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Nach Ende des "Stabilitätsmechanismus"
Wie geht es nun weiter in Thüringen?

Nach einer Regierungskrise im Februar in Thüringen wurde Bodo Ramelow (Die Linke) unter Duldung der CDU als Ministerpräsident wiedergewählt. Möglich macht das der sogenannte Stabilitätsmechanismus. Ein politisches Instrument auf Zeit, das am 21. Dezember endet. Nun muss geklärt werden, wie es weitergeht.

Von Henry Bernhard | 21.12.2020
Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident von Thüringen, spricht über die Ergebnisse einer Videokonferenz mit seinen Länderkollegen und der Bundeskanzlerin
Mögliche Neuwahlen könnten in Thüringen im Frühjahr 2021 stattfinden (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt)
"Hatten Sie alle Ihre Platzkarten bereit? Wir würden jetzt gern ihre Platzkarten kontrollieren!"
Bodo Ramelow war aufgekratzt, als er am späten Abend des 21. Februars vor Dutzende Journalisten trat, die seit zwei Wochen Tage und halbe Nächte im Thüringer Landtag verbracht hatten.
"Ich darf ihnen verraten, dass wir einen Stabilitätsmechanismus zwischen den vier Parteien vereinbart haben."
Thüringen stand damals nach dem Rücktritt von Thomas Kemmerich ohne Regierung da – und das zu Beginn der Corona-Pandemie. Eine Mehrheitskoalition nach den gewohnten politischen Konstellationen war angesichts der Stärke von Linken und AfD nicht möglich. Die beiden Parteien verfügen im Thüringer Landtag über mehr als die Hälfte der Sitze. Der CDU war und ist es aber nach einem Parteitagsbeschluss verboten, mit AfD oder Linken zu kooperieren. Gegen erhebliche Widerstände der Bundes-CDU verhandelten die Thüringer Christdemokraten dennoch mit Linken, SPD und Grünen über die zeitweise Tolerierung einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow.
"Dieser Verantwortung kommt die CDU in Thüringen nach, weil wir wissen: Es ist eine Ausnahmesituation; aber wir müssen diese Krise gemeinsam lösen."
Sagte der Christdemokrat Mario Voigt damals. Sie vereinbarten eine begrenzte Zusammenarbeit. Ziel: Einen Haushalt für 2021 erarbeiten, Neuwahlen für April 2021 vorbereiten und einige andere klar umrissene Projekte auf den Weg bringen. Wichtige Bedingung: Keiner durfte Mehrheiten mit der AfD gegen die jeweils andere Seite suchen.
Mike Mohring, CDU-Fraktionschef, gratuliert Thomas Kemmerich (FDP), dem neuen Thüringer Ministerpräsidenten, mit einem Blumenstrauß.
Politologe zu Thüringen - "Eine Krise des politischen Personals"
Der Politologe Herfried Münkler rügt die Skrupellosigkeit und handwerkliche Unfähigkeit der Politiker in Thüringen. Das liege auch daran, dass es heute nicht mehr attraktiv sei, als Politiker zu arbeiten, sagte Münkler im Dlf.
Die knappe Vereinbarung wurde als "Stabilitätsmechanismus" präsentiert, um Begriffe wie "Duldung" oder "Tolerierung" zu vermeiden, die für die CDU nicht vermittelbar gewesen wären.
Mit der Verabschiedung des Haushalts am Montag endet die Laufzeit des Abkommens. Mario Voigt, inzwischen Fraktionsvorsitzender der CDU, zeigt sich zufrieden über die Zusammenarbeit mit Rot-Rot-Grün.
"Das ist einerseits ein Instrument des Ermöglichens gewesen, Ermöglichen von Ideen, die wir haben und die wir auch nach vorne bringen können im Sinne des Landes. Es ist andererseits aber auch ein Instrument des Unterbindens gewesen, nämlich von Dingen, die wir nicht für richtig halten. Trotzdem ist es am Ende nicht unser Haushalt, das ist klar. Aber er zeigt an den Punkten, die wir setzen konnten, dass wir, wenn wir alleine regieren würden oder quasi in Verantwortung wären, andere Schwerpunkte setzen würden."

Kein Zukunftsmodell für Parlamente

Steffen Dittes, stellvertretender Landessvorsitzender der Thüringer Linken, freut sich, dass gemeinsame Politik jenseits der AfD funktioniert hat, sieht aber auch kein Zukunftsmodell in der Konstruktion.
"Ich glaube, der Stabilitätsmechanismus halt doch deshalb bis jetzt funktioniert, weil er zeitlich befristet war. Ein Stabilitätsmechanismus beinhaltete, ja erstmal nur, dass man keine Mehrheit mit der AfD sucht, sondern immer nur gemeinsam mit Mehrheiten versucht zu entwickeln. Und das führt eher dazu, dass es eher Negativ-Abgrenzung ist, aber keine positive Beschreibung von gemeinsamen Projekten. Dass ist kein Dauerzustand, wie man ein Land politisch führen kann, erst recht nicht in dieser Zeit."
Matthias Hey, Fraktionsvorsitzender der SPD, sieht es ähnlich.
"Also, um ehrlich zu sein, war es streckenweise ein einziges Gewürge, weil es sehr, sehr schwierig ist, vier Fraktionen mit vollkommen unterschiedlichen politischen Zielsetzungen unter einen Hut zu bringen. Das hat Verletzungen auf allen Seiten gegeben. Und ich glaube mal, als Zukunftsmodell ist das für Parlamente wirklich ungeeignet."

Auch nach neuer Wahl könnten einfache Mehrheiten fehlen

Astrid Rothe-Beinlich, Fraktionsvorsitzende der Grünen, ist optimistischer.
"In anderen Ländern ist das ja durchaus üblich, dass mit Minderheitsregierungen gearbeitet wird. Ich glaube, wir müssen uns in der Tat darauf einstellen, dass einfache Mehrheiten nicht mehr immer automatisch gegeben sind, auch bei kommenden Wahlen. Und insofern war es in jeder in jedem Fall eine gute Probe, wie man mit so etwas umgehen kann."
Diese Gedanken scheinen nicht unrealistisch. Sollten Rot-Rot-Grün und CDU auch Punkt 5 des "Stabilitätsmechanismus" umsetzen und Neuwahlen zum 25. April des nächsten Jahres herbeiführen, so ist eine schwierige Regierungsbildung ohne klare Mehrheiten recht wahrscheinlich.