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Nach Deutschland in den Tod geschickt

Sie ist eine Ikone der politischen Linken: Olga Benario Prestes. In ihrer Wahlheimat Brasilien kämpfte die gebürtige Deutsche in den 30er Jahren mit ihrem Mann Carlos gegen die Diktatur des Hitlerverehrers Vargas. Vor 70 Jahren ordnete dieser ihre Auslieferung an Nazi-Deutschland an, wo sie nach sechs Jahren Haft in den Gaskammern ums Leben kam.

Von Stefan Fuchs | 21.09.2006
    Buchstäblich in letzter Minute gibt es noch einmal einen Hoffnungsschimmer. Als Filinto Müller, Polizeichef von Rio de Janeiro, am 21. September 1936 die Einschiffung der Olga Benario Prestes auf der deutschen "La Coruňa" anordnet, pocht der Kapitän auf das internationale Seerecht. Danach ist der Transport einer hochschwangeren Frau nicht zulässig. Aber die begleitenden Gestapobeamten belehren ihn schnell eines Besseren. Und so tritt die junge Kommunistin Olga Benario ihre letzte Reise an, in ein Land das schon lange aufgehört hat, ihre Heimat zu sein, und in dem sie jetzt der Tod erwartet.

    Elf Jahre zuvor hatte sich Olga in München der Jugendorganisation der Kommunisten angeschlossen. Die Prozessakten auf dem Schreibtisch ihres Vaters, eines sozialdemokratischen Rechtsanwalts jüdischer Herkunft, hatten ihr das Elend der Arbeiter vor Augen geführt. Olga bricht mit dem Elternhaus und geht nach Berlin.

    "Eine Gefangenenbefreiung nach Wildwestmanier erregte heute im Untersuchungsgefängnis von Moabit großes Aufsehen. Der Überfall, bei dem der wegen Hochverrat angeklagte Redakteur Otto Braun mit Waffengewalt befreit wurde, wurde von der Kommunistin Olga Benario angeführt."

    Im April 1928 berichten alle Zeitungen von dem Überfall, mit dem Olga ihren Geliebten, den Genossen Otto Braun aus, dem Gefängnis von Moabit befreite. Das Paar flieht nach Moskau. Militärischer Drill, Fallschirmspringen, Pilotentraining, ideologische Indoktrinationen sollen Olga zur beinharten Klassenkämpferin machen. Unter den Revolutionären aus der ganzen Welt, die Stalin in Moskau versammelt hat, ist auch der Brasilianer Luis Carlos Prestes.

    "Den großen Marsch hat er geführt, der Carlos Prestes in Brasilien. Durch das Land ist er gezogen ohne Rast und Ruh, auf der Flucht vor schrecklichen Verfolgern."

    Prestes gehört zu jenen linken Hauptleuten, die gegen die Oligarchen in Brasilien rebellierten. Als ihr Putsch scheitert, führt Prestes seine Männer auf einem alptraumartigen Marsch über 25.000 Kilometer ins bolivianische Exil. Seither ist er eine lebende Legende, der "Ritter der Hoffnung", populärer Anführer des Widerstands gegen den brasilianischen Diktator Vargas.

    Für die Kommintern sind die charismatische Kommunistin und der legendäre Offizier das ideale Paar, um im Hinterhof der USA Revolution zu machen. Auf der langen Reise von Moskau nach Brasilien entdecken die beiden ihre leidenschaftliche Liebe füreinander. Als Olga zum ersten Mal die Heimat ihres Geliebten erblickt, ist sie verzaubert.

    Aber die Diktatur des Hitlerverehrers Vargas lastet wie ein Alptraum auf diesem tropischen Paradies. In Rio feiert die Auslandsorganisation der NSDAP Hitlergeburtstage, die Gestapo bringt der brasilianischen Polizei das Foltern bei.

    "Volk Brasiliens! Die Große Revolution des Volkes zur Befreiung Brasiliens hat begonnen. Sie steht unter der Führung der Nationalen Allianz zur Befreiung Brasiliens, geleitet von ihrem ruhmreichen Kommandanten Luis Carlos Prestes. Entschlossen und rückhaltlos unterstützt die Kommunistische Partei Brasiliens diese heldenhafte revolutionäre Erhebung! "

    Die konspirativ vorbereitete große Revolution scheitert kläglich. In fünf Tagen ist alles vorüber. Die Mobilisierung der Volksmassen ist den Berufsrevolutionären gründlich misslungen. Olga und Prestes werden verhaftet und verhört. Zunächst besteht Olga darauf, Brasilianerin zu sein. Bald aber kennt die brasilianische Polizei ihre wahre Identität.

    Damit ist Olga Prestes Schicksal besiegelt. Nach Nazi-Deutschland ausgeliefert, bringt sie im Gefängnis eine Tochter zur Welt. Sobald das Kind nicht mehr gestillt werden muss, wird es von der Mutter getrennt und in ein Waisenhaus gebracht. Nur durch internationalen Druck kann die Familie ihres Mannes schließlich die Adoption des Kindes erreichen. Nach sechs Jahren Haft stirbt Olga 1942 in den Gaskammern der psychiatrischen Klinik von Bernburg. Am Vorabend ihres Todes schreibt sie einen letzten Brief.

    "Meine Lieben. Ich darf nicht an die Dinge denken, die mir das Herz so sehr zermartern. Ich kann mir nicht vorstellen, liebe Tochter, dass ich dich nie mehr sehen, dich nie mehr in meine sehnsüchtigen Arme schließen werde. Wie gern hätte ich dir Zöpfe geflochten, wäre barfuß mit dir gelaufen. Mein geliebter Mann, ich habe den Schal über den Kopf gezogen, damit niemand mein Weinen hören kann, denn heute reicht meine Kraft nicht mehr aus für all diesen Schrecken."