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Nach Ende der DITIB-Kooperation
Staatlicher Islamunterricht in Hessen

Die hessische Landesregierung bereitet sich auf das Ende der Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Moscheeverband DITIB vor. Denn auch danach soll es islamischen Religionsunterricht geben – aber staatlich organisiert und säkular. Das ist nicht nur für die Lehrkräfte, sondern auch für die Eltern ein Novum.

Von Ludger Fittkau | 20.11.2019
Lehrerin Nurdagül Ceri spricht mit den Schülern einer siebten Klasse in der Frankfurter Ernst-Reuter-Schule beim Islamunterricht in einem Klassenraum. Hinter ihr an der Tafel steht eine Mindmap zum Thema Freundschaft.
Die Lehrerin Nurdagül Ceri spricht mit ihren Schülerinnen und Schülern im Islamunterricht über das Thema Freundschaft (dpa / picture alliance / Frank Rumpenhorst)
"Es gab einmal einen Jungen. Er wurde auf seiner Schule gemobbt, weil er nicht so schön aussieht. Es war sehr traurig. Seine Eltern konnten sich nicht eine Schönheits-OP leisten. Er hatte keine Freunde. Und wenn er welche hatte, dann wurde er immer benutzt."
So beginnt eine Geschichte über "Freundschaft und Liebe" die vielleicht demnächst in einen RAP-Song mündet. Geschrieben hat sie ein Schüler der siebten Jahrgangstufe der Ernst-Reuter-Schule II – einer Gesamtschule in Frankfurt am Main. Seit Beginn des Schuljahres findet in Hessen ein Projekt mit zunächst 144 Schülern in siebten Klassen statt. Es geht um einen Islamunterricht in rein staatlicher Regie – für den Fall, dass die bisherige Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Moscheeverband DITIB demnächst eingestellt werden sollte:
"Ein Moschusduft hat jemand eine Idee, was Moschusduft? Habt ihr keine Idee, was das ist? Moschusduft. Also, es ist erst mal einen Duft."
Der Religionslehrer Ridwan Bauknecht steht am 27.8.2012 in Bonn an der Robert-Koch-Schule im Islamunterricht vor der Klasse.
Islamischer Religionsunterricht / Erdoğans Arm soll draußen bleiben
Der islamische Religionsunterricht in deutschen Schulen steht vor einem Dilemma: Einerseits sollen Islamverbände ihn mitgestalten, andererseits werden manche von ihnen – wie die türkische Ditib – aus dem Ausland finanziert.
Die Lehrerin Nurdagül Ceri fragt die Schülerinnen und Schüler nach Inhalten eines Satzes des Propheten Mohammed. Es geht im Islamunterricht um das Thema Freundschaft. Der Kern dessen, was der Prophet lehren will: Umgang mit guten Freunden ist wie Vergnügen für die Sinne, während falsche Freunde an den übelriechenden Schmelzofen eines Schmiedes erinnern können:
"Okay, was ist denn ein Schmied? Kennt ihr einen Schmied?"
Fatma meldet sich und sagt, dass ein Schmied Schwerter herstellen kann.
"Und könnt ihr euch vorstellen oder vielleicht kennt es auch jemand: Wie riecht denn etwas, was so verbranntes Eisen ist?"
Auf einem Sofa an der Seite des Klassenraumes sitzt Nurgül Altuntas. Die Regierungsdirektorin arbeitet im hessischen Kultusministerium als Referentin für schulfachliche Kirchen- und Religionsangelegenheiten sowie Ethik.
Zusätzlich kümmert sich die ehemalige Lehrerin für die Wiesbadener Landesregierung um interkulturelles uns interreligiöses Lernen. Während der Islamunterricht weiterläuft, erklärt Nurgül Altuntas leise, dass man auch nach einem möglichen Ende der Kooperation mit DITIB Hessen viele der bisher rund 80 aktiven Lehrkräfte aus dem bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht für den neuen staatlichen Islamunterricht übernehmen will:
"Wenn der bekenntnisorientierte, islamische Religionsunterricht mit DITIB Hessen nicht mehr vorhanden sein sollte, dann werden wir versuchen, diese Religionslehrerinnen und Lehrer für das neue Fach zu qualifizieren und fortzubilden."
Die meisten Inhalte bleiben unverändert
Im neuen, rein staatlich organisierten Islamunterricht wird auf bestimmte Bekenntnis-Rituale – etwa Begrüßungs- oder Gebetsformeln – verzichtet. Ansonsten bleiben die meisten Inhalte unverändert.
Nurdagül Ceri hat in der Frankfurter Gesamtschule neben Mathematik und Biologie bisher auch bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht gegeben. Nach der Stunde im Lehrerzimmer erklärt sie, dass viele muslimische Eltern im Stadtteil erst einmal verunsichert waren. Denn der rein staatliche Unterricht ohne Einbeziehung eines Moscheeverbandes ist ungewohnt:
"Religion ist was sehr Privates auch. Und da möchte man nicht, dass das Kind irgendwie von nicht wissenden Menschen unterrichtet wird. Deswegen gab es auch bei uns sehr große Fragezeichen. Aber die haben mich aufgrund meiner Person, weil ich schon seit sechs Jahren an dieser Schule bin, die kennen mich also schon von vorher, bevor ich den islamischen Religionsunterricht angeboten habe. So entstand ein gewisse Vertrauensbasis, so dass sie ihre Kinder weiterhin angemeldet haben.
Nurgül Altuntas aus dem hessischen Kultusministerium hatte zuvor im Klassenzimmer schon betont, wie vorteilhaft es ist, dass die Lehrkräfte für den neuen nicht-bekenntnisorientierten Islamunterricht in den entsprechenden Stadtteilen schon bekannt sind:
".Und diese Lehrkräfte, die wir jetzt speziell für das neue Fach ausgebildet haben und fortgebildet haben, unterrichten das neue Fach. Die Eltern wissen, dass bestimmte rituelle Unterrichtseinheiten nicht vorhanden sind. Aber was den Eltern ganz wichtig ist, das eine religiöse Bildung vorhanden ist."
Es wird noch ein paar Unterrichtsstunden dauern, bis die ersten RAP-Songs über Liebe und Freundschaft ganz fertig sind. Doch im Islamunterricht in der Jahrgangsstufe sieben der Gesamtschule in Frankfurt am Main wird kräftig weiter an den Inhalten gebastelt:
"Wer Mitfühlen und zuhören kann, ist offen für die Ehrlichkeit."
"Denn die Freunde werden immer bleiben, ob in guten oder schlechten Zeiten".