Donnerstag, 28. März 2024

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Nach Uber-Unfall
"Das automatisierte Auto hat noch einen sehr langen Weg vor sich"

Auf Autobahnen hält der Wirtschaftsinformatiker Oliver Bendel das automatisierte Fahren für vertretbar - auch nach dem tödlichen Unfall mit einem Fahrzeug des Taxi-Dienstleisters Uber. In Großstädten jedoch ist er strikt dagegen. "Wir sind dort die Versuchskaninchen", sagte Bendel im Dlf.

Oliver Bendel im Gespräch mit Ralf Krauter | 20.03.2018
    Das Bild zeigt ein selbstfahrendes Auto des Fahrdienst-Vermittlers Uber von innen, die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2016.
    Von Maschinen erwarte man Perfektion und man dürfe diesen keine Fehler durchgehen lassen, sagte Professor Oliver Bendel im Dlf (dpa-Bildfunk / AP / Eric Risberg)
    Ralf Krauter: Mit Tempo 64 war das Testfahrzeug des Taxi-Dienstleisters Uber unterwegs, als es am Sonntagabend in der Stadt Tempe in Arizona eine Fußgängerin erfasste, die die Straße überqueren wollte. Die Frau überlebte den Unfall nicht. Da sie offenbar direkt aus dem Schatten an einer unmarkierten Stelle auf die Fahrbahn getreten war, wäre es laut Polizei wohl selbst einem menschlichen Fahrer schwer gefallen, rechtzeitig zu bremsen. Doch weil in diesem Fall ein Computer am Steuer saß, wirft der tödliche Zusammenstoß Fragen zur Zukunft autonomer Autos auf.
    Der Wirtschaftsinformatiker Professor Oliver Bendel von der Fachhochschule der Westschweiz in Windisch bei Zürich befasst sich schon länger mit den ethischen Fallstricken intelligenter Maschinen. Ich habe ihn vorhin gefragt: War das nur eine Frage der Zeit, bis ein autonomes Auto erstmals einen Fußgänger überfährt?
    Oliver Bendel: Ich glaube tatsächlich, das war nur eine Frage der Zeit. Städte sind meines Erachtens viel zu komplex für automatisiertes Fahren, und für autonome Autos insbesondere. Ich glaube schon, dass automatisiertes Fahren in spezieller Form in Städten stattfinden kann. Ich denke an Shuttles, die sehr, sehr langsam und auf virtuellen Gleisen fahren, das kann man alles machen. Aber wenn man auf Pkw schaut, auf ganz normale Autos, dann schaut es schon ganz anders aus.
    Städte sind sehr, sehr komplex, das Auto muss in jeder Sekunde vielleicht hunderte, vielleicht tausende Objekte erkennen und beurteilen. Das ist sehr, sehr schwierig für das Auto, es muss auch priorisieren – was es nicht gut kann, wir Menschen können viel besser priorisieren. Und das andere ist: Fahren in den Städten ist Kommunizieren! Also ein Blickkontakt, ein Augenaufschlag, sogar ein Stirnrunzeln, das alles führt dazu, dass wir die Situation besser einschätzen können.
    "Die Akzeptanz wird jetzt wieder schwinden"
    Krauter: Sehen Sie das denn auch so wie ein US-Experte, der jetzt gesagt hat im Nachgang des Unfalls, dass das Vertrauen der Verbraucher in die Technologie autonomes Auto über Jahre gebrochen ist und diese Technologie zurückwerfen wird?
    Bendel: Über Jahre hinaus, glaube ich nicht. Die Akzeptanz wird jetzt wieder schwinden, wir haben einen Einzelfall, der wird viel diskutiert. Ich glaube eher, wenn wir in Deutschland fünf, sechs, sieben, acht solcher Fälle hätten im Jahr, dann wäre die Akzeptanz weg, das würden wir nicht erlauben. Und ich denke an Flugzeuge, an was wir uns dort gewöhnt haben. Wenn wir mit sicheren Linien fliegen, wenn wir große Anbieter nehmen, dann erwarten wir nicht mehrere Unfälle pro Jahr, wir erwarten Abstürze vielleicht alle zehn Jahre. Wenn sich die Sache so einpendelt beim autonomen Fahren, dann wäre die Akzeptanz da. Ich glaube, ein Einzelfall wird das Geschäft nicht kaputtmachen – es handelt sich ja um ein Geschäft, hier profitieren Politik und Wirtschaft und ziehen an einem Strang –, ein Einzelfall nicht. Aber wenn wir fünf, sechs, sieben, acht Fälle hätten in Deutschland, dann wäre die Sache tatsächlich anders.
    Man könnte sich sogar vorstellen, dass sich eine Bewegung bildet gegen autonome Fahrzeuge, und tatsächlich stehen die Fahrzeuge ja auch zum Teil dann auf den Straßen herum und können dort manipuliert werden. Also vielleicht haben wir neue Maschinenstürmer eines Tages, aber das ist Spekulation. Auf jeden Fall, nein, dieser Einzelfall wird nicht über Jahre verbrennen.
    "Man wirbt damit, dass die Maschinen weniger machen als Menschen"
    Krauter: Wie ist denn zu erklären, dass man sozusagen an eine lernende Maschine deutlich höhere Maßstäbe anlegt, was die Sicherheit angeht? Denn einem jungen sagen wir mal Führerscheinanfänger würde man so einen Unfall ja sicher übelnehmen, aber letztlich würde man sagen, na ja, gut, das passiert halt, wir machen weiter wie bisher. Warum nicht bei einem autonomen Auto?
    Bendel: Ich denke, das Ganze erscheint nicht unbedingt gerecht, aber ich glaube, es ist durchaus gerechtfertigt. Denn wir erwarten von Autonomen und autonomen Maschinen einfach Perfektion. Wir erschaffen sie ja nicht nur, damit sie etwas selbstständig machen, sondern auch damit sie es besser machen. Und damit wirbt ja auch tatsächlich die Automobilindustrie. Man wirbt damit, dass die Maschinen weniger machen als Menschen, man kommt immer wieder daher mit Unfallzahlen, die zurückgehen.
    Ich glaube auch, das ist der Fall, die Unfallzahlen werden zurückgehen in bestimmten Bereichen, in überschaubaren Bereichen wie auf der Autobahn. Aber für die Stadt habe ich ernsthafte Zweifel. Ich denke, das automatisierte Auto hat noch einen sehr, sehr langen Weg vor sich, und ich finde es durchaus menschlich und übrigens auch vernünftig, dass man Maschinen Fehler nicht nachsieht. Und ich frage mich auch, wie sollte das geschehen? Soll man sagen, ach, wenn die Maschine 70 Prozent beherrscht, dann ist das in Ordnung? Nein, das denken wir nicht so, wir wollen tatsächlich Perfektion wie bei den erwähnten Flugzeugen großer Linien. Und wenn man die erreichen würde, diese Perfektion, dann würde es funktionieren. Aber nochmals: Ein Ballungsgebiet ist kein Luftraum. Der Luftraum ist frei und groß und dort kann man viele Dinge sehr sicher machen, aber nicht in den Straßen enger Städte. Ich bin dafür, dass das automatisierte Fahren nicht in realen Städten stattfindet. Wir sind dort die Versuchskaninchen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.