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Nach Wahl in Venezuela
"Konfliktlage wird verstärkt"

Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik glaubt nicht, dass es nach der Wahl in Venezuela schnell zu Veränderungen kommt. Maihold sprach zwar von einem klaren Signal der Bevölkerung: Die Regierung sei vor allem wegen der schlechten Versorgungssituation im Land abgestraft worden.

Günther Maihold im Gespräch mit Sandra Schulz | 08.12.2015
    Menschen feiern den Wahlsieg der Oppositionellen in Venezuela.
    Menschen feiern den Wahlsieg der Oppositionellen in Venezuela. (picture alliance / dpa / Miguel Gutierrez)
    Deshalb geht Maihold eher davon aus, dass Präsident Nicolas Maduro als Führungsfigur ausgewechselt wird, um das sozialistische Projekt fortzuführen.
    Trotz großer Ölvorräte steckt Venezuela in einer tiefen Wirtschaftskrise. Das Land leidet unter dem derzeit niedrigen Ölpreis. Nach Maiholds Worten müsse der Preis für ein Barrel Rohöl bei etwa 100 Dollar liegen, damit die Wirtschaft in Venezuela einigermaßen funktioniert. Derzeit liege der Ölpreis jedoch bei 45 Dollar. Hinzu komme die Misswirtschaft durch "sozialistische Experimente".

