Freitag, 29. März 2024

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Nach Paketfund in Potsdam
"Lasst euch nicht verunsichern, besucht die Weihnachtsmärkte"

Die Wahrscheinlichkeit von Anschlägen sei äußerst gering, so der Sicherheitsexperte Norbert Gebbeken im Dlf. Doch müssten die Kommunen überlegen, wie mögliche Brennpunkte in Städten nicht nur temporär, sondern langfristig geschützt werden könnten.

Norbert Gebbeken im Gespräch mit Martin Zagatta | 02.12.2017
    Ein Polizeifahrzeug fährt am 01.12.2017 auf einer Straße an einen Weihnachtsmarkt in der Innenstadt von Potsdam (Brandenburg). An dem Markt haben Bombenentschärfer am Freitag ein verdächtiges Paket unschädlich gemacht.
    Der Weihnachtsmarkt in Potsdam und zahlreiche Geschäfte wurden geräumt, nachdem ein Paket mit einem Spreng- oder Brandsatz gefunden wurde (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Die Wirkung von Anschlägen lasse sich eindämmen, erklärte Norbert Gebbert, "in dem man Fahrzeuge, die große Mengen an Sprengstoff transportieren können, von solchen Plätzen fernhält." Kleinere Fahrzeuge dürften gar nicht mehr an öffentliche Veranstaltungsplätze gelangen und auch in der Anfahrt nicht mehr beschleunigen können. Mögliche Sprengsätze, die Menschen am Körper trügen, seien dagegen nur mit Personenkontrollen zu erfassen. Dies erachte er in der Umsetzung als schwierig.
    Anschläge rütteln die gesamte Gesellschaft auf
    Einerseits sei die Eintretenswahrscheinlichkeit von Anschlägen sehr gering. Andererseits sei das Ausmaß des Schadens, den selbst kleinere Anschläge stifteten, sehr groß: Selbst ein Vorfall wie in der Nähe des Potsdamer Weihnachtsmarktes rüttele die gesamte Gesellschaft auf. "Wir müssen auch darüber diskutieren, wie viel Unsicherheit eine Gesellschaft erträgt", so Norbert Gebbert.
    "Zivile Elemente in die Städte bringen"
    Norbert Gebbeken plädierte für Überlegungen, wie Brennpunkte in Städten, an denen sich generell viele Menschen aufhalten, langfristig zu schützen seien. Mit einer intelligenten Stadtplanung lasse sich Sicherheit in die Städte bringen. Das könnten unterschiedliche Elemente sein, nicht nur Poller. Die Konzepte dazu müssten Kommunen mit Architekten und Ingenieuren entwickeln.
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    Martin Zagatta: Erleichterung also in Potsdam, die vermeintliche Paketbombe am Weihnachtsmarkt hat zwar für einen großen Alarm gesorgt, aber hat sich dann doch als Attrappe herausgestellt. Das hat uns heute schon ganz früh Andreas Schuster bestätigt, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Brandenburg.
    Andreas Schuster: Wir haben auch die weitere Umgebung abgesucht, es ist kein Sprengstoff gefunden worden. Durch den scharfen Wasserstrahl ist das Paket natürlich in hunderte Teile zerlegt worden, die müssen jetzt wieder zusammengefügt werden in der Kriminaltechnik und dann muss natürlich jedes Teil geprüft werden, ob es vielleicht doch irgendwo kleine oder kleinste Partikel von Sprengstoff auch gegeben hat. Und dieses auszuschließen, was weitestgehend ausgeschlossen ist, bedarf es sehr umfangreicher Ermittlungen, und die finden derzeit statt.
    Zagatta: Diese Attrappe hat natürlich gestern so erschreckt, weil das Erinnerungen wachgerufen hat. "Weihnachtsmarkt" ist ja da ein Stichwort, was einen richtig aufschrecken lässt. Wie groß war denn da gestern – wie haben Sie das erlebt – die Verunsicherung?
