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Nach der Finanzkrise
Kaum einer will noch Banker werden

Der Beginn der Finanzkrise und die Pleite der "Lehman Brothers" liegen Jahre zurück. Im westbayerischen Donau-Ries merkt man die Auswirkungen noch immer - trotz Vollbeschäftigung. Denn: Keiner will mehr Banker werden.

Von Johannes Nichelmann | 20.06.2014
    "Also wir haben die geringste Arbeitslosigkeit so ziemlich in ganz Deutschland. Es finden eigentlich auch grundsätzlich sämtliche Schüler, die bei uns die Schule mit Abschluss verlassen, einen Ausbildungsplatz. Die meisten können auch auswählen. Insofern ist das eine Traumregion!"
    ... schwärmt Jürgen Kanhäuser in der ersten großen Pause in der Realschule Rain am Lech in Nordschwaben, Bayern.
    Der Studienrat bereitet sich gerade auf seine nächste Stunde in der neunten Klasse vor. Darin soll es um das Berufsbild des Bankkaufmanns gehen. Seit vielen Jahrzehnten unterrichtet Kanhäuser unter anderem die Fächer "Betriebswirtschaftslehre" und "Wirtschaft und Recht". Viele hundert Schülerinnen und Schüler hat er schon bis zur Ausbildung begleitet und beraten. Die meisten, sagt er, sind in Donau-Ries geblieben. Große Unternehmen, wie der Hubschrauber-Hersteller "Airbus", sorgen dafür, dass die Region für junge Menschen attraktiv ist.
    Eine reiche Zuzugsregion mit gerade einmal 1,8 Prozent Arbeitslosigkeit. Für viele Schülerinnen und Schüler, erzählt Jürgen Kanhäuser, stand bis vor ein paar Jahren vor allen Dingen ein Beruf auf dem ersten Platz. Vielen Schülerinnen und Schülern hat er im Laufe der Jahrzehnte geraten sich bei den lokalen Banken zu bewerben.
    "Es war früher eigentlich immer so, dass der Beruf des Bankauszubildenden der Traumberuf für die jungen Leute schlechthin war. Unsere 16-Jährigen, die also mit dem mittleren Bildungsabschluss die Schule verlassen, suchen eine sichere Zukunft, eine sichere Ausbildung und da war die Bankausbildung grundsätzlich mit großem Abstand an erster Stelle gestanden."
    Banken: "Nicht nur zum Draufsitzen da"
    Eine solide Basis für das Leben also: gut bezahlt und hoch angesehen. Der Begriff des "Bank-Beamten" macht lange Zeit die Runde. Wer es schafft reinzukommen, darf bleiben. Ein Leben lang. Sicherheit ist oberstes Gebot.
    In Rain am Lech bilden die Raiffeisenbank, eine Genossenschaftsbank, und die öffentlich-rechtliche Sparkasse aus. Früher bekamen sie um die 40 bis 50 Bewerbungen auf eine Stelle - heute sind es zehn bis fünfzehn. Jürgen Kanhäuser will mit seiner 9. Klasse darüber reden, dass sich seit Beginn der Finanzkrise immer weniger junge Menschen für eine Ausbildungsstelle bei den örtlichen Banken interessieren. Schließlich stehen die Schülerinnen und Schüler gerade mitten in der Bewerbungsphase. Was halten sie vom Beruf der Bankkauffrau beziehungsweise des Bankkaufmanns? Aufmerksam sitzen sie da - nur vereinzelt leuchtet ein Smartphone unter den Schulbänken auf.
    "Wir haben heute herausgefunden, dass Banken nicht nur zum draufsitzen da sind, sondern: Banken haben auch noch andere Funktionen zu erfüllen. Und Banken waren ja in den letzten Jahren sowieso ziemlich stark im Gerede. Stichwort: Finanzkrise. Stichwort... ja, gut... Gier des Menschen schlechthin. Hat Euch das irgendwie beeinflusst, bei der Berufswahl?"
    Die Schüler reagieren:
    "Ja, es wurde immer so hingestellt, dass Bankkaufmann auch ein richtig schöner Beruf ist. Abwechslungsreicher Beruf vor allem. Und man hat auch 'mal einen sicheren Job. Die Banken können nimmer untergehen, sag ich jetzt mal. Aber natürlich, wenn ich jetzt Bekannte und Verwandte von mir hör', die sagen: Was willst' mit Banker? Ihr wollts eh immer nur was verkaufen und so. Also, da denkt man jetzt schon so: Sollt man jetzt Bänker werden oder net?"
    "Also ich hab jetzt ein Praktikum gemacht in den Faschingsferien und da hab ich irgendwie gesehen, dass es net so mein Ding ist. Die wissen halt sehr viel über die Menschen bescheid. Was die fürn Geld haben und, ja..."
    In der 9. Klasse stehen IT-Berufe hoch im Kurs. Außerdem wollen viele in die Automobilbranche. Die meisten der Schüler an der nordschwäbischen Realschule wollen aber das Fachabitur machen und dann studieren. In Kanhäusers Klasse hat sich bislang ein Junge bei der Bank beworben. Und der hat prompt eine Einladung zum Vorstellungsgespräch erhalten:
    "Ja, weil ich unbedingt Banker werden wollt und mir der Beruf eigentlich auch Spaß g'macht hat. Hat' da ein Praktikum auch und hat mir eigentlich recht gut gefallen. Man hat viel mit Geld zu tun und man hat halt viel mit Kunden zu tun. Macht einfach Spaß, wenn man sieht, wie man den Leuten helfen kann."
    Jürgen Kanhäuser: "Haben die Euch schon jemals etwas erzählt, dass auch bei einer Bank ein Leistungsdruck vorhanden ist, dass es da auch Vorgaben gibt, die man einhalten muss, dass man auch da neue Kunden gewinnen muss, dass man Produkte im Bereich der Dienstleistungen verkaufen muss? Habt Ihr davon schon mal was gehört?"
    Keine großen, bösen Häuser im Ort
    Ein Schüler antwortet: "Ja, also mein Bekannter, mein Firmpate, der hat das auch zu mir gesagt: Er würd' sich das gut überlegen. Weil: Er muss nur noch verkaufen in der Bank. Er hat eigentlich nur noch den Druck. Er würde es mir net empfehlen."
    Er zuckt mit den Schultern und fügt noch an, dass er etwas ratlos ist. Denn eigentlich hat er Lust auf Betriebswirtschaft und auf das Bankwesen. Doch die Skepsis, die auch jetzt hier durchklingt, verunsichert ihn. Einziger Trost: die Banken vor Ort zählen nicht zu den großen und bösen Häusern. Und die kleinen Banken, sagt sein Klassenkamerad, der seine Lehrstelle fast sicher hat, hätten keine Schuld an der Krise. Deshalb findet er auch, dass der ehemalige "Superstar" unter den Ausbildungen seinen neuen, schlechten Ruf zu Unrecht verdient:
    "Ja, ein paar schwarze Schafe gibt's immer! Also von dem her: Es gibt ein paar Leute, die machen halt ihren Job nicht wirklich gut. Aber es gibt auch viele Leute, die ihn sehr gut machen. Und so einer will ich halt auch werden. Eigentlich."