    Maihold befürchtet, dass nach der Wahl in Venezuela die politischen Spannungen zunehmen werden, die letztlich auch in Gewalt umschlagen könnten. Maduro selbst werde wohl mittelfristig ersetzt werden, schätzt Maihold. In der eigenen Partei gebe es viele Kritiker, die ihn für die Niederlage verantwortlich machten.
    "Ein solches Regime tritt nicht einfach zurück"
    Trotz des Wahlsiegs sei die Opposition in Venezuela in einer schwierigen Lage. Das liege zum einen daran, dass die Regierung in Venezuela stark autoritär sei: "Ein solches Regime tritt nicht einfach zurück", so Maihold. "Es versucht sein ideologisches Projekt durchzusetzen, auch wenn es einen wahltaktischen Rückschlag gibt". Zum anderen sei die Opposition im Land keine homogene Gruppe. Einig seien sich die Parteien nur darin, dass sie gegen das Regime seien.
    Die Opposition wurde bei den Parlamentswahlen in Venezuela zum ersten Mal seit 16 Jahren die Opposition stärkste Kraft. Sie konnte fast zwei Drittel der Sitze erobern. Für die linke Bewegung Südamerikas ist der Sieg der Konservativen der zweite Dämpfer binnen weniger Wochen nach dem Rechtsruck in Argentinien. Signale für ein Ende der Linken in Lateinamerika sieht Maihold damit aber nicht, dafür seien die Parteien und Führungsfiguren zu unterschiedlich und verfolgten auch kein gemeinsames Programm.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Venezuela steht vor einem Richtungswechsel, 16 Jahre, nachdem in dem südamerikanischen Land Hugo Chávez an die Macht kam. Chávez, der mit seiner Politik das Land so stark geprägt hat, bis heute von Millionen bewundert wird, sodass sein Name auch für die Politik seiner politischen Erben steht, als Name einer Ära des Chávismo, Synonym für den venezuelanischen Sozialismus. Ist diese Ära jetzt zu Ende? Bei den Parlamentswahlen jetzt am Wochenende musste Chávez-Nachfolger Maduro eine herbe Niederlage einstecken. Das Oppositionsbündnis "Tisch" der demokratischen Einheit kommt nach jüngsten Angaben von heute Morgen fast auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit, auf 110 von 167 Mandaten. Nach Argentinien strafen die Wähler jetzt wieder eine sozialistische Regierung ab, und darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich Günther Maihold, stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Morgen.
    Günther Maihold: Guten Morgen.
    Schulz: Ist das sozialistische Projekt in Venezuela jetzt endgültig abgesagt?
    Maihold: Das glaube ich nicht. Wir haben hier ein klares Signal der Bevölkerung, die insbesondere mit der Versorgungssituation sehr kritisch auf die Regierung reagiert hat. Aber man darf nicht unterschätzen, dass der Chávismo doch eine Identität geprägt hat und man unter Umständen sehr schnell die Führungsfigur auswechseln kann, um das alte Projekt wiederzubeleben.
    Schulz: Wieso geht es Venezuela wirtschaftlich überhaupt so schlecht, trotz der hohen Ölvorkommen?
    Maihold: Die Ölvorkommen garantieren noch keinen hohen Ölpreis und damit die venezuelanische Wirtschaft einigermaßen funktioniert, müsste der um die 100 Dollar pro Barrel liegen. Gegenwärtig sind wir bei 45 Dollar. Das heißt, die Einnahmesituation des Landes ist katastrophal zusammengebrochen. Und zum anderen gibt es natürlich die Misswirtschaft, die sich durch die sozialistischen Experimente ergeben hat.
    Schulz: Aber verstehe ich Sie richtig: An der Lage des Landes wird sich jetzt wesentlich gar nichts ändern? Denn obwohl die Wähler so ein deutliches Votum abgegeben haben, bleibt alles wie vorher?
    "Konfliktlage und Polarisierung im Land werden verstärkt"
    Maihold: Es wird sicherlich zu stärkeren Auseinandersetzungen zwischen der Legislative und der Exekutive kommen, da natürlich die Mehrheit im Parlament versuchen wird, Beschlüsse zu fassen, die der Regierung von Präsident Maduro nicht besonders in den Kram passen werden. Dadurch wird die Konfliktlage und die Polarisierung innerhalb des Landes noch weiter verstärkt und die Gefahr, dass es dann zu gewaltförmigen Auseinandersetzungen kommt, wächst dadurch. Nicht zuletzt die umfassende Präsenz von Waffen in den Händen Privater durch Milizen, aber auch durch organisierte Kriminalität kann hier als schlimmer Beschleuniger wirken.
    Schulz: Welche Rolle spielt der jetzt gerade abgestrafte Maduro? Kann der bleiben?
    Maihold: Ich glaube, zunächst wird man nicht zu dem Schritt greifen, ihn abzulösen. Aber mittelfristig dürfte er keine Zukunft in seiner Partei haben. Es gibt dort sehr viele führende Politiker, die ihm eine entscheidende Schuld am Niedergang seiner Partei zurechnen, und da dürfte es bald zu Veränderungen kommen.
    Schulz: Sie haben ja gerade ein ziemlich düsteres Szenario gezeichnet, schließen auch gewalttätige Eskalationen nicht aus. Wieso ist das so? Wieso läuft das jetzt nicht auf eine politische Auseinandersetzung heraus, jetzt da die Opposition so gestärkt ist?
    Maihold: Zum einen müssen wir sehen, das ist keine normale parlamentarische Regierung, sondern das ist ein tendenziell stark autoritäres Regime, das mit der Kontrolle von Presse, mit der Kontrolle der Wirtschaft, mit einem umfassenden, von Kuba finanzierten Sicherheits- und Geheimdienstapparat die eigene Gesellschaft versucht, zu überwachen und unter Kontrolle zu halten. Ein solches Regime tritt nicht einfach zurück oder löst sich auf, sondern versucht, sein ideologisch und stark ideologisch formuliertes Projekt durchzusetzen, auch wenn es mal einen wahltaktischen Rückschlag gibt, wie das dort gesehen wird. Insofern ist die komplizierte Transition, die dem Land bevorsteht, kaum begonnen und es wird sehr viel Fingerspitzengefühl und Konsensfähigkeit erfordern, damit es eine friedliche Transition wird.
    Schulz: Und haben die politischen Akteure die?
    Maihold: Die ist ein sehr knappes Gut, angesichts der Tatsache, dass die Opposition keine homogene Gruppe ist, sondern dass wir es mit 25 Strömungen zu tun haben, die eigentlich nur einen gemeinsamen Konsens gegen das Regime haben und in dem Augenblick, wo sie in eine positive, in eine propositive Position gelangen, wird es sehr schwierig, Konsens zu finden. Und die Strömungen innerhalb des Chávismus sind auch nicht zu unterschätzen. Die innere Heterogenität ist eine sehr schwierige Rahmenbedingung.
    Opposition in schwieriger Lage
    Schulz: Über die Opposition wird jetzt immer gesagt, das sei die konservative Opposition. Ich habe aber gelesen, dass in diesem Bündnis durchaus auch Sozialdemokraten sind, ganz verschiedene Parteien. Was ist das für eine Vereinigung?
    Maihold: Es ist eine Sammlungsbewegung aller derer, die sich gegen den Chávismus stellen, und sie leidet unter dem entscheidenden Problem, dass es keine erneuerte politische Opposition ist, die nun seit 13 Jahren Chávismus sich ein neues konzeptionelles Gesicht gegeben hätte, sondern es sind sehr viele Mitglieder des alten Regimes, der alten politischen Kräfte dort versammelt, sodass es keine innere Homogenität gibt und auch kein rechtlich zwingendes Vorgehen, sondern es sehr viel mit kurzfristigen Allianzen zwischen Einzelpersonen, zwischen Politikern aus den verschiedenen Bundesstaaten betrieben, sodass die Handlungsfähigkeit doch eingeschränkt ist.
    Schulz: So wie Sie das schildern, so wie Sie auch die politische Machtverteilung schildern in Venezuela, ist dann die Schlussfolgerung richtig, dass alle, die bisher dachten, Venezuela sei eine Demokratie, dass die schlichtweg im Irrtum waren?
    Maihold: Wir haben immer Wahlen gehabt, wenn man das als schwaches Kriterium von Demokratien nimmt, aber es gehört natürlich auch Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Rechtsstaat dazu, und all das ist in den vergangenen Jahren durch den Chávismus erheblich eingeschränkt worden.
    Schulz: Das heißt aber auch, die Konsequenzen aus unserer Diskussion, dass alle Parallelen, die sich oberflächlich vielleicht aufdrängen zu Argentinien, wo ja auch eine sozialistische Regierung abgestraft ist, dass die in der Sache aber nicht besonders weit tragen?
    Maihold: Das ist das Problem, dass die Linke Lateinamerikas oft über einen Kamm geschoren wird, wir es aber mit sehr viel unterschiedlichen und durch nationale Traditionen und vor allem auch durch nationale politische Persönlichkeit getragene Varianten zu tun haben, die in bestimmten Themen Berührungspunkte haben, aber nicht ein gemeinsames Programm verfolgen.
    Schulz: Sie sprechen es an: Es hängt viel an Personen. Jetzt war Chávez eine Personalie, eine Person, die wie gesagt auch bis heute bewundert wird von Millionen. Zeichnet sich denn ab, wer da im Spektrum die Nachfolgerrolle übernehmen könnte?
    Maihold: Es gibt den bisherigen Parlamentspräsidenten Diosdado Cabello, der eine besonders stark ideologisch fundamentierte Position vertritt und schon seit geraumer Zeit als Konkurrent von Chávez wahrgenommen wird. Er dürfte ein besonderes Interesse daran haben, mittelfristig Maduro zu ersetzen und auf diese Weise noch mal zu versuchen, eine Renaissance des wahren Chávismus in Szene zu setzen.
    Schulz: Günther Maihold, stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für diese Einschätzungen.
    Maihold: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.