    Schuster: Also Verunsicherung in dem Sinne nicht, aber es ist ein aus polizeilicher Sicht unwahrscheinlich großer Apparat angelaufen, weil wir uns auf das Schlimmste vorbereitet haben. Sie haben recht, ein Jahr zurück der Anschlag in Berlin, das hat alle roten Lampen angehen lassen bei uns. Wir haben mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln sofort die Polizeiarbeit begonnen, um Schlimmeres zu verhindern, um aufzuklären in den Bereichen. Aber wir haben auch gemerkt, im Umfeld der Bevölkerung gibt es sofort Verunsicherung, weil keiner weiß: Ist da noch mehr? Und man sieht natürlich, wenn wir mit Sprengstoffhunden weiter absuchen, in der Bevölkerung entstand eine große Verunsicherung, die wir aber versuchen, durch vielfältige Informationen und einen sehr offenen Umfang mit allen Informationen weitestgehend zurückzudrängen.
    Zagatta: Andreas Schuster, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Brandenburg, heute Morgen schon ganz früh hier im Deutschlandfunk. Und wegen dieser Verunsicherung, die er angesprochen hat, werden ja die Weihnachtsmärkte bundesweit in diesem Jahr ganz besonders geschützt, und dabei hören die Verantwortlichen auch auf Professor Norbert Gebbeken. Er hat an der Universität der Bundeswehr in München das Forschungsinstitut Risk gegründet, an dem sich Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Bereichen mit der Sicherheit kritischer Infrastrukturen beschäftigen, das heißt auch mit der Sicherheit vor allem von öffentlichen Plätzen wie den Weihnachtsmärkten. Und als wir uns gestern mit ihm verabredet haben, konnten wir noch nicht wissen, welche Aktualität das Thema jetzt gewinnen würde durch diese Vorgänge von Potsdam. Guten Morgen, Herr Gebbeken!
    Norbert Gebbeken: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Gebbeken, die vermeintliche Bombe war jetzt eine täuschend echte Attrappe, aber was ist Ihnen denn da als Erstes durch den Kopf gegangen, als Sie das gehört haben, Bombenalarm auf oder an dem Weihnachtsmarkt von Potsdam?
    Gebbeken: Ich habe mich in dem Moment auch an den Anschlag auf den BVB-Bus erinnert, das heißt also, dass man nur kleine Sprengstoffmengen benötigt, um Splitter oder Bomben oder Nägel dann zu beschleunigen, und die fliegen sehr viel weiter, als der eigentliche Explosionsdruck ist. Und das ist das Gefährliche an den sogenannten schmutzigen Bomben, wenn die mit Nägeln und Ähnlichem versehen sind.
    Zagatta: Ist das für Ihre Arbeit auch so ein bisschen frustrierend? Das zeigt doch so ein Vorfall auch wie jetzt in Potsdam, das zeigt doch Grenzen auf einer Arbeit, also dass jemand irgendwo eine Bombe abgelegt hat oder eine solche Bombe verschickt wird. Das ist ja so gut wie nicht zu verhindern.
    Gebbeken: Ja, das ist richtig. Dieser Paradigmenwechsel, der sich dadurch eingestellt hat, dass es Selbstmordattentäter gibt, dass diese Gefahr zu uns gekommen ist, macht uns auch real, dass wir darüber diskutieren müssen: Wie viel Unsicherheit erträgt eine Gesellschaft?
    "Scannen - an öffentlichen Plätzen schwierig"
    Zagatta: Da werde ich Sie gleich noch nach fragen, aber wenn wir ganz kurz da bei Ihren Erfahrungen bleiben: Terroristen, da gehen wir ja davon aus, haben es vor allem auf große Menschenansammlungen abgesehen, nach den Erfahrungen von Berlin interessiert uns hierzulande ja insbesondere, was man dagegen unternehmen kann, wenn dann ein Lastwagen in eine Menschenmenge rast. Aber Sie forschen ja auch, genau was so Bombenanschläge angeht. Gibt es da überhaupt Mittel, sich irgendwie … oder öffentliche Plätze, Menschenansammlungen da irgendwie zu schützen oder zumindest die Wirkung einzudämmen?
