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Nach Tod von Staatsanwalt
Ganz Argentinien ist aufgewühlt

Staatsanwalt Alberto Nisman wollte beweisen, dass Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner versuchte, die Hintergründe zum größten terroristischen Anschlag in der Geschichte zu verschleiern. Nun ist er tot. Die meisten Argentinier sind sich sicher: Die Regierung ist in den Todesfall verwickelt.

Von Julio Segador | 24.01.2015
    Demonstranten in Buenos Aires fordern die Aufklärung des Todes von Staatsanwalt Alberto Nisman.
    Demonstranten in Buenos Aires fordern die Aufklärung des Todes von Staatsanwalt Alberto Nisman. (AFP / Alejandro Pagni)
    Sie schlagen wieder auf ihre Töpfe und Pfannen, der typische Cazerolazo. 13 Jahre nachdem die Argentinier während der Finanzkrise auf diese Weise einen Präsidenten stürzten, protestieren sie erneut gegen ihr Staatsoberhaupt.
    "Cristina Asesina" - "Cristina, du Mörderin" - schreien die Menschen auf den Straßen. Sie meinen Staatspräsidenten Cristina Kirchner, die sie als Drahtzieherin vermuten, im Zusammenhang mit dem Tod des Sonderstaatsanwaltes Alberto Nisman:
    "Der Mord an Nisman wird die Menschen im Land mobilisieren, damit die Korruption und die Misswirtschaft, die Argentinien lähmen, endlich ein Ende haben."
    "Ich bin unendlich traurig zu sehen wie mein Land Schiffbruch erleidet mit einer Demokratie, die man so eigentlich nicht mehr nennen kann."
    Der Tod von Alberto Nisman wühlt ganz Argentinien auf. Es ist ein wahrer Krimi, der 40 Millionen Menschen im Land fesselt. Nisman ermittelte die Hintergründe zum größten terroristischen Anschlag in der Geschichte Argentiniens. 85 Menschen starben 1994, als bei einem Attentat Terroristen das jüdische Zentrum AMIA in die Luft sprengten, hunderte wurden verletzt. Sehr wahrscheinlich stecken der Iran und die Hisbollah dahinter. Nun ist auch Alberto Nisman tot. Seine Mutter fand ihn Sonntagnacht mit einem Kopfschuss in seiner Wohnung in einem Luxusviertel von Buenos Aires. Just an dem Tag, an dem der Staatsanwalt vor einer Parlamentskommission Beweise darlegen wollte, dass Präsidentin Cristina Kirchner angeblich versucht hatte, die AMIA- Ermittlungen zu verschleiern und zu behindern. Patricia Bullrich, die Vorsitzende der Parlamentskommission von der oppositionellen PRO-Partei glaubt an einen Zusammenhang zwischen den Erkenntnissen des Staatsanwaltes und seinem Tod.
    "Aber ja, mir leuchtet kein anderer Zusammenhang ein. Er war bei sich zu Hause, hatte am Mittwoch davor die Vorwürfe gegen die Präsidentin publik gemacht, am Montag stand der Termin im Kongress an und am Sonntag - kurz vorher also - ist er tot. Es kann keinen anderen Zusammenhang geben."
    Verwunderung über Kirchners Verhalten
    Gibt es 32 Jahre nach dem Ende der blutigen Diktatur wieder Staatsterrorismus in Argentinien? 82 Prozent der Menschen im Land glauben, dass die Regierung in den Todesfall verwickelt ist. Die Präsidentin hat sich persönlich - vor laufender Kamera - noch nicht zu Nismans Tod geäußert, allerdings hat sie auf ihrer Facebook-Seite mehrere lange Briefe veröffentlicht, die ihre Position darlegen. Anfangs ging sie von einem Selbstmord aus, diese Haltung hat sie inzwischen revidiert. Auch Cristina Kirchner glaubt nun, dass ein Gewaltverbrechen vorliegt:
    "Ich bin überzeugt, es war kein Selbstmord", schreibt sie in ihrem jüngsten Brief. Die Präsidentin sieht den toten Staatsanwalt als Opfer von dubiosen Geheimdienstagenten, die ihn benutzt hätten, um der Regierung zu schaden, indem sie ihm falsche Informationen zugespielt hätten. Wörtlich spricht sie von einem Politik- und Justizskandal. Der argentinische Journalist Jorge Lanata wertet die Reaktion der Präsidentin als Bankrott-Erklärung:
    "Man hat den Eindruck, die Präsidentin wäre nicht die Präsidentin. In ihrem Brief klagt sie den Geheimdienst an, der ihr untersteht. Das kann sie nicht über Facebook machen, sie muss vor Gericht eine Anzeige einreichen."
    In der Tat wundert sich ganz Argentinien über die Art und Weise, wie Präsidentin Cristina Kirchner auf den Tod des Staatsanwaltes, der sie und ihre Regierung so schwer beschuldigt hatte, reagiert.
    86 statt 85 Opfer
    Der inzwischen tote Staatsanwalt Nisman war überzeugt, dass die Regierung aus wirtschaftlichen und ideologischen Interessen versucht hatte, sich dem Iran anzunähern. Angeblich soll es bei einem Abkommen zwischen beiden Ländern ein geheimes Zusatzprotokoll gegeben haben, die AMIA-Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Täter einzustellen und die internationalen Haftbefehle auszusetzen. Diese Politik hatte die jüdische Gemeinde irritiert und verunsichert. Der Tod Nismans hat sie nun wütend gemacht: Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Julio Schlosser, lässt keinen Zweifel, dass der AMIA-Anschlag ein weiteres Opfer gefunden hat.
    "Wenn wir immer sagen, es gab 85 Opfer bei dem Anschlag, müssen wir nun Alberto Nisman hinzufügen. Die AMIA-Bombe ist erneut in die Luft gegangen."
    Was bedeutet der Tod des Sonderstaatsanwaltes für die AMIA-Ermittlungen, was wird aus den Vorwürfen gegen die Präsidentin? Die Oppositionspolitikerin Patricia Bullrich drückt aufs Tempo.
    "In die AMIA-Ermittlungen muss nun Bewegung kommen. Acht Personen werden beschuldigt, wir haben aber keine Möglichkeit, eine Auslieferung aus dem Iran zu erzwingen, dazu müssten sie hier persönlich vor Gericht erscheinen und verurteilt werden. Wir müssen also die Strafprozessordnung ändern um die acht iranischen Beschuldigten in Abwesenheit zu verurteilen. Nur so können wir die Ungerechtigkeit und Straflosigkeit nach so vielen Jahren ändern."
    Der Fall Nisman beutelt Argentinien neun Monate vor der Präsidentschaftswahl. Er ist - ohne Zweifel - schon jetzt Teil des Wahlkampfes. Die Kandidaten bringen sich in Position, versuchen, aus dem mysteriösen Todesfall politisches Kapital zu schlagen. Präsidentin Cristina Kirchner, die zur Wahl als Kandidatin nicht mehr antreten darf, muss dagegen um ihr Projekt fürchten, das sie und ihr verstorbener Mann und Ex-Präsident Nestor Kirchner 2003 auf den Weg brachten.