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Nachgefragt: Was geht und was nicht?

Unsere Parlamentarier verdienen gutes Geld, obschon sie bei vergleichbaren Arbeitszeiten von 70 oder 80 Stunden in der freien Wirtschaft wesentlich mehr verdienen könnten. Aber die Abgeordneten dürfen ja hinzuverdienen - bloß wann bei einem 16-stündigen Arbeitstag?

Von Nadine Lindner | 11.02.2010
    Entgeltliche Tätigkeiten neben dem Mandat:
    Daimler Chrysler AG, Stuttgart, Vortrag Mai 2006, Stufe 3.
    Funktionen in Unternehmen:
    Safe ID Solutions AG, Unterhaching, Mitglied des Aufsichtsrates.

    Ganz normale Nebentätigkeiten eines prominenten Ex-Bundestagsmitglieds: Otto Schily, Sozialdemokrat.

    Im Herbst ist der ehemalige Innenminister aus dem Parlament ausgeschieden. Damit hat er nicht nur rund 26 Jahre im Bundestag hinter sich, sondern auch eine juristische Auseinandersetzung mit Bundestagspräsident Norbert Lammert, die ihn bis vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig geführt hat.

    Damals ging es um ein Ordnungsgeld in der Höhe von 22.000 Euro, die das Bundestagspräsidium gegen Schily verhängt hatte, weil dieser sich geweigert hatte, eben jene Nebentätigkeiten anzugeben.

    Das Gericht prüfte die Regeln zur Offenlegung und entschied – Schily muss nicht zahlen. Das Urteil vom vergangenen Herbst war vorerst die letzte Entscheidung in dieser Sache.

    Nebentätigkeiten von Bundestagsabgeordneten – die Spielregeln
    Eine Schlüsselstellung nimmt der Bundestagspräsident ein. Er kontrolliert die Nebentätigkeiten der Abgeordneten.

    Wolfgang Thierse, SPD, war lange in dieser Funktion tätig. Seit 2005 ist er stellvertretender Bundestagspräsident:

    "Bundestagsabgeordnete dürfen neben ihrer Tätigkeit auch anderen Berufen und Tätigkeiten nachgehen, denn für Abgeordnete kann auch kein Berufsverbot gelten. Die Grundrechte gelten selbst für Politiker, selbst für Bundestagsabgeordnete, aber wir haben klare, strenge Veröffentlichungspflichten. Alle Abgeordneten müssen die Tätigkeiten, die sie neben dem Mandat haben, dem Bundestagspräsidenten mitteilen. Und zwar egal, ob sie dafür Geld bekommen, also entgeltliche Tätigkeiten oder ehrenamtliche, unentgeltliche Tätigkeiten, und das wird vom Bundestagspräsidenten veröffentlicht, sodass die Öffentlichkeit eine Kontrolle hat."

    Diese Angaben werden sowohl im offiziellen Handbuch der Abgeordneten als auch auf den Internetseiten des Bundestages veröffentlicht.

    Wie zum Beispiel Otto Schilys Eintrag aus der letzten Legislaturperiode:

    Entgeltliche Tätigkeiten neben dem Mandat:
    Werner Bonhoff Stiftung, Berlin, Vortrag, April 2007, Stufe 2.
    Swiss Sport Forum, Meilen/ Schweiz, Vortrag März 2007, Stufe 3.


    Die Stufenregelungen geben an, wie viel Geld Otto Schily bei jedem Vortrag verdient hat. Stufe 2 bedeutet, dass er damit 3500 bis 7000 Euro verdient hat, unter Stufe 3 fallen Einkünfte über 7000 Euro. Höhere Stufen gibt es nicht.

    Einkünfte unter 1000 Euro müssen nicht angegeben werden. Auch die Tätigkeit, die der Abgeordnete vor seiner Zeit um Bundestag ausgeübt hat, muss er melden.

    Das alles steht in den Verhaltensregeln für Abgeordnete. Sie sind Teil der Geschäftsordnung, die der Bundestag bei jeder Legislaturperiode zwar neu beschließt, die praktisch aber lediglich übernommen wird.

    Auch das Abgeordnetengesetz ist in diesem Fall wichtig: Es bestimmt, dass die Ausübung des Mandates im Mittelpunkt stehen muss. Außerdem legt es die Höhe der Diäten fest: Seit dem ersten Januar 2009 sind es 7668 Euro. Hinzu kommen Zulagen für Büro, Fahrtkosten und Personal.

    Für die Abgeordneten der 17. Legislaturperiode sind noch keine Angaben zu Nebentätigkeiten zu finden. Sie hatten drei Monate Zeit, dem Bundestagspräsidenten ihre Angaben zu melden. Ab Ende Februar sollen die Informationen dann öffentlich sein.

    Ausnahmen bestätigen die Regel – kritische Sonderklauseln
    Besondere Regelungen gelten für Rechtsanwälte. Sie müssen die Namen ihrer Mandanten nicht nennen, da sie unter die gesetzliche Schweigepflicht fallen. Das Problem: Die Öffentlichkeit erfährt nicht, wessen Interessen der Anwalt vertritt. Die Liste der FDP-Abgeordneten Sybille Lauschrik aus der letzten Legislaturperiode liest sich damit wie folgt:

    Mandat 15, Juli 2008, Stufe 1.
    Mandat 16, September 2008, Stufe 1.
    Mandat 17, Oktober 2008, Stufe 1.


    Die Stufenregelung stammt aus dem Jahr 2005. Das Bundesverfassungsgericht hat sie 2007 bestätigt. Seitdem müssen die Abgeordneten ihre Nebeneinkünfte melden.

    Sind die Nebentätigkeiten von Abgeordneten sinnvoll oder nicht?
    Der deutsche Bundestag ist als Vollzeitparlament angelegt. 70, 80 Wochenstunden sind keine Seltenheit. Die Abgeordneten sind Berufspolitiker – auf Zeit gewählt. Wie der CDU-Abgeordnete Frank Steffel, Inhaber einer Firma für Boden-Beläge:

    "Und man versucht, wie auch immer nicht den Kontakt zum Unternehmen zu verlieren. Denn es ist ja auch Teil der persönlichen Unabhängigkeit. Die mir auch immer wichtig war. Ich glaube, es gibt in Deutschland viel zu viele Menschen, die viele Jahre eigentlich nur öffentliche Verwaltung, Parteien und Politik erlebt haben. Also mehr Praxisbezug würde den Parlamenten gut tun, aber der Spagat ist außerordentlich kompliziert."

    Das Problem dabei: Auf der einen Seite sollen möglichst viele Berufsgruppen im Bundestag vertreten sein. Gefragt sind Parlamentarier, die den Bezug zum Berufsleben nicht verloren haben. Auf der anderen Seite erwarten die Wähler von ihren Volksvertretern, dass sie sich am Gemeinwohl orientieren und nicht an privaten wirtschaftlichen Zielen.
    Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse:

    "Ach, das sind immer Fragen der politischen Moral, dass man diskutiert darüber öffentlich, ist es angemessen, dass ein Abgeordneter so und so viel Aufsichtsratsposten hat. Die deutsche Verfassung und unser politisches System gehen davon aus, dass die Tätigkeit eines Bundestagsabgeordneten, sein Hauptberuf ist. Und dass er dann nebenbei anderen Tätigkeiten auch nachgehen kann. Aber wenn der öffentliche Verdacht entsteht, dass einer in zehn, zwanzig Aufsichtsräten ist und wer weiß wo in wie vielen Wirtschaftsunternehmen ist, dann kann er ja seiner eigentlichen Aufgabe gar nicht wirklich nachgehen."

    Kritik kommt auch von der Gruppe Lobby Control, einer Nichtregierungsorganisation, die eine Studie zu den Nebentätigkeiten der Abgeordneten erstellt hat.

    Fast neunzig Prozent der befragten Abgeordneten haben Nebentätigkeiten angegeben. Gut ein Drittel von ihnen verdienen damit 1000 Euro oder mehr im Monat. Lobbycontrol kritisiert Schlupflöcher für Anwälte und Berater, aber auch, dass die Bundestagsverwaltung kaum Möglichkeiten hat, Fehlverhalten zu sanktionieren.

    Nina Katzemich von Lobby Control:

    "Dann ist es auch so, dass die Stufenangaben nicht wirklich funktionieren. Man erfährt ab 7000 Euro nicht, was die Abgeordneten oberhalb verdienen. Es können 140.000 Euro sein, es können 8000 Euro sein. Das erfährt der Bürger oder die Bürgerin nicht. Ab 7000 ist Schluss pro Jahr. Aber da wird es ja eigentlich so richtig interessant."