    Gebbeken: Ja, die Wirkung einzudämmen geht vor allen Dingen dadurch, dass man verhindert, dass Fahrzeuge, die bestimmte Sprengstoffmengen transportieren können, von diesen Plätzen wegbleiben. Also die Diskussion, dass man eben Lieferfahrzeuge in der Zeit, in der die Menschen vor allen Dingen auf diesen Straßen und Plätzen sind, dort gar nicht mehr reinkommen. Das ist aber jetzt auch schon weitgehend geregelt, in München zum Beispiel sind die Lieferzeiten bis zehn Uhr und ab dann sind ja die Menschenmengen da. Und dann muss man zusehen, dass eben kleinere Fahrzeuge nicht mehr auf solche Plätze kommen können, dass die auch in der Anfahrt nicht mehr beschleunigen können. Und das, was Menschen am Körper tragen können, das lässt sich ja nur verhindern durch Kontrollen und scannen. Und das ist eben bei öffentlichen Plätzen schwierig, obwohl wir natürlich beim Oktoberfest solche Kontrollen durchgeführt haben und sie jetzt auch partiell beim Weihnachtsmarkt in München durchgeführt werden sollen.
    Zagatta: Solche Kontrollen sind in anderen Ländern, die auch ganz andere Ausmaße von Anschlägen schon erlebt haben, teilweise schob üblich, wenn man in die U-Bahn steigt oder so. Hinkt da Deutschland noch ein bisschen hinterher, wollen wir das auch überhaupt? Es gibt ja das Risiko, Sie haben es ja angesprochen gerade, Opfer eines Terroranschlags zu werden, ist ja doch, doch zum Glück sehr, sehr gering. Wollen wir dann diesen riesigen Sicherheitsaufwand überhaupt?
    Gebbeken: Ja, da hatten wir gerade eine wunderbare Diskussion in der "Süddeutschen Zeitung", wo es ein Interview mit mir, ein Pro und Contra gab. Und ich konnte aus meiner Sicht sowohl dem Pro- als auch dem Contra-Beitrag zustimmen. Sie haben völlig recht, die Eintretenswahrscheinlichkeit dieser Gefahr ist äußerst gering, insofern muss man auch der Bevölkerung sagen, lasst euch nicht verunsichern, besucht die Weihnachtsmärkte, wir haben zum Glück mit der Polizei und den Sicherheitsbehörden in Deutschland ganz, ganz, ganz erfolgreiche Ermittler, die auch im Vorfeld so etwas verhindern. Also in Deutschland sind wir diesbezüglich sehr, sehr gut aufgestellt. Die andere Frage ist die des Risikos. Und beim Risiko kommt eben dazu: Was ist mit dem Schadensausmaß? Und da sehen Sie jetzt einfach schon durch auch die mediale Wirkung, dass selbst so ein kleiner Anschlag einfach die gesamte Gesellschaft - 80 Millionen Menschen in Deutschland - aufrüttelt. Und das ist eben die Unterscheidung zwischen der Eintretenswahrscheinlichkeit und dem Risiko, das heißt also, wie wirkt das auf die Bevölkerung?
    "Unsere Städte sind komplett verpollert"
    Zagatta: Und sind da die Kommunen … Wir erleben das ja, wir haben ja vor allem die Diskussion gehabt, Sie sagen, das hilft jetzt auch oder ist das wesentliche Mittel auch gegen Sprengstoffanschläge, also diese Diskussion nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidmarkt, wie man da das Hineinfahren von Lastwagen verhindern kann. Ihrer Erfahrung nach, Sie erleben das ja täglich, sind da die Kommunen, die Städte bereit, weil eben dieses Risiko besteht und weil es medial auch so vorhanden ist und auch diskutiert wird, sehr, sehr viel zu investieren?
    Gebbeken: Also im Moment ist es so, dass für diese temporären Veranstaltungen eine Menge gemacht wird. Man ist sensibilisiert, aber wir müssen uns natürlich auch überlegen, wie wir bestimmte Brennpunkte, die wir in allen Städten haben, wo immer sehr viele Menschen sind, möglicherweise auch langfristig schützen. Und da haben wir diese sogenannte Pollerdiskussion, wobei ich sagen muss: Wenn wir mal durch die Städte gehen, egal wo, unsere gesamten Städte sind komplett verpollert! Das mag keiner wahrnehmen, aber es ist so. Und wenn wir jetzt in der Lage sind, mit einer intelligenten Städteplanung eine Stadtmöblierung und auch eine gelderische Behandlung der Städte so durchzuführen, dass wir die Sicherheit mit diesen Komponenten verbinden, dann bringen wir Sicherheitselemente in die Stadt, die aber gar nicht Poller sind, sondern im Gegenteil die Städte und den städtischen Raum aufwerten können und auch ökologisch aufwerten können. Und das ist derzeit unser Petitum, dass wir auch gemeinsam mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erarbeiten, dass wir solche zivilen Elemente zum Schutz der Bevölkerung in die Städte bringen.
    Zagatta: Also statt Poller, die da zu sehen sind, statt hässlicher Poller Blumenkübel oder so was?
    Gebbeken: Zum Beispiel. Das sind solche Elemente, das können auch Skulpturen sein, die man da anbringt, ich hatte jetzt diese Woche gerade einen Artikel in der "Bayerischen Staatszeitung" diesbezüglich, wo auch Beispiele gebracht wurden, sodass man einfach diese Diskussion und dieses Show-Force, wie wir das nennen, also diese dicken Blumenkübel, wo alle Menschen dann sagen, o je, was ist das, und auch Menschen … Es gibt Menschen, die nehmen die als Gefahr wahr, es gibt Menschen, die nehmen die als Sicherheit wahr. Also diesen Diskurs zwischen den Polen, wie mein Kollege Ortwin Renn das nennt, haben wir in der Gesellschaft, müssen wir in der Gesellschaft auch führen, und da müssen wir auch entsprechende Antworten finden.
    Absicherung: "effektiver Schutz", kein "gefühlter Schutz"
    Zagatta: Wird das in der Praxis schon gemacht, berücksichtigen die Städte da Ihre Ratschläge, wird das in der Praxis schon umgesetzt oder ist das noch Zukunftsmusik?
    Gebbeken: Nein, nein. Also jetzt die ersten Städte sind auch nach der Oktoberfestdiskussion bereits dabei, Konzepte anzudenken, das geht jetzt erst sehr langsam los, weil man ja einen Masterplan haben muss. Man muss sich überlegen, wo sind diese Plätze, das muss man gemeinsam mit den Sicherheitsorganisationen machen, und sich dann gemeinsam mit Architekten und Ingenieuren und Sicherheitsexperten überlegen, wie kann man hier einen effektiven Schutz darstellen, dass es nicht nur ein gefühlter Schutz ist, wie ich das jetzt teilweise bei der Absicherung der Weihnachtsmärkte sehe. Da werden teilweise Barrieren hingestellt, die kann ich einfach mit einem leichten Fahrzeug schon wegschieben. Und da muss man natürlich in der Verantwortung sein und sagen, also wenn wir jetzt schon dort diese Barrieren hinstellen zur Absicherung der Weihnachtsmärkte, dann sollten sie aber auch zumindest wirklich Fahrzeuge abhalten und nicht einfach nur so Scheinbarrieren sein.
    Zagatta: Professor Norbert Gebbeken, Sicherheitsexperte von der Universität der Bundeswehr in München. Herr Gebbeken, gehen Sie eigentlich noch auf den Weihnachtsmarkt in München?
    Gebbeken: Ja, ja, sicher.
    Zagatta: Sie haben keine Angst?
    Gebbeken: Ja.
    Zagatta: Danke schön! Danke schön für diese Einschätzung, danke schön für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.