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Nach Wochen des Protests

Der bisherige Päsident Armeniens Serzh Sargsyan wurde bei den Wahlen Mitte Februar im Amt bestätigt. Der unterlegene Ex-Außenminister Raffi Hovannisian sprach von Manipulationen und beanspruchte den Sieg für sich. Seine Anhänger protestierten wochenlang - Sargsyans erneute Amtseinführung findet trotzdem statt.

Von Gesine Dornblüth | 09.04.2013
    Armeniens Hauptstadt Eriwan. Ein Mann in Pullover und Schal tanzt in einer Menschenmenge. Es ist der Oppositionspolitiker Raffi Hovhannesyan. Bei der Präsidentenwahl im Februar unterlag er dem Amtsinhaber Sersch Sargsyan – aufgrund von Fälschungen, wie Hovhannesyan sagt. Und zahlreiche lokale Wahlbeobachter sind der gleichen Ansicht.

    Geburt einer "neuen Opposition"
    Am Tag nach der Wahl rief Hovhannesyan seine Anhänger auf die Straße, wochenlang protestierten sie, an manchen Tagen waren es 30 bis 40.000 Teilnehmer. Sie forderten eine Wiederholung der Präsidentenwahl, vorgezogene Parlamentswahlen, Ministerposten für Hovhannesyan und seine Parteikollegen. Von der Geburt einer "neuen Opposition" war die Rede. Hovhannesyan begann einen Hungerstreik. Nach drei Wochen beendete er ihn, ohne dass irgendeine Forderung erfüllt wurde.

    Wahlsieger Sersch Sargsyan, der heute zum zweiten Mal ins Amt eingeführt wird, und seine nationalkonservative Republikanische Partei haben Armenien fest im Griff. Die Präsidentenpartei stellt die absolute Mehrheit im Parlament, benennt Richter und Beamte. Doch der Unmut in der Bevölkerung wächst.

    Die Aktivistin Lena Nazaryan war in den vergangenen Wochen fast jeden Tag auf der Straße. Sie hat den Urnengang im Februar beobachtet und nach eigenen Angaben zahlreiche Verstöße in ihrem Wahllokal festgestellt. Am Tag nach der Wahl wurde sie in der Internetgemeinde berühmt.

    OSZE hat Zweifel an Ehrlichkeit der Wahl
    Gemeinsam mit Gleichgesinnten stürmte Lena Nazaryan die Pressekonferenz der OSZE-Wahlbeobachter in Eriwan. Gerade bewerteten Diplomaten und ausländische Politiker die Wahl als fair und gut organisiert. Die junge Frau stellte sich vor die internationalen Wahlbeobachter und verlas eine eigene Erklärung. Die Wahl habe weder der Verfassung Armeniens noch internationalen Standards entsprochen. Die OSZE hat ihre Einschätzung danach leicht korrigiert, in einem Zwischenbericht ist von "Zweifeln" an der Ehrlichkeit der Wahl die Rede.

    Lena Nazaryan und ihre Mitstreiter stehen keiner politischen Partei nahe - auch nicht Hovhannessyan:

    "Raffi Hovannesyan ist aber einer der wenigen Politiker in Armenien, mit dem viele Menschen sympathisieren. Weil er eine saubere Vergangenheit hat und nicht mit Oligarchen oder kriminellen Kreisen zu tun hatte. Er ist ohne Zweifel vom Volk gewählt, und wir wollten mit unseren Protesten Gerechtigkeit herstellen."

    Das ist nicht gelungen. Für den heutigen Dienstag sind zwar erneut Proteste geplant. Aber an der Einführung Sargsyans wird das nichts ändern.

    "In jedem Fall werden meine Freunde und ich unsere Aktionen fortführen. Denn wir wollen, dass Armenien ein Rechtsstaat wird."

    In den vergangenen Tagen waren die Proteste stark abgeflaut. Die Leute würden zweifeln, ob der Protest überhaupt zu irgendetwas führe, meint der Analyst Boris Navasardyan vom Eriwaner Presseclub:

    "Die Menschen auf den Straßen wollten wissen, was Raffi Hovhannesyan vorschlägt, um an die Macht zu kommen. Ob er den Präsidentenpalast stürmen will, ob er seine Kräfte für die kommenden Wahlen sammeln will oder ob er Parlamentsabgeordnete überzeugen will, vorgezogenen Parlamentswahlen zuzustimmen. Er hat nichts davon vorgeschlagen."

    Der armenische Oppositionspolitiker Raffi Hovhannesyan gibt auf dem Freiheitsplatz in Eriwan eine Pressekonferenz.
    Der armenische Oppositionspolitiker Raffi Hovhannesyan gibt auf dem Freiheitsplatz in Eriwan eine Pressekonferenz. (picture alliance / dpa / Alexey Kudenko)
    Sargsyan von Protest wenig beeindruckt
    Der alte und neue Präsident Sersch Sargsyan indes zeigt sich von den Protesten relativ unbeeindruckt. Er beteuert, er stehe für Reformen. Armenien verhandelt mit der EU über ein Assoziierungsabkommen. Die EU hatte sich zuletzt positiv über die Fortschritte Armeniens geäußert. Die Opposition behauptet allerdings, die Reformen existierten nur auf dem Papier.

    Dazu Boris Navasardyan:

    "Es wird darauf ankommen, dass die Reformen auch in die Praxis umgesetzt werden. Dafür ist es wichtig, dass die Menschen, die jetzt protestieren, die Regierung kontrollieren. Das geht nur, wenn sie von der Straße herunter kommen und am politischen Prozess teilhaben, in Oppositionsparteien oder als Teil der Zivilgesellschaft."

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