesen, wo wir bisher als CDU noch nicht die Antworten gegeben haben, die die Menschen am Ende des Tages auch überzeugt haben."
AfD als EU-Skeptiker in Brüssel
Zufrieden äußerte sich dagegen AfD-Chef Jörg Meuthen. Die EU-skeptische Partei verbessert ihr Europawahl-Ergebnis deutlich, bleibt aber unter ihrem Ergebnis von der Bundestagswahl 2017. Und Meuthen weiß, wofür die AfD dies nutzen will: Um Europa in die Schranken zu weisen.
"Wir wissen, sie haben uns nicht gewählt haben, damit wir Mitglieder in diesem Club da werden. Wir gehen nach Brüssel, um die EU zu reparieren, um sie auf ihre Kernaufgaben zu reduzieren, dafür sind wir gewählt, und das gehen wir in Brüssel an."
Personaldebatte in der SPD
Wie es weitergeht mit der SPD und ihrer angeschlagenen Vorsitzenden, werden die nächsten Tage zeigen. Zuletzt waren diverse Namen von Parteifreunden aufgetaucht, die sie beerben könnten - von Ex-Kanzlerkandidat Martin Schulz bis zu Arbeitsminister Hubertus Heil. Finanzminister Olaf Scholz stärkte Andrea Nahles jedenfalls erst einmal den Rücken.
"Der Ruf nach personellen Konsequenzen führt nicht weiter. Dass er in den letzten Tagen ein wenig ertönt ist, hat sicher nicht geholfen. In der Vergangenheit haben wir damit keine guten Erfahrungen gemacht. Und deshalb habe ich auch in allen Gesprächen, die ich heute mit ganz vielen in der SPD führen konnte, gehört, dass alle das falsch finden."