Dienstag, 16. April 2024

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Nach der Tagung zur sexualisierten Gewalt im Sport
"Ein Funke von Aufbruchstimmung"

Die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat sich an Betroffene aus dem Sport gewandt und sie gebeten, ihre Geschichten zu erzählen. Drei betroffene Frauen waren jetzt bei einer Tagung in Berlin und haben öffentlich gesprochen. Teilnehmer sehen erste Schritte bei der Aufarbeitung.

Von Andrea Schültke | 14.10.2020
Kind mit einem Handball in seinen Händen (beim Max Camp (Handballcamp des Bergischen HC, am 18.07.18 in Solingen)
Auch im Sport erleben und erlebten viele Kinder sexualisierte Gewalt (imago images / Deutzmann)
Das Hearing wirkt nach, besonders dieser Satz:
"Ich stelle diese Geschichte zur Verfügung und sag‘, macht was damit."
So die Aufforderung der ehemaligen Fußballerin Nadine, die in ihrem Sport schwere sexuelle Gewalt erfahren hat.
Sie will, dass Verantwortliche aus Sport, Politik und Gesellschaft durch ihre Geschichte Erkenntnisse gewinnen und mit der Aufarbeitung beginnen.
In die Pflicht genommen
"Ich glaube dieses ‚etwas damit machen müssen‘, dieses in die Pflicht nehmen, hat dann dazu geführt, dass so etwas wie eine Aufbruchstimmung im Raum stand, wenn auch nur ein Funken."
Kinder turnen in einer Turnhalle (Symbolbild)
Aufarbeitung von sexueller Gewalt im Sport - Der Sport muss sich seiner Verantwortung stellen
Rund 100 Betroffene aus dem Sport haben sich bei der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs gemeldet. Was es jetzt braucht, sind Menschen im gesamten organisierten Sport, die nicht schweigen und wegsehen, sondern aufstehen und hinsehen, kommentiert Maximilian Rieger.
Für die Interessenvertretung "Athleten Deutschland" sei das Hearing ein Auftakt, um sich im Themenbereich sexualisierte Gewalt viel stärker zu engagieren, so Maximilian Klein. Eine unabhängige Athletenvertretung könne die richtige Organisation dafür sein:
"Dass sich betroffene Kaderathletinnen und -athleten in einer geschützten Atmosphäre austauschen können, besser vernetzen. Dass wir ihnen zuhören, von ihnen lernen und dann auch ihrer Stimme Gehör verschaffen."
Vernetzung nötig
Vernetzung war ebenfalls ein großes Thema. Betroffene im Sport sind bisher Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer, einen Zusammenschluss – wie etwa bei Betroffenen im Umfeld der katholischen Kirche - gibt es noch nicht. Angela Marquart, Mitglied im Betroffenenrat beim Missbrauchsbeauftragten sieht die mutigen Auftritte der ehemaligen Sportlerinnen als Verpflichtung
"Dass Politik, Sport und Gesellschaft ihren Beitrag zu einer echten Aufarbeitung leisten. Wer sich entschließt, darüber zu reden, darf nicht alleine bleiben. Wir als Betroffenenrat beim unabhängigen Beauftragten und ich persönlich werden die so notwendige Vernetzung von Betroffenen gern unterstützen."
Verschwommenes Bild der Beine von Teilnehmern in einer Sporthalle.
Sexueller Kindesmissbrauch im Sport - "Es sind keine Einzelfälle"
Matthias Katsch kämpft seit Jahren für die Anerkennung und Entschädigung von Opfern sexuellen Kindesmissbrauchs in der Kirche. Im Dlf-Sportgespräch erklärt er, in welchen Belangen Sportorganisationen den Kirchen noch hinterherhinken und was passieren muss, um aufzuklären.
Neben der Vernetzung haben die Betroffenen auch immer wieder das Fehlen einer unabhängigen Anlaufstelle angesprochen, an die sie sich hätten wenden können.
Keine Anlaufstelle
Solche Strukturen gebe es bereits in den USA, Kanada oder Großbritannien, sagt Maximilian Klein von Athleten Deutschland:
"Und ich glaube, Deutschland sollte nicht auf den großen Skandal warten, wie er zum Beispiel im US-Turnen stattgefunden hat. Deutschland könnte hier wirklich ein starkes und proaktives Signal senden für gewaltfreien Sport."
In welcher Form das sein könnte – darüber müssen sich die Verantwortlichen jetzt konkrete Gedanken machen. Ein Funke von Aufbruch ist jedenfalls da.
Nadines Aufforderung hat gewirkt:
"Ich stelle diese Geschichte zur Verfügung und sag‘ macht was